Thema:
Extra für dich eine lange Meinungserläuterung flat
Autor: Telemesse
Datum:05.07.20 19:59
Antwort auf:ja, das fasst deine Äusserungen gut zusammen von Matze

>"Hat mir auch nicht geschadet" (übrigens erschreckend, wie sehr dieses "Argument" dem meist genannten gegen das Verbot von Kindesmisshandlung gleicht, allein das sollte allen die es verwenden schon zu denken geben) und "die Ego-Jugend von heute, die nur die Hand aufhält" (wofür eigentlich?). Mehr Boomer-Mimimi geht nicht.
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>Ich dagegen möchte niemanden ändern und niemandem vorschreiben, wie er sein Leben zu leben hat. Ich würde höchstens eine Anti-Dienstpflicht befürworten, bei der junge Leute ein Jahr lang ohne Arbeit eine angemessene Bezahlung bekommen, um sich ganz der Liebe oder anderen schönen Dingen widmen zu können.


Es hat mir nicht nur nicht geschadet es hat mich sehr verändert und geholfen mal ein ganz andere Blickweise auf viele Dinge und eine ganz andere Sozialkompetenz zu entwickeln.
Ich war mit vielen Leuten aus verschiedensten sozialen Schichten zusammen mit denen ich sonst im „normalen“ Leben niemals Kontakt gehabt hätte. Da war vom Hilfsschüler zum Abiturienten und vom Maler bis zum Akademiker alles am Start. Man lernt andere Perspektiven kennen und man lernt sich mit Leuten zu arrangieren, die man sonst vielleicht links liegen gelassen hätte; und plötzlich merkt man das die alle gar nicht verkehrt sind und das man als Gemeinschaft vieles meistern kann. Ob einer Ossi oder Wessi, Muslim oder Christ, hell- oder dunkelhäutig ist spielt ganz schnell überhaupt keine Rolle mehr. Wir wurden auch alle mal geerdet. Die meisten kamen aus der heimischen Stube und waren mehr oder weniger verwöhnte Muttikinder. Wenn du aber mal gemeinsam eine Woche im Februar auf der schwäbischen Alb bei Minusgraden im Wald biwakiert hast, lernst du eben auch eine ganz andere Wertschätzung gegenüber ansonsten ganz banalen Dingen. Das war nicht immer spaßig aber im Nachhinein eine Erfahrung die ich nie mehr missen möchte. Die Rückkehr in die spartanische Kaserne haben wir gefeiert wie das betreten eines 5 Sternehotels. Ein beheiztes Zimmer und ein Wasserhahn aus dem warmes Wasser fließt, das war in dem Moment wie Weihnachten. Das vergisst man nie wieder. Dann haben wir damals beim Altmühltalhochwasser als Pionierbattaillon tagelang in der Sandgrube Sandsäcke voll geschaufelt und gemeinsam mit dem THW Dämme gebaut und Leute und Tiere aus überfluteten Ortschaften evakuiert. Dabei haben wir tagelang kaum geschlafen und waren permanent im Einsatz; und keiner hat das jemals als Sklavenarbeit empfunden. Im Gegenteil wir waren stolz, daß wir mit unserer Manpower und den Pioniergerätschaften den Menschen helfen konnten. Ganz ohne Bezahlung, Die Dankbarkeit der Leute denen wir helfen konnten war uns mehr wert als jedes Geld der Welt.
Das sind solche Erlebnisse die Zusammenschweissen und einer Gesellschaft ein ganz anderes Gemeinschaftsgefühl geben kann. Dafür war die Bundeswehrzeit nicht nur für mich immens wichtig. Und ja, das war nicht immer lustig, ganz im Gegenteil aber Erfahrungen sammeln und lernen ist eben nicht immer nur lustig. Man muss auch mal lernen sich selber zurückzunehmen, sich in einer Gemeinschaft einzubringen und mit Entbehrungen klarzukommen ohne zu jammern, Das alles gibts nicht mehr. Jeder denkt nur an seinen eigenen Arsch und ist ganz groß damit zu fordern  und zu verlangen oder auf Social Media groß das Maul aufzureißen. Wenns aber mal darum geht wirklich mit anzupacken oder auch mal was ehrenamtlich zu machen wird von Sklavenarbeit und ähnlichem gefaselt.
Mein Bruder hat Zivildienst geleistet und 18 Monate in einem Pflegeheim geschuftet, alten Menschen geholfen und saubergemacht die sich regelmäßig eingenäßt oder eingekotet haben. Dann war er auch häufig mit dem Sterben von Heimbewohnern konfrontiert zu denen er zuvor eine emotionale Bindung aufgebauthat. Hat das alles Spaß gemacht? Sicherlich nicht aber es geht hier auch nicht um Spaß sondern um das sammeln von Erfahrungen, der Hilfe an der Gesellschaft und um die Wertschätzung von schwierigen Arbeiten die andere ein leben lang tagtäglich verrichten und dafür auch noch lausig bezahlt und gesellschaftlich ignoriert werden.


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