Thema:
Re:Gestern Anruf gehabt von einem Meinungsforschungs- flat
Autor: Telemesse
Datum:08.05.20 14:16
Antwort auf:Re:Gestern Anruf gehabt von einem Meinungsforschungs- von Doc Ower

>Stimmt so nicht und ist gnadenlos überzeichnet. Und historisch auch noch so falsch, da weiß man gar nicht wo man anfangen soll.
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>Den Widerstand, den es bis zuletzt gab, war in großen Teilen nur noch von fanatischen Stadtführern und Militäroberen gehalten. Die einfache Bevölkerung war seit 1943 mürbe, aber spätestens seit dem totalen Krieg, Militärgerichten und ad-hoc-Erschießungen und dem vereitelten Attentat ab 1944 war die Bevölkerung genauso Geisel der Nazis. Einige möchten jetzt schreien "selbst Schuld!", aber dem war nicht so.
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>Meine Familiengeschichte ist etwas komplexer, aber eine Hälfte hat noch 1933 in den Wahlen den Nazis zur Machtergreifung geholfen, und auch die waren froh als der Spuk vorbei war.
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>Lies doch mal in den Berichten der späten Kriegszeit, wie viele (auch ehemalige Nazi)-Bürgermeister sich mit der SS angelegt haben, um Städte kampflos übergeben zu können.
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>Die Menschen sind nicht so schwarz-weiß wie du das hier gemalt hast. Das liest sich ja beinahe so, als wäre einfach jeder ausnahmslos Schuld gewesen und als hätten viele, die einmal Nazis gewählt hatten nicht später einsehen können, was für ein Fehler das war.


Die Menschen versuchen in der Regel das beste für sich aus der jeweiligen Situation zu machen. Klar war die Bevölkerung Kriegsmüde und hat sich ein Ende des Kämpfen und Sterben herbeigesehnt. Das ist aber eben nicht gleichzusetzen mit dem Wunsch nach einer „Befreiung“ durch die Alliierten bzw. Amerikaner. Hätte Hitler doch noch irgendwelche schlagkräftigen Wunderwaffen aus dem Hut gezaubert die funktioniert hätten, Jodl mit seinen Panzerdivisionen die Amerikaner in den Ardennen vernichtet und danach Berlin befreit und die Russen zurückgeschlagen wäre der Widerstand ganz schnell wieder recht klein geworden und die Menschen hätten sich wieder mit dem Regime arrangiert.
D.h. hätte man 1944 eine Umfrage gestartet was die Deutsche Bevölkerung lieber haben möchte:
A: Die „Befreiung“ durch die Alliierten also das Verlieren des Krieges und jeglicher Selbstbestimmung oder B: Eine am Ende doch noch siegreiche Deutsch Armee, bin ich mir recht sicher das Variante A nicht mehrheitsfähig gewesen wäre. Am Ende ist es ja auch fast nur den Amerikanern zu verdanken, daß man aus heutiger Sicht von einer Befreiung sprechen kann. Wären die nicht dabei gewesen und die Russen hätten die alleinige Deutungshoheit über die Kriegsverlierer wahrgenommen, wäre es den Deutschen wohl deutlich schlechter ergangen.

D.h. imo war der 8. Mai der Tag der endgültigen Niederlage von Nazideutschland als Kollektiv. Aus heutiger Sicht kann man sagen, daß es das beste war was uns passieren konnte aber eine Befreiung war das damals eben ausschließlich für Kriegsgefangene und KZ Überlebende. Für die Deutschen, egal ob mit viel oder wenig Schuld, war es erstmals der Tag des Endes aller Allmachtträumereien und der Gang in eine ungewisse Zukunft.

Hier noch ein Artikel von Michael Wolfssohn der es eigentlich ziemlich genau auf den Punkt bringt.
[https://www.theeuropean.de/michael-wolffsohn/weltgeschichtliche-betrachtungen-zum-8-mai-1945/]


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