Thema:
Pictures: Spielerfahrung & Fazit flat
Autor: Cherokee
Datum:22.10.20 15:18
Antwort auf:Brettspiele & co Teil 2 |OT|: Homo ludens von Cherokee

Servus!

Vergangenes Wochenende hatten wir die Gelegenheit „Pictures“ zu spielen, bekanntermaßen gekürt zum Spiel des Jahres 2020. Es las sich vielversprechend, ein kurzweiliges Vergnügen mit einer erfrischenden Variante der Art kreatives Ratespiel.

Wir waren 4 Erwachsene und 1 achtjähriges Kind in der Runde, spannend und lustig zu erleben war, wie meine Nichte an das Spiel herangegangen ist.

Darum geht’s:
3 – 5 Spieler sammeln Punkte, indem sie zufällig bestimmte Fotos mittels jeweils einem von fünf verfügbaren Materialsets, die unterschiedlicher kaum sein könnten, möglichst so darstellen, dass die anderen Mitspieler es erkennen können und gleichzeitig versuchen sie die abstrakten Werke der anderen zu erkennen und zuzuordnen. Wer nach 5 Runden die meisten Punkte hat, gewinnt oder gewinnt ex aequo mit punktegleichen Spielern.

So wird gespielt:
16 zufällige Fotos aus 91 beidseits bedruckter Karten werden im Viereck aufgelegt, in einem kleinen Koordinatensystem A - D und 1 - 4. Die Auswahlplättchen, jede Position kommt 3x vor, kommen in ein Säckchen. Die Materialsets werden zufällig zugeteilt, bei 5 Spielern sind stets alle im Spiel, bei weniger Spielern rotieren die Sets raus und wieder rein, so oder so hat jeder einmal jedes Set. Dann nimmt sich noch jeder einen Zettel wo er die Namen der anderen Spieler und Punkte notiert. Nun zieht jeder verdeckt ein Auswahlplättchen aus dem Sack. Zeigt das Plättchen B3, so muss z.B. ich das Foto an der Position B3 mit meinem Materialset irgendwie erkennbar machen.

Warum soll das jetzt geil sein? Weil die Sets so spaßig ausgesucht sind! Zwei unterschiedlich lange Schnürsenkel die man nun irgendwie arrangieren soll, 6 verschieden geformte Holzbauklötze zum Legen oder Stapeln, 4 Stöckchen mit 4 gewöhnlichen Steinen, ein Mini Bilderrahmen mit Farbwürfelchen aus denen man eine Art Bild, vielleicht vergleichbar mit einem gelösten Mini-Picross, 3x3 Felder, legen muss und 19 Piktogrammkarten aus denen mindestens 2 und maximal 5 Stück für die Umschreibung verwendet werden dürfen. Mit Ausnahme des „Picross“ und der Piktogramme gibt es keine Einschränkung, wieviel man bei den anderen Materialsets verwenden muss, beispielsweise ist man nicht gezwungen alle Bauklötze zu nutzen.
Während der Bau- & Ratephase gibt es keine Reihenfolge. Jeder kann werken und raten, je nach eigenem Tempo. Dabei hat es zumindest uns nicht auf den Sitzen gehalten, sind immer um den Tisch gegangen, haben die Fotos genau angesehen – das ist wirklich wichtig – und die Abstrahierungen betrachtet, uns teils die Köpfe zerbrochen und stets amüsiert und hie und da nicht schlecht gestaunt.
Jeder muss jedem Mitspieler anhand seines Machwerks ein Foto zuordnen, dann werden die verdeckt gezogenen Auswahlplättchen umgedreht, die Rätsel somit gelöst und die Punkte abgerechnet.
Man erhält einen Punkt für jedes erratene Gebilde und einen Punkt für jeden Mitspieler, der das eigene Gebilde erraten hat. Somit bringt Sabotage nichts, was sehr erfreulich ist. Absichtlich unkenntlich zu bauen oder Mitspieler nicht korrekt zuzuordnen verringert oder erhöht keine Punktedifferenzen. Vor der nächsten Runde werden die aktuell gezogenen Auswahlplättchen beiseitegelegt, damit die Wahrscheinlichkeit sinkt, häufig dieselbe Position zu ziehen.

Witzige Mechanik und Dynamik:
Da jedes Auswahlplättchen mehrfach vorhanden ist, kann es vorkommen, dass in mancher Runde mehr als ein Spieler dasselbe Foto darstellen muss. Das Lustige dabei, die anderen müssen anhand völlig unterschiedlicher Materialsets raten und so ist dies ganz und gar nicht eintönig. Dazu kommt auch, dass ich öfter als einmal das selbe Foto ziehen kann, aber auch da habe ich beim zweiten oder seltenen dritten Fall trotzdem immer ein anderes Set. Habe ich mich mit bei Foto A3 mit den Farbwürfelchen vielleicht sehr einfach getan, muss ich mir nun mit dem Set von 4 Stöckchen und vier Steinen etwas ganz anderes einfallen lassen. Ein Plättchen also zurück in den Sack zu werfen, weil man es vielleicht sogar eben schon hatte ist zwar erlaubt aber nicht nötig. Ausnahme, erhält man reihum das Set des rechten Spielers und zieht zufälligerweise auch noch dessen Auswahlplättchen der Vorrunde, kann es sich empfehlen noch mal nachzuziehen. Sollte eine Spielrunde Wiederholungen ganz und gar nicht mögen, darf man die Fotos auch nach jeder Runde ersetzen. Dies kann das Spiel aber in die Länge ziehen, da sich alle nun jedes Mal wieder die 16 Karten genauer ansehen müssen.
Es ist kein „leises“ Spiel, obwohl grundsätzlich jeder für sich baut und rät. Es wird viel gesprochen, sei es mit sich selbst oder (hoffentlich) scherzhaft mit den anderen talentierten Künstlern „DAS wolltest du ernsthaft SO darstellen?“ „Boah, geil gelöst, wär mir nicht in den Sinn gekommen.“ „Wie konntet ihr das nicht erkennen, ist doch bitte eindeutig?!“
Die zu Beginn fast schon einschüchternde Reduziertheit oder grenzwertige Grobheit der Sets verglichen mit den Bildern („Ach was, damit sollen wir solche Fotos darstellen können?“) erweist sich als äußerst gekonnter Designkniff. So wird bewirkt, dass man sich mit wenigen Handgriffen ausdrücken kann oder sogar muss, was einerseits heißt, dass man sich gestalterisch nicht verzetteln kann, andererseits aber auch, dass es sich öfter irgendwie nicht ganz ausgeht, zu eindeutig werden zu können. So entstehen, ein kleiner Geistesblitz zu dem so gut wie jeder im Alltag fähig ist vorausgesetzt, aus zwei oder drei pfiffig ausgesuchten Piktogrammen oder herausgearbeiteten Details von oft sehr filigran wirkenden Szenerien auf den Fotos plötzlich ganz deutliche Assoziationen mit einer Menge Aha - Erlebnissen.

Kinder (ab 8 Jahren empfohlen):
In unserem Fall ein Kind in der Runde zu haben hat das Spiel besonders interessant gemacht. Hier finde ich, das Schöne für Kinder an dem Spiel ist, es gibt kein richtig oder falsch wie sie das Foto darstellen, wie jeder Mensch haben sie ihre eigene Betrachtungsweise und eine teils erstaunliche Fähigkeit zum Herunterbrechen von komplexen Fotoszenarien in eigene Darstellungen mit dem eigentümlichem Materialangebot, ich bin beeindruckt, wie gut das bei diesem Spiel gefördert wird. Da können und sollen sie sich wirklich austoben und man muss als Erwachsener schon ein ziemlicher Arsch sein um die Sicht des Kindes bei diesem Spiel als falsch, schlecht oder blöd abzutun. Kann gut sein, dass die Kleinen uns da sogar einiges voraus haben, Fähigkeiten die wir verloren haben und wir darum durchaus nicht selten mit Unverständnis auf ihren Ausdruck reagieren. In zwei der fünf Runden war ich regelrecht verdattert, wie die Kleine die Aufgaben umgesetzt hat, in zumindest 3 Runden gut erkennbar was mMn dem Schnitt von Erwachsenen entsprechen dürfte, und im Nachhinein dann ihre interessanten Erklärungen dazu.
Besonders bemerkenswert in diesem Zusammenhang wie das dem ersten Eindruck nach anscheinend mit Kindern funktioniert: manche Elemente die sie gelegt hat, wurden von ihr mit einem anderen Verständnis und Hintergedanken gewählt und platziert, von uns Erwachsenen dann anders interpretiert aber trotzdem dem richtigen Foto zugeordnet. Die Bildsprache schlägt Brücken zwischen den Altersklassen.
Sobald gewisse kognitive Fähigkeiten erlangt sind, braucht das Spiel nicht mal eine einheitliche Muttersprache für kleine und große Mitspieler am selben Tisch.

Dauer:
Etwa 30 Minuten würde ich sagen, mit Kindern oder seeehr besonnenen Spielern eher länger, kann eine gute dreiviertel Stunde+ werden. Der Aufbau ist aber in drei Minuten erledigt wenn überhaupt und die Regeln selbst in neuer Runde in 5 bis 7 Minuten erklärt. Beim ersten Auspacken müssen halt etwa 60 Plättchen aus dem Pappbogen gedrückt werden, das ist alles.

Mit wem würde ich das eher nicht spielen:
-Rechthaber mit wenig Verständnis für die Sicht anderer. Kommt bei dem Spiel sicher stark raus. Wird die meiste Zeit diskutieren, warum alle anderen was scheiße dargestellt haben und wie man sich erdreisten kann, seine eigene Interpretation nicht schon nach 5 Sekunden eindeutig zu erkennen. Kenne jemanden, der beim Spiel „Identik“ während einer Aufgabe erbost zu diskutieren anfing, dass die Positionsangaben links/rechts bezogen auf den menschlichen Körper gefälligst mit Rücksicht auf Verständnis eines Röntgenologen zu machen seien. Interessiert keine Sau. Mit dem spiele ich so manches andere vielleicht problemlos aber nicht diese Art Spiel.
-Einpeitscher, die ohne Stoppuhr nicht leben können und als erste „Haben wir’s dann?“ rufen. Nein, es gibt kein Zeitlimit. Manche brauchen eben länger, speziell seien hier wieder die Kinder genannt, und das ist bei dem Spiel gar nicht verkehrt.

Gedanken dazu und Fazit:
Sehr empfehlenswertes Spiel unserer Meinung nach. Könnte ich mir auch gut für kleinere Spielerunden vorstellen, die unter Spieleabend notorisch „Activity“ (Ohne Kette! Ohne Reime!) oder Trivial Pursuit only verstehen - spricht natürlich auch für die Genialität dieser sogar von Spielemuffeln gern gespielten Evergreens - und wo mal frischer Wind rein könnte. Es macht großen Spaß mit den Sets zu hantieren und manch ein Mensch der sich generell für untalentiert und schlecht und peinlich bei fast jeglicher Art Kreativspiel hält, wird möglicherweise sehr positiv überrascht sein, wie schnell und griffig er was gestaltet hat, was dazu vielleicht fast einhellig erkannt wird.
Mich persönlich interessiert ja, wie viel Zeit beim Aussuchen, Testen und Anpassen der 5 Sets nötig war. Denn da finde ich, gelang dem Autorenpaar ein großer Wurf. Noch mehr Sets rein zu quetschen um die Anzahl der Spieler weiter zu erhöhen hätte dem fertigen Spiel vielleicht gar nicht so gut getan. Mir erscheint das sehr gut ausbalanciert. Irgendwann werden sich die Fotos wiederholen aber hier könnte man ja sogar selber für Nachschub sorgen. Unsere Smartphones, SD Karten und das Internet sind ja voll von (Pr0n-) Fotos und Motiven.
Wieder mal ein Brettspiel, welches man besten Gewissens an Freunde und Familie verschenken kann, die eine eher leichte Affinität zum Spiel haben und komplexe Spiele scheuen – um nach der ersten Partie drauf zu kommen, dass mans selber unbedingt haben will und es am nächsten Tag gleich nochmal checkt.

Grüße,
Cherokee


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