Thema:
Re:Cancel Culture - Kollektive Zensur flat
Autor: Pezking
Datum:15.08.20 19:34
Antwort auf:Re:Cancel Culture - Kollektive Zensur von Pjotr

>>Ja, so habe ich das auch verstanden. Und da frage ich mich, warum man immer noch vom Schreckgespenst "Cancel Culture" fabuliert, wenn der Veranstalter einfach nur vor komplett hypothetischen Gefahren Angst hatte? Vor Drohungen, die es nie gab?
>
>Diese Paranoia ist gerade ein Kernelement einer jeden "cancel culture". Was wir hier sehen ist aus sozialpsychologischer und soziodynamischer Sicht ein Äquivalent zu den Hexenjagden der Frühmoderne, zur Terrorherrschaft der Jakobiner oder zur Kulturrevolution - amplifiziert durch social media. In solchen Systemen können Gerüchte, Missverständnisse oder Nichtigkeiten eine enorme Eigendynamik entwickeln, die sich weder rational abschätzen, noch limitieren lässt. Eine objektive Gefahrenabschätzung ist nicht mehr möglich und viele Individuuen, Arbeitgeber oder Veranstalter ziehen lieber durch vorauseilenden Gehormsam den Kopf aus der Schlinge.
>
>>Wenn eine Schule wegen einer Bombendrohung geräumt wird und sich danach herausstellt, dass es gar keine Bombendrohung gegeben hat, dann rückt man doch auch nicht einfach trotzdem die "Bomber Culture" in den öffentlichen Fokus?
>
>Der kulturelle Kontext bestimmt, wie wir auf Gefahren reagieren. Wenn es in Gesellschaften eine "Bomber Culture" gibt, also häufige Bombenanschläge, dann würde man weitere Bombendrohungen natürlich um einiges ernster nehmen.


Aber reden wir uns nicht gerade die Existenz einer "Cancel Culture" herbei? Bzw. muss man nicht tunlichst verhindern, dass die Leute voreilig sicherheitshalber jeden Shitstorm bei Twitter als potenziell nächstes #metoo werten? Da fehlt doch momentan jeder kritische Blick auf die Inhalte der Vorwürfe; es wird einfach alles ernst genommen! Jeder konservative Satirelegastheniker, jeder paranoide Scheuklappenbürgerrechtler bekommt so maßgeblichen Zugriff auf das gesellschaftliche Leben.

Warum ist man nicht in der Lage, zwischen #metoo und #blm auf der einen und #umweltsau und #adelandielaternen auf der anderen Seite zu differenzieren? Das ist doch nicht schwer?

Und da sehe ich auch den entscheidenden Unterschied zu Hexenjagden, McCarthyism usw.: Das waren hysterische Verfolgungen, die Leute mit tatsächlicher Macht initiierten. Ein Tribunal, einen Senator, die Inquisition oder einen Untersuchungsausschuss kann man schlecht ignorieren. Aber Twitter-User? Das ist doch noch weniger als eine Onlinepetition! Das ist eigentlich nix!


< antworten >