Thema:
2 Jahre Tesla Model 3 - Meine Bilanz flat
Autor: hcn
Datum:20.02.21 11:10
Antwort auf:Auto-Thread #28: Gefahren wird immer von thestraightedge

Nach fast genau zwei Jahren habe ich diese Woche mein Model 3 wieder verkauft.
Tl;dr: Ich bin froh, dass ich bald wieder ein ‚normales‘ Auto fahren darf.


Bestellung:
Im März 2019 habe ich eines der ersten Model 3 bestellt. Long Range Allrad mit „Full Self Driving“ (dazu unten noch mehr). Der Bestellprozess über die Webseite war erfrischend anders. Insgesamt gab es ja nur quasi 3-4 Optionen, dann Kreditkarte angeben und dann stand schon da „Liefertermin in 1-2 Wochen“. Dann ging das Chaos aber los: Telefonisch niemand zu erreichen, bei Anrufen die man selbst verpasst hat keine Chance zurückzurufen, keine Antwort auf Emails, etc. etc. etc.
Als ich den Brief zum Rücktritt schon fertig hatte, kam dann doch noch ne Mail mit Auslieferungsdetails. Unglaublich schlecht, was Tesla da abgeliefert hatte… Aber ok

Auslieferung:

Bewaffnet mit der Checkliste aus dem Tesla Forum dann Antritt im Service Zentrum. Kurze Wartezeit und dann stand er da. Die schlimmsten Befürchtungen traten nicht ein - die Spaltmasse waren tatsächlich ziemlich ok. Dann aber der Innenraum: Als hätte jemand ne Asbestplatte darin zerfetzt. Alles voller orangem Staub und Fasern. Wurde dann nochmal auf meine Beschwerde hin 10 Minuten gereinigt. Keine Ahnung wie Tesla dachte, dass sie den Wagen in dem Zustand übergeben können. Da war meine Laune dann schon etwas unten - bis zur Probefahrt. Tesla go brrrrr.  Mein Kollege nennt das erste Mal Elektroauto fahren immer „Banana Smiles“ - und so ist es auch. Die Beschleunigung und das leise Surren wie im Raumschiff ist einfach der Wahnsinn - also Unterschrift drunter und nach Hause genommen.

Die Heimfahrt (und generell alle Fahrten auf Landstraße und alleine) machen einfach Spass - zumindest wenn man nicht auf die Reichweite achten muss. Die Beschleunigung macht süchtig und man muss schon sehr diszipliniert sein das eigene Fahrkönnen nicht zu überschätzen. Sobald man längere Strecken unterwegs ist, bezahlt man jede Beschleunigung teuer mit Reichweite - also eher ein Spass auf der Fahrt zum Supermarkt… Woohooo
Wenn ein Beifahrer dabei ist, kann man diese “Spässchen” sowieso total vergessen. Ich dachte am Anfang immer, dass ich nur Weicheier als Passagiere hab, weil sich jeder beschwert hat, dass ihnen schlecht wird.. bis ich selbst mal Beifahrer war. Diese ruckartige Beschleunigung kann einem wirklich zusetzen.


Nach zwei Jahren bin ich etwas auf dem Boden der Tatsachen angekommen:

Elektromobilität ist noch weit weg von Massentauglichkeit. Ich hatte das Glück zuhause in der Garage mit Starkstrom laden zu können. Wer in der Stadt wohnt oder sonst auch generell ‘fremd’ laden muss zahlt sich dumm und dämlich und es ist auch einfach nicht praktikabel. Die wenigen Parkplätze in der Stadt sind oft belegt, sauteuer und (zumindest in München) muss man nach 4 Stunden wieder Umparken. Keine Ahnung wie das gehen soll, wenn man das Auto am Feierabend abstellt. Soll ich dann Mitternacht nochmal raus und nen anderen Parkplatz suchen?
Die Umweltdebatte spar ich mal aus (Rohstoffe der Batterie & Entsorgung vs Abgase) - ich hab definitiv kein grünes Gewissen gehabt als ich mit dem Tesla unterwegs war. (Dabei hab ich extra Ökostrom zuhause)
Kostenmässig empfand ich es auch nur marginal günstiger (wenn überhaupt) als einen Diesel (zumindest vor der CO2 Steuer jetzt). Gerade auf längeren Strecken ist man auf Supercharger oder andere Ladepunkte angewiesen - dann wird es schnell teuer - die hohen Strompreise in Deutschland machen es imho nicht sehr attraktiv.

Was ich nie wirklich ablegen konnte in den zwei Jahren war die Reichweitenangst. Laut Tesla komme ich mit dem Long Range Model 3 rund 520 km (oder so ähnlich). Praktisch hab ich um die 450 geschafft im Sommer (wenn man wirklich eher Stadt und Landstrasse fährt). Sobald Autobahn und mehr als 130km/h dazukommt, rutscht man schnell auf 350. Im Winter sind dann direkt mal 30-40% Akkuleistung weg (je nach Temperatur). Da macht es nicht wirklich Spass wenn man für nen Round Trip von 350km ne Stunde an Superchargern rumgammeln muss. 
Generell hab ich weite Fahrten zu Kundenterminen eher auf die Bahn ausgelagert… Man passt sich irgendwie an das Auto an… Generell macht dieses ständige “Mitdenken” und “Vorausplanen” eher mürbe. Spontanität gibts nicht mehr wirklich. :/

Generell zur Technik:
Full Self Driving (FSD) oder “Autopilot” ist Elons Scam des Jahrhunderts. Ich könnte mich immer noch treten, dass ich die Option direkt mitbestellt habe und so leichtgläubig war. Anfang 2019 hiess es dazu auf der Homepage “Vollautonomes Fahren bis Ende des Jahres 2019 / 2020… whatever”. Letztendlich ist es ein glorifizierter Spurhalte-Assistent der auf leichten Strecken durchaus auch mal ne Kurve mitfahren kann - in USA vielleicht sogar etwas im Verkehr. Hier auf der Landstrasse ballerte mein Tesla schön mit 100 km/h in enge Kurven (nur um dann mittendrin festzustellen, dass er das ganze nicht mehr unter Kontrolle hat und mir dann urplötzlich die Kontrolle übergibt). Auf der Autobahn überholt er gerne mal rechts (weil er irgendwann ein Auto auf der linken Spur verloren hat), fährt in Baustellen kreuz und quer oder macht seine berühmten Phantombremsungen: Mal eben von 120km/h auf 60km/h mitten im Verkehr. Reproduzierbar und bei ner einstündigen Fahrt mindestens ein Mal. Mit der Konsequenz, dass ich (und auch Bekannte die einen Tesla haben) dem System nicht mehr vertrauen. Einfach zu unberechenbar und gefährlich. Selbst Stellen die der Autopilot noch vorher ohne Probleme gemeistert hat werden durch ein Softwareupdate dann plötzlich zur Falle. 
Insgesamt sehe ich AP mehr als kritisch und wünsche mir, dass die EU und Deutschland da SEHR genau abwägen bevor sie diese Alpha Software verstärkt auf die Strasse lassen. Ich habe mehrfach nur durch schnelles Reagieren und Korrigieren Unfälle vermeiden können. Ach ja: und wenn es regnet oder schneit, oder auch nur wenn die Sonne tief steht und eine Kamera blendet, schaltet sich das Ding eh wegen “low visibility” ab. Robotaxis … LOL, genau
Ansonsten, ja, das Infotainment System ist allen anderen Herstellern deutlich voraus. Man gewöhnt sich sehr schnell an das schnörkellose Cockpit und den grossen Screen mit Google Maps. Am Anfang war es immer noch spannend wenn ein neues Softwareupdate kam (teilweise jede Woche) - irgendwann hat es mich aber auch genervt und ich hab sie weggedrückt. Und die ob man jetzt wirklich Netflix, Stardew Valley und “Karaoke” im Auto braucht? Einmal ausprobiert, nie mehr genutzt danach.
Zur TouchScreen-Bedienung: Imho nicht so dramatisch wie es hier teilweise beschrieben wurde (besonders der Scheibenwischer). Nichts desto trotz hab ich oft schnell sicherheitshalber den Autopilot angeschaltet wenn ich z.B. Radiosender gewechselt hab. Ein paar Knöpfe mehr mit essentiellen Funktionen wären schon gut.

Was noch? Ach ja, Verarbeitungsqualität: Wie oben geschrieben hatte ich wohl relativ Glück mit Spaltmassen - generell hab ich an dem Wagen wenig auszusetzen gehabt - die Erwartungshaltung war aber auch eher niedrig nach den ganzen Internetberichten Anfang 2019. Trotzdem hatte ich nach rund nem halben Jahr ein relativ nerviges Klappern auf beiden Seiten vorne (wohl Gurthalterung). Tesla hat es bei drei Werkstattbesuchen nicht hinbekommen - ich hab selbst mal die Verkleidung geöffnet und versucht alle möglichen Teile zu isolieren (gibt sogar Youtube Videos zu dem Problem). Habs auch nicht hinbekommen. Generell ist es schon komisch - bei nem BMW wäre ich nie auf die Idee gekommen, da selbst Hand anzulegen sondern hätte in der Werkstatt Krawall gemacht bis es gelöst ist. Auch wenn sie im Service Center immer freundlich und ‘bemüht’ waren, können sie auch immer nur innerhalb ihrer Möglichkeiten arbeiten. Viele der Model 3s in der ersten Phase waren wohl richtige Schrottkarren ab Werk die sehr viel Nacharbeit benötigten. Mit dem Klappern hab ich mich irgendwann arrangiert. Generell ist das Modell 3 sowieso sehr schlecht lärmisoliert - Autobahnfahrten waren schon sehr ‘laut’ - ironisch, das das Auto sonst ja total leise ohne Motorgeräusche ist.

Und nu? Wie gesagt, ich bin froh erstmal wieder auf ein ‘normales’ Auto zu wechseln - ich habe sehr viele Kundenbesuche in ganz Deutschland anstehen und das wäre mit einem “Stromer” eine absolute Qual.
Ich wollte immer nen Tesla haben weil ich einfach fasziniert war von der Technik, dem “iPhone auf Rädern”, der Marke, Elon und dem ganzen Hype aussen rum. Hatte ich jetzt und bin davon nun etwas geheilt. Mal sehen, vielleicht in ein paar Jahren wieder wenn die Reichweite hoch geht und es bessere Ladekonzepte in Städten gibt. Und die Umwelt rettet man mit Tesla sicher auch nicht. AMA.


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