Thema:
Natascha Kampusch, Behalte die Kontrolle über dein Leben flat
Autor: peppi
Datum:15.10.20 15:52
Antwort auf:Die M! Tageszeitung - Journalismus VIII von Kilian

Aus der Reihe 75 Lektionen Mut zum 75-jährigen Bestehen der FR:

[https://www.fr.de/zukunft/storys/75-lektionen-mut/natascha-kampusch-entfuehrung-behalte-die-kontrolle-ueber-dein-leben-90070141.html]

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Als die Öffentlichkeit im August 2006 erfährt, dass Natascha Kampusch noch lebt und wieder aufgetaucht ist, ist die Anteilname zunächst riesig. Menschen auf der ganzen Welt verfolgen ihre unglaubliche Geschichte, in der sich die Angst aller Eltern um ihre Kinder manifestiert. Und weil der Täter Wolfgang Priklopil sich durch seinen Suizid der öffentlichen Aufmerksamkeit entzogen hat, fokussiert sie sich vollständig auf sein Opfer: Natascha Kampusch, das „Mädchen im Keller“.

Doch schon früh mischt sich neben dem Mitgefühl noch etwas anderes in die öffentliche Debatte. Nach ihrem ersten TV-Interview nur zwei Wochen nach der Flucht tauchen die ersten missgünstigen Kommentare auf: Warum verhält sich Kampusch nicht so, wie man es vom Opfer eines so grausamen Verbrechens erwartet? Warum ist sie kein Häufchen Elend, warum spricht sie so eloquent – und warum spricht sie überhaupt? Andere prominente Gewaltopfer haben sich aus der Öffentlichkeit zurückgezogen, oft sogar eine völlig neue Identität angenommen. Doch Natascha Kampusch ist anders. Sie gibt in den folgenden Jahren immer wieder Interviews, sie tritt in Talkshows auf und veröffentlicht insgesamt drei Bücher.

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Doch Natascha Kampusch hat eine weitere Theorie. „Verbrechen wie jenes an mir helfen, das Gerüst von Gut und Böse, an dem die Gesellschaft festhält, zu zementieren.“ Hier das hilflose Opfer, das in den Schoß der ehrenwerten Gesellschaft zurückkehrt, da der abgrundtief böse Täter, das Monster. Sie habe an diesem Gerüst gerüttelt, indem sie sich nicht in die Rolle des Opferlamms fügte, – und sich zugleich der Dämonisierung des Täters verweigerte. „Er war ein Mensch, keine Bestie, geprägt von seiner Umgebung“, schreibt sie in ihrem Buch. Doch was sagt es über eine Umgebung aus, wenn in ihrer Mitte solche Taten verübt werden?

Ihr Fall halte der Gesellschaft den Spiegel vor – und keinen schmeichelhaften. Die Verachtung für Frauen, ein „merkwürdiges“ Verständnis von Sexualität und der „alltägliche Wahnsinn in Familien in unmittelbarer Umgebung, in der Nachbarschaft, in der Öffentlichkeit“. All das seien noch immer Tabuthemen, vor denen viele Menschen am liebsten die Augen verschlössen. Wir sehen hin, wenn uns die Neugier treibt, und sehen weg, wenn wir Angst haben, überfordert zu sein mit dem, was wir da sehen.“

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