Thema:
Re:Prostitution ist immer der Verkauf der eigenen Würde flat
Autor: king_erni
Datum:05.09.20 18:37
Antwort auf:Re:Prostitution ist immer der Verkauf der eigenen Würde von _bla_

Deine Grundannahme ist als bestenfalls schwierig zu beschreiben; einige, dazu zähle auch ich, würden sie als prüde, altmodisch, klischee-abhängig und schlicht eckelhaft abtun.

Warum?

Nun: deine erste Unterstellung ist, dass jedweder einigermaßen attraktive und vor allem junge Mensch nur sehr unwahrscheinlich die Dienstleistung einer Prostituieren in Anspruch nehmen würde, da er ja auf dem "normalen Markt" aufgrund seiner Attribute auch ohne Bezahlung Erfolg haben dürfte. Allein diese Annahme ist oberflächlich, verallgemeinernd und abwertend zugleich. Zudem unterminiert sie Faktoren wie Zeit, Angebot, Zugang und Möglichkeit. Zeit, sich einen Partner für seine sexuellen Aktivitäten zu suchen. Zugang zu einem Pool aus geeigneten Partnern, was dann auch das Angebot ergibt und viertens überhaupt die eigenen Möglichkeit, diesen Partner kennen lernen zu können. Du magst es vielleicht nicht glauben, aber es gibt auch "schöne" Menschen, die schüchtern oder schlicht Dating-unfähig sind oder unter einer verzerrten Selbstwahrnehmung oder anderen psychischen Hemmungen, die ihnen die Partnersuche erschwären, leiden. Oder um es ganz simpel zu machen: es gibt Menschen, die schlicht nicht die Zeit haben, um sich einen Partner zu suchen. Sollen diese Menschen ihre sexuellen Vorlieben nicht ausleben dürfen? Sollen sie sich dafür schämen müssen jemanden für Sex oder schlicht eine abendliche Begleitung zu bezahlen? Ich sehe das nicht so.

Im Umkehrschluss musst du dich fragen, ob ein Escort oder eine Prostituierte nicht über eine gewisse Wahlfreiheit verfügt mit wem sie ins Geschäft kommt. Und hier gilt meiner Meinung nach die Maxime, dass besonders diese Menschen, die ihren Körper und damit einen gewissen Teil ihrer Privatheit verkaufen, unseren besten Schutz und einen gehörige Portion an Respekt und Anerkennung verdienen. Ihr Job ist es nun einmal primär dort eine Nachfrage zu bedienen, wo es intimer und privater kaum sein kann. Deshalb ist ihre Dienstleisung an sich schon einmal sehr speziell und exklusiv. Leider gibt es hier an dieser Stelle Probleme, verursacht durch kriminelles Handeln diverser Menschenschlepper-Banden oder schlicht die Ausnutzung ökonomischer Notlagen junger Mädels aus dem Osten Europas. Hier ist halt der Gesetzgeber gefragt, die Rahmenbedingungen dieses Marktes so zu schaffen, dass er ein Angebots- und kein Nachfragemarkt ist.

Ich kann hier nur individuelle, anekdotische und somit nicht repräsentative Beispiele bringen, da ich sowohl Kontakt zur Escort-Szene als auch zur Prostitution hatte. Diese mir geschilderten Erfahrungen decken deine Vermutungen in keinster Weise, schlimmer noch, sie entlarven ein ziemlich ein-dimensionales, chauvenistisches, spießbürgerliches Bild von bezahltem Sex: in deiner Logik ist die Prostituierte immer das gefährdete, von ökonomischen Zwängen unterjochte Opfer, die sich mit abgehalfterten, unatraktiven, meist älteren Männern (Allein dieses Bild ist schon ein Klischee in sich: Warum sind ältere Menschen denn weniger atraktiv als jüngere Menschen? Warum kann an älterer Mann eine junge Frau nicht respekt- und liebevoll behandeln und vom Aussehen für diese attraktiv sein? Ist das in deinem Menschbild schlicht nicht möglich, weil es nicht möglich sein kann? Warum muss es immer die Konstellation Mann sucht Frau sein, es gibt auch genügend Frauen die Männer für Sex bezahlen. Oder bricht dann dein Weltbild komplett auseinandern, weil nach deiner Logik eine Frau ja schon extrem hässlich sein muss, um einen Mann für Sex bezahlen zu müssen? Merkst du langsam, wie bescheiden deine Annahmen sind?) abgeben muss, damit sie ihren Lebensunterhalt verdient. Das ist halt das Bild, welches in vielen Köpfen von diesem Gewerbe existiert, aber schlicht nicht haltbar ist. Du kannst selbst gerne einmal in Hamburg durch die Herbert-Straße gehen und dir dann anschauen, welche Männer von den dort tätigen Damen primär angesprochen werden und welche Männer man versucht so schnell wie möglich los zu werden. Zudem kannst du dir dann auch die Klientel anschauen, die dort unterwegs ist und du wirst fest stellen, dass dies so bunt gemischt ist, wie es unsere Gesellschaft nun einmal ist. Und die Herbertstraße ist jetzt nicht das Aushänge-Schild dieses Gewerbes.

Es gibt übrigens genügend Reportagen, Dokumentationen und Erlebnisberichte von (ehemaligen) Sexarbeiter(innen) die dir ein sehr genaues Bild ihrer Arbeit geben dürften. Du wirst auch dort fest stellen, dass dein von dir gezeichnetes Szenario auftritt, aber in seiner Häufigkeit doch arg reduziert ist.


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