Thema:
Re:Tichy siegt gegen „Correctiv“ vor Gericht flat
Autor: token
Datum:28.05.20 19:24
Antwort auf:Re:Tichy siegt gegen „Correctiv“ vor Gericht von ChRoM

>>Guter Journalismus ist objektiv und sachlich - jedoch nicht neutral.
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>Die Argumentation halte ich für einen Kunstgriff von Haltungsjournalisten, um ihre mangelnde Objektivität zu rechtfertigen. Natürlich soll Journalismus nicht "neutral" sein im Sinne von: Wir stellen Trump'sche Fakenews gleichwertig neben eine wissenschaftliche Studie zu ichweißnichtwas. Darum geht's (mir) ja gar nicht. Es geht darum, dass seriöse Medien heute kampagnisieren, was früher nur Bild oder Krone gemacht haben. Das Selbstverständnis vieler Jouralisten heute ist, Meinung zu machen und zu formen, statt Meinungsbildung zu ermöglichen. Und das ist ein Jobverständnis, das ich nicht teile. Und viele befreundete Journalisten übrigens.
>
>Schon etwas älter, und denke ich wahrscheinlich auch bekannt, weil das damals ziemlich die Runde gemacht hat. Um den Mann zu zitieren: "Als Journalisten haben Sie nicht die Aufgabe, den Leuten zu sagen, was sie denken sollen. Ihre Aufgabe ist es, sie auf Dinge aufmerksam zu machen, über die sie nachdenken sollten."
>[https://www.faz.net/aktuell/feuilleton/debatten/jay-rosen-schreibt-einen-brief-an-die-deutschen-journalisten-15765235.html]


Das ist ein ziemlich guter Artikel, nur verstehe ich nicht wie du den mit all den Vorwurfsmodellen bzgl. der Problematik journalistischer Haltungen in Einklang bringen magst. Es reicht halt nicht sich den Satz rauszupicken der dazu passt und alles andere zu ignorieren.

Ein Ausschnitt zum Thema Haltung, wobei ich hier trotz Ausschnitt nix aus dem Kontext reiße:
Deutsche Journalisten betrachten es als ihre Aufgabe, für die Rechte von Minderheiten einzutreten und zu verhindern, dass Links- oder Rechtsextreme den öffentlichen Raum kapern. Nicht nur in ihrer privaten Meinung, auch in ihrer journalistischen Arbeit verteidigen sie Demokratie und Menschenwürde. Sie treten für das Staatswesen ein, das sich in der Nachkriegszeit herausgebildet hat und in Europa fest verankert ist.
Für mich ist das die große Stärke des deutschen Journalismus.

Ich sehe also nicht dass der Autor hier eine Problematik ausmacht, im Gegenteil.

Weiter im Hinblick auf die Begründung von entstandenen Schieflagen die sicher auch zur einer Unterfütterung des Vertrauensverlustes in Teilen der Gesellschaft beigetragen haben.

Es gibt einen Unterschied zwischen journalistischem und politischem Handeln. Das entbindet Journalisten jedoch nicht von der Pflicht, ein gutes politisches Urteil zu beweisen. Problematisch war das Engagement für die Willkommenskultur nicht wegen des emotionalen „Refugees welcome“, sondern wegen der Illusion, dass es so einfach funktionieren würde. Das war kein gutes Urteil.

Auch hier wird nicht Positionierung als Problem begriffen, sondern das Urteilsvermögen und ein Mangel an Gesamtdarstellung.
Okay, auch den Verzicht auf weitsichtige Gesamtdarstellung könnte man grundsätzlich auch als Verfälschung im Sinne einer "Kampagne" begreifen.
Etwas gezielt nicht anzusprechen, ist schließlich auch eine Form von Aussage.

Ich denke jedoch das ist im gesamten Kontext äußerst kompliziert. Denn da kommt einiges zusammen. Zum einen, dass die Flüchtlingskrise zu einem Zeitpunkt kam, an dem schon längst die systematischen Angriffe auf das Vertrauensverhältnis etablierter gesellschaftlicher Institutionen auf Anschlag waren. Medien standen da schon geraume Zeit unter diesem Sperrfeuer. Dazu noch die massiven Umwälzungen durch soziale Medien die eine große Herausforderung für die Orientierung im Hinblick auf den eigenen Auftritt darstellten und nicht zuletzt auch mit großen wirtschaftlichen Einbrüchen einhergingen. Der ÖR hatte sein Sicherheitsnetz, andere nicht und da ging (und geht) der Arsch zunehmend auf Grundeis.
Medien als solche befanden sich aus vielerlei Gründen in einem massiven Stresstest, Unsouveränitet in einer massiven Stresssituation braucht keinen elitären Masterplan hinter einem geheimen Vorhang und Absprachen, sowas passiert auch schnell von selbst.  

Und nicht zuletzt die Anomalie BILD. Meine Ansicht ist ja, dass ich solche Dinge nicht gut finde, aber schon denke dass solche Organe in einer demokratischen Gesellschaft wichtig sind. So wie Kirchen, gegen die ich zwar persönliche argumentiere, hierbei jedoch verstehe dass meine persönliche Haltung diese für verzichtbar zu halten, aus gesellschaftlicher Perspektive zu einem anderen Schluss kommt. Nämlich dass diese Plattform für ganz ganz viele Menschen und somit für die Gesellschaft wichtig sind. Diese Wichtigkeit kann ich anerkennen und die Institution dennoch Scheiße finden. Das ist kein Widerspruch.

Und als die BILD dann diesen radikalen Schwenk nach links gemacht hat, hat ihr Publikum diesen Schwenk nicht mitgemacht. Sie hat eine Art Vakuum geschaffen.
Man ist ihr nicht in vollem Umfang gefolgt, neue Kundschaft hat man auch nicht akquiriert, und als sie umkehrte hat etwas anderes dieses Vakuum ausgefüllt.
Was man bis heute offen bedauert.
Ergo, auch die BILD war im Grunde wichtig und ihr für ihre eigentliche Positionierung wunderlicher Auftritt in der Flüchtlingskrise aufgrund ihrer Reichweite vielleicht auch ein ganz wichtiger Baustein für das Erstarken des Populismus in Deutschland abseits etablierter Medien.

Das ist aber durchaus auch weiterführend interessant wenn man diesen Vorfall gegen den vermeintlichen Mangel an Objektivität und den Vorwurf der Meinungslenkung seitens der Medien verprobt.  

Was bedeutet das wenn ein so einflussreiches Medienorgan wie die BILD, wo man sicher sagen kann dass die einerseits oft genug Hebel für politische Einflussnahme war wie auch sicherlich als Meinungsverstärker fungierte nicht in der Lage ist bei einem Standortwechsel der politischen Ausrichtung ihr Publikum mitzunehmen? Vielleicht, dass sowas wie Meinungsvorgaben durch das Medium dem man folgt, gar nicht geht.
Du kannst eine schon vorhandene Haltung im begrenzten Maße beeinflussen oder verstärken, du kannst sie aber nicht einfach so umstülpen.
Kurzum, die sogenannten sheeple sind ein Phantom. Es ist komplizierter als das. Bürger sind keine Roboter deren Quellcode sich aus Zeitungsartikeln speist.

Und auch wenn man sich selbst fragt, welchen Medien folge ich, dann kommt man zum Schluss dass man nicht von Plattformen aktiv angeworben wurde, sondern dass man sich in einem pluralistischen Plattformangebot genau die Plattformen ausgesucht hat, die gut zu einem passen und Schwerpunkte setzen die man weitestgehend teilt.  

Wenn sowas wie Umstülpen nicht geht, dann jedoch muss man sich fragen, warum die neue Rechte wächst und wächst und wächst. Wie funktioniert das wenn man sich aus einer linken Birne nicht einfach so einen rechten Apfel basteln kann?
Ich glaube hierzu gehören zwei Aspekte. Zum einen, dass man im Hinblick auf seine eigene Ausrichtung Aspekte instrumentalisiert die schon heute in der Bevölkerung verankert sind. Man repräsentiert etwas das Tendenzen bedient die in vielen Menschen gar nicht erst erzeugt werden müssen sondern immer da waren.
Zum anderen kommt noch etwas anderes hinzu, was wir verstärkt beobachten.
In einem Wettrennen gibt es zwei Wege deinen Gegner zu schlagen.
1. Du läufst schneller.
2. Du brichst ihm die Beine.

Diese Strategie dem Gegner die Beine zu brechen ist kein illuminatorischer Verschwörungsgedanke, dieser Angang wird offen von der neuen Rechten kommuniziert und ist auch klar beobachtbar. Wichtig ist, zeig keine Schwäche, gestehe keine Fehler ein, halte immer Kurs. Das Publikum was du hast verlierst du nicht dann wenn du deine Haltung hältst, sondern genau dann wenn wenn du deine Haltung änderst.
Das Publikum was du hast, das hast du und dieses Publikum behälst du auch wenn du Kurs hältst. Dieses Publikum zu vergrößern, also neue Jünger zu werben, ist verdammt schwer. Aber, das Publikum deines Gegners so zu verunsichern dass sie diesem nicht mehr trauen, das geht relativ einfach.

Und das ist das was wir beobachten.
Und es ist das was zunehmend auf uns alle abfärbt und zunehmend statt einem pluralistischen Meinungsbild zu einer binären Schlammschlacht führt.
Und wie so oft geschrieben, ich selbst bin ob einer Lösung ratlos. Ich bin mir aber ziemlich sicher welche Front diese Problematik hat eskalieren lassen. Nur ist das eine Erkenntnis ohne Wert. Es ist wie es ist, und es wäre auch nicht besser wenn der Auslöser woanders verortet wäre.

Sich auf Schuldzuweisungen zu versteifen ist wie bei zwei Geschwistern im Kleinkindalter die sich gegenseitig anpflaumen wer angefangen hat. Es ist nicht relevant. Wer da den Stift zieht ist die Mutter die einfach beide auf's Zimmer schickt, und eine solche Mutti die wir alle respektieren haben wir nicht. Was wichtig ist, dass wir alle am Ende des Tages wieder zu einem Weg finden müssen sich miteinander zu arrangieren. Die einzige Alternative dazu wäre sich gegenseitig auszulöschen. Und das kann niemand wollen. Wenn das was andere denken und meinen aber etwas darstellt was man schwerlich beeinflussen kann, eine Sache hat man klar selbst in der Hand.
Nämlich ob man sich selbst wie ein Idiot benimmt und dieses bescheuerte Affentheater mitmacht. Und dieses Affentheater hat viele Facetten. Persönliche Anfeindungen statt themenbezogenen Austausch ist eine davon. Sich wie ein Troll zu benehmen eine andere. Mit provokanten Kampfbegriffen zu provozieren auch eine. Und Dinge zu fordern die markant gegen unseren kleinsten gemeinsamen Nenner verstoßen, nämlich die Grundwerte auf denen unsere Gesellschaft fußt, auch.


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