Thema:
Probefahrt ID.3 Eindrücke flat
Autor: Michael M.
Datum:25.09.20 21:00
Antwort auf:Auto Thread #28: Next is the E von enju

Heute hatte ich die Gelegenheit, eine Testfahrt mit einem VW ID.3 zu machen. Das ganze war Teil einer VW Promotionaktion, wo jemand vom Hersteller zunächst das Fahrzeug erklärt, etwas zu den Hintergründen und Entwicklungsdetails erzählt und gepaart mit einer etwa vierzig Minuten dauernden Probefahrt. Die Fahrt geht dabei im Verbund, im ersten Auto sitzt der Trainer von VW der den folgenden Fahrzeugen über ein Funkgerät instruktionen gibt. Die Strecke führte ein kurzes Stück über die Autobahn, ansonsten Hauptsächlich über Landstraßen und durch Orte. Zudem gab es einen kurzen Zwischenstopp auf einem Parkplatz, wo dann der sehr kleine Wendekreis ausprobiert werden konnte.

Kurze Zusammenfassung für alle, die nicht Wissen worum es bei dem ID.3 geht: es handelt sich um das erste Auto von VW, welches von vornherein für einen Elektroantrieb entwickelt wurde. Die Größe entspricht, mit einer Toleranz von etwa 5cm, denen eines Golf. Da der Antrieb auf der Hinterachse sitzt ist der Radstand deutlich größer als beim Golf, die "Motorhaube" ist etwa nur halb so lang und der Innenraum deutlich größer als im Golf. Das Auto hat einen Motor, der 204 PS zum Beschleunigen und 135 PS zum Verzögern bereitstellen kann. Beim Verzögern wikrt der Motor wie ein "Dynamo" und lädt die Batterie, die richtige Bremse des Fahrzeugs wird nur genutzt, wenn die Verzögerung des Fahrzeugs über den Motor nicht ausreicht. Das Auto kostet mit den Funktionen die uns gezeigt wurden unter einrechnen der aktuellen staatlichen Förderung etwa 28000€, das gleiche es ein Golf mit 150 PS Benzinmotor, Automatikgetriebe und vergleichbarer Ausstattung unter einberechnen der Marktüblichen Rabatte kostet.

Was positiv aufgefallen ist:
- Leise. Unfassbar leise. Selbst für eine Elektroauto. Das man den Antrieb nicht hört erwartet man ja, aber die Abroll- und Windgeräusche sind ebenfalls unglaublich gut gedämpft. Bis Tempo 100 hört man so gut wie nichts.

- Präzision des Gaspedals. Hört sich jetzt erstmalö komisch an aber ich bin noch nie ein Auto gefahren, welches so genau, so spontan und präzise auf das berühren des Gaspedals reagiert. Man hat das Gefühl, dass man millimetergenau rangieren kann und das man Abstände zu anderen Fahrzeugen mühelos konstant halten kann. Die Beschleunigung ist völlig gleichmäßig, verzögerungsfrei und ruckelt in keinser Weise. Auch hier empfand ich das besser als bei anderen Elektrofahrzeugen die ich mal gefahren bin wie den BMW i3 und Tesla Model 3. Mit Verbrennern vergleichen kann man das eh nicht, das ist eine ganz andere Liga.

-Die Beschleunigung aus dem Stand oder aus dem Rollen bis etwa Tempo 80. Man muss sich das Grinsen schon aus dem Gesicht schlagen. Er beschleunigt aber nicht abrupt wie ein Rennwagen sondern völlig gleichmäßig und angenehm, nur halt sehr schnell. Deutlich schneller und angenehmer als mein aktueller Golf mit 235 PS. Man merkt auch in keiner Weise, dass die Elektronik da grad so regelt, dass keine Räder durchdrehen. Auch hier kommen die Vorteile des präzise Regelbaren Elektromotors deutlich zum Vorschein.

- Platzangebot. Dadurch, dass es keinen Motorraum vorne gibt steht innen viel mehr Platz zur Verfügung. Ich als 191 cm Mensch muss den Sitz vier Raststufen nach vorne schieben um die Pedale vernünftig treten zu können. Bei der Sitzeinstellung kann ich mich hinten hinsetzen und die Knie noch problemlos zusammen halten. Auch in der Breite toll, die vorderen Sitze haben einzelne Armlehnen.

- Autonomes Beschleunigen und Bremsen. Wenn man will startet man ACC und das Auto beschleunigt und bremst automatisch. Verkehrszeichen werden beachtet, ebenso der vorausfahrende Verkehr. Alles was man noch macht ist Lenken - und vor Ampeln und Kreuzungen das Bremsen übernehmen, denn das kann er derzeit noch nicht. Falls man döst und eine Kreuzung übersieht warnt das Fahrzeug aber rechtzeitig, so dass man problemlos noch übernehmen kann. Das Bescheulnigen und Bremsen ist auch zügig und fühlt sich absolut natürlich an.

Was Gewöhnungsbedürftig war:
- Die Bremse. Wie oben erwähnt wird die Bremse beim treten des Bremspedals nicht ausgelöst sondern zunächt Energie über den Motor zurückgewonnen. Das fühlt sich bei normalem Fahren auch erstmal nicht ungewohnt an. Wenn man aber mal stärker Bremsen muss wirkt es so, als würde die Bremskraft dann abrupt etwas stärker, wenn die mechanische Bremse einsetzt. Gefährlich ist es nicht, zum einen greift die Elektronik ein und bremst automatisch stärker, falls man die Bremse nicht strakt genug tritt und man macht auch nicht versehentlich ne Vollbremsung, wenn man mal etwas stärker drauftritt.

- Die Optik. Von Hinten und von der Seite: super. Von vorne...wäre es beleidigend, wenn ich sage, dass irgendwann in der Familiengeschichte jemand mit einem Fiat Multipla fremdgegangen ist? Es fällt nicht stark auf aber man erkennt schon eine ganz leichte Ähnlichkeit ;)

Was nicht gefallen hat:
- Berührungen Teil 1: Innenraummaterialien. Der Mann von VW erzählte, dass alles nach Umweltgesichtspunkten ausgewählt wurde. Materialien sind gut Recyclebar, es wird (rechnerisch) CO2 neutral hergestellt, das Fahrzeug ist bis auf die Lenkradoberfläche vegan. Alles gut und richtig (warum ist auf dem Lenkrad kein Kunstleder?). Nur sah jetzt die Türverkleidung nach nur einer Woche aus, als wäre sie 5 Jahre alt. Das Material ist derart hart und kratzempfindlich, dass es in einigen Jahren vermutlich so schlimm aussieht, dass Besitzer anfangen werden es auszutauschen. Es geht dabei nicht nur um Kratzer, das Material hat sich schlich verfärbt, wo es öfter angefasst wird. Wenn solche Kunststoffe irgendwo im Fußraum sind, wo man fast nie hinschaut: völlig in Ordnung. Bei Flächen die man anfasst sollte aber schon Material gewählt werden, was sich halbwegs gut anfühlt und nicht bei bloßer Berührung Schaden nimmt.

- Berürührungen Teil 2: Touch Touch Touch. Ich habe kein Problem mit Touchscreens  aber wichtige Funktionen sollte man vernünftig bedienen können. Beispiel Tempomat. Es gibt eine Fläche mit + und - mit der man das Tempo einstellt. Drückt man ein wenig auf die Touhfläche in 1 KM/h Schritten, drückt man stark in 10 Km/h Schritten. Wenn man jetzt durch ein Schlagloch fährt hat man die Geschwindigkeit dann nicht um 1 KM/h korrigiert sondern mal eben um 30. Ziemlich doof in einer Ortschaft mit einem Auto was verzögerungsfrei Beschleunigt, als hätte man den Hintern angezündet. Man fährt zwar keinem hinten drauf weil es automatisch bremst, vor ner Radarfalle schützt das aber nicht...

- Berührungen Teil 3: Klima- und Lautstärkeregelung. Touchflächen(welch Überraschung) undeutlich beschriftet und nicht beleuchtet. Das ganze Auto hat überall Ambientelicht und die meistgenutzten Komfortfunktionen haben unbeleuchtete Schalter? Muss man nicht verstehen.

Persönliches Fa(hr)zit:
Das Auto überzeugt absolut in der wichtigsten Eigenschaft: den Fahreigenschaften. Leise, Zügig, angenehm zu Fahren, Platz, Tolle Federung, sehr kleiner Wendekreis (kleiner als im VW Up), es macht einfach Spaß. Nicht Sportwagenspaß, Alltagsspaß. Man kommt in einen Stau? Egal, ACC an und das Auto fährt von alleine. Man muss schlicht gar nichts machen. 350 Km schafft man in der Realität locker mit einer Akkuladung, was für mich im Alltag völlig ausreichend wäre. Unterwegs lädt man am Schnellader 200Km Reichweite in 20 Minuten nach, was ich auch angemessen finde. Bei den wichtigen Dingen haben sie alles richtig gemacht. Es bleibt aber der Eindruck, dass für die Detailarbeit am Rest keine Zeit mehr war. Die Bedienung und Materialien sind teilweise Fragwürdig, der Innenraum wirkt ein wenig wie zusammengewürfelt. Eine Anhängerkupplung gibt es nicht, Handyanbinding soll nächstes Jahr (per Softwareupdate) nachgeliefert werden. Es ist im Kern ein sehr sehr gutes Auto bei dem irgendwann jemand gesagt hat "Stop, wir müssen den jetzt aber so wie er ist auf den Markt bringen". Es würde mich wundern, wenn da nicht im nächsten Modelljahr schon einige Änderungen anstehen. Der vor ein paar Tagen vorgestellte ID.4 zeigt ja schon das VW bewusst ist, wo die Schwachstellen sind. Sie sind auf dem richtigen Weg, auch wenn sie gelegentlich noch etwas von der Spur abkommen.


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