Thema:
"Ohne Recht gibt es kein Eigentum" flat
Autor: peppi
Datum:09.04.21 10:50
Antwort auf:Die M! Tageszeitung - Journalismus Ausgabe #9 von K!M

Katharina Pistor ist Professorin für Rechtswissenschaften und lehrt an der Law School der Columbia University in New York. 2019 publizierte sie das Buch Der Code des Kapitals. Wie das Recht Reichtum und Ungleichheit schafft, das die Financial Times zu einem der wichtigsten Bücher des Jahres kürte.

Frau Pistor, die meisten Leute denken, Kapital ist eine Summe Geld. Ökonomen sagen, Kapital ist ein Produktionsfaktor: Fabrik, Maschine, Boden. Sie sagen, beides ist falsch. Warum?

Das ist ein verkürztes Verständnis von Kapital. An sich ist Land ein Stück Dreck. Es hat im Grunde keine ökonomische Funktion im kapitalistischen Sinne, außer wenn ich ein soziales Konstrukt drüber mache, das dazu dient, Land monetarisieren zu können. Darum ging es im Wesentlichen beim Übergang vom Feudalismus zum Kapitalismus bei der exklusiven Aneignung von Land.

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Eine der gefragtesten Codierungsstrategien aus Sicht des Kapitals ist Ihnen zufolge die Abschirmung von Vermögenswerten vor der Steuer. Anwälte kassieren außergewöhnlich hohe Honorare für diesen Code. Nun sind es ja aber die Staaten selbst, die das rechtlich überhaupt erst ermöglichen. Sie schreiben: Staaten stellen den Stoff bereit, aus dem das Kapital codiert wird. Das staatlich gesetzte Recht wendet sich nun aber gegen den Staat selbst. Wieso wird das zugelassen?

Das ist eine gute Frage. Der Wettbewerb zwischen den Staaten wird dadurch ermöglicht, dass rechtlich codierte Ansprüche von einer Rechtsordnung in eine andere verlagert werden können, ohne ihren Rechtsschutz einzubüßen. Das war nicht immer so. Vor 15 Jahren noch musste ein Unternehmen, das in Deutschland operierte, nach deutschem Recht gegründet worden sein. Dann hat der EuGH erklärt, dass dies gegen das Prinzip der freien Beweglichkeit von (juristischen) Personen in der EU verstoße. Auch Steueroasen entstanden so. Man hat das rechtlich schlicht ermöglicht.

Codiert.

Ja. Und selbst wenn klar ist, dass es sich um Briefkastenfirmen handelt, akzeptieren viele Staaten die juristische Trennung verschiedener Korporationen. Staaten wollen Kapital anziehen, sie haben Angst, dass es nicht zu ihnen kommt, wenn die rechtlichen Voraussetzungen zu schwierig sind und zugleich wollen sie ja auch, dass ihr nationales Kapital überall hin gehen darf.

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Nach der Lektüre Ihres Buchs könnte man andernfalls auf die Idee kommen, dass es reicht, einen guten Rechtsanwalt zu haben, um reich zu werden. Würden Sie das so unterschreiben?

Also, arm darf man natürlich nicht sein. Aber man könnte auch armen Leuten durch entsprechende Codierung mehr Sicherheit vor Verschuldung geben, wenn sie ein kleines Vermögen aufbauen wollen.

Sie würden also sagen, dass wir die Ressource Recht unterschätzen für die Veränderung gesellschaftlicher Verhältnisse und die Zurückdrängung privater Vermögensinteressen?

Ja, auf jeden Fall. Das hat übrigens eine lange Geschichte. Historisch hat sich das Privatrecht vom öffentlichen getrennt in der frühen Neuzeit, und das geht Hand in Hand mit der Entwicklung des modernen Staates und der Entwicklung des Kapitalismus. Was wir nie gemacht haben, nach der französischen Revolution, ist, die Gretchenfrage nochmal zu stellen: Wie ist das denn eigentlich mit dem Privatrecht?


[https://www.freitag.de/autoren/der-freitag/ohne-recht-gibt-es-kein-eigentum]


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