Thema:
Re:Sinfest: „No evidence of fascism.“ flat
Autor: Karotte
Datum:19.01.21 13:34
Antwort auf:Re:Sinfest: „No evidence of fascism.“ von Fritz Schober

>>>>[https://www.sinfest.net/view.php?date=2021-01-19]
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>>>Solange soziale Medien keine staatliche Gewalt haben (legislative, exekutive und judikative), ist das irrelevant.
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>>Imho geht es hier eher um die manipulative Macht bzw. Kontrolle dieser Plattformen, die sich massiv darauf auswirken kann, wer an die staatliche Gewalt kommt.... und wer im Internet von heute auf morgen von der Bildfläche verschwindet. Beides Themen, die ja auch hier im Forum schon diskutiert worden sind.
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>Kann man über jede Art von Werbung und Medien sagen. Ist nichts anderes als Zeitung oder Nachrichtensender. Die formen und formten auch die Meinung der Öffentlichkeit und bekamen dafür Kritik ("Die verlorene Ehre der Katharina Blum" anyone?).
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>Trotzdem sind sie nicht die Regierung. Es bleibt einem frei überlassen die TAZ, Bild, FAZ oder gar keine Zeitung zu lesen. Oder Duschgelcamp und RTL News oder lieber Hitler Dokus im WDR und Tagesschau. Genauso mit sozialen Medien. Die staatliche Gewalt ist das Relevante. Werbung/Propaganda der Medien (und das Internet ist ein Medium) ist Teil der Meinungsvielfalt.
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>Ist es Faschismus wenn die "junge Welt" keinen antisemitisch gefärbten Hassbrief eines Leser abdrucken will oder die "junge Freiheit" keinen Leserbeitrag zur Inklusion von LGBTQIA* Minderheiten veröffentlichen will?
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>Es ist ihre Plattform und ihre Regeln und Ausrichtung.
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>Wer rechte Scheiße verbreiten will muss sich halt bei Telegram und Co. mit Gleichgesinnten austauschen. Wenn seine Meinung nicht massentauglich ist und Dienste wie Twitter Werbekunden verlieren oder juristische Probleme bekommen wenn man sowas zulässt, ist das nun mal deren unternehmerische Freiheit oder sogar gesetzliche Vorschrift.


Ich weiß nicht, ob man Social Media in den genannten Größenordnungen wirklich mit traditionellen Medien vergleichen kann. Afaik wird derzeit fleißig an diesem Themenkomplex geforscht und zumindest schon seit langem kritisiert, dass die Tech-Giganten hier Plattformen auf die Welt loslassen, deren Langzeitwirkung auf die Gesellschaft kaum einzuschätzen ist.

My take: Bei den traditionellen Medien werden Inhalte von einer Redaktion produziert oder zumindest ausgewählt, die dann in einer bestimmten Form veröffentlicht werden — etwa als Zeitung oder Nachrichtensendung. Dies ist die Funktion dieses Mediums, das von seinen Konsumenten explizit wegen dieser Funktion aufgerufen oder gekauft wird.

Social Media ist dagegen sehr viel stärker mit dem Lebensalltag seiner Konsumenten verzahnt. Jeder kann alles mögliche posten oder verlinken — von einer fundierten, wissenschaftlichen Arbeit bis hin zum persönlichen, besoffenen Lall-Video. Man geht nicht nur auf FB, um die Nachrichten zu sehen, man macht _alles_ auf und mit FB, Insta usw. Damit sind diese Plattformen im Leben ihrer Nutzer (potentiell) sehr viel wichtiger und mächtiger als etwa eine Zeitung und entsprechend (potentiell) sehr viel schwerer „wegzulegen“.

Insofern zähle ich mich zu der Gruppe, die davon ausgeht, dass wir hier eine neue Situation haben, der man mit diesen traditionellen Analogien nur bedingt gerecht werden kann.

Ist das, was FB und Co. machen Faschismus? Natürlich nicht. Kann es gar nicht sein, da es, wie du sagst, dafür an der staatlichen Gewalt fehlt.

Aber das bedeutet nicht, dass man die (potentielle) Macht dieser Plattformen nicht bewusst überzeichnen kann. Man kann die Wirkmacht großer Social Media Plattformen schon als eine Situation verstehen, in der sich eine nie dagewesene gesellschaftliche Gestaltungsmacht in den Händen kleiner Grüppchen befindet, die kaum Rechenschaft darüber ablegen müssen. Warum nicht eine kleine Dystopie daraus zimmern, in der diese Macht quasi die staatliche Gewalt übersteigt?

Man muss auch folgendes bedenken: Ich lese seit Jahren Sinfest und schätze den Autor nicht als Alt-Right-Verfechter ein, der hier Trumpaganda Marke „Wir werden zensiert!!!!“ verbreiten will. Kann damit natürlich falsch liegen, aber ich würde das, was er hier macht, tatsächlich eher als Gedankenspiel einsortieren.


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