Thema:
Re:Sehr interessant, danke. Einige Fragen flat
Autor: Sven Mittag
Datum:24.02.20 13:56
Antwort auf:Sehr interessant, danke. Einige Fragen von thestraightedge

>>Man stelle sich das Szenario nur in anderen Berufssparten vor. Der Arbeitgeber stellt fest (2-3 Jahre später), dass es weniger Einnahmen in einem Jahr hatte und fordert das Gehalt von seinen Angestellten einfach anteilig zurück, damit er keinen Verlust macht. Aber ich weiß: es geht ums Sozialsystem, daher ist es natürlich voll in Ordnung!
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>Im Endeffekt ist das aber doch in vielen Fällen ab bestimmten Einkommen genau der Fall: es wird erfolgsabhängig vergütet. Darauf kann man eine Vorauszahlung erhalten (riskant), oder eben nicht (sicher), damit man nichts zurückzahlen muss, wenn der Jahresabschluss vorliegt. Du könntest ja auch jeden Monat einfach weniger nehmen und Dich freuen, wenns dann einen nachgelagerten Bonus gibt.


Nur ist dies eben keine erfolgsabhängig Vergütung. Nochmal: Dir wird ein Gehalt zugesichert, dein Arbeitgeber nimmt es dir im Nachgang mit der Argumentation, er hat halt nicht genug Geld. Ggf. ja gerade WEIL du mehr gearbeitet hast als vorgesehen. Zudem hast du keine Möglichkeit dies abzuschätzen, da es im deutlichen Zeitversatz geschieht. Ist ja nicht so, dass hier aufgrund von erfolgreichen Behandlungen die Mehr- oder Wenigerzahlung zustande kommt. Vergleichbar wäre im Endeffekt eine Gehaltskürzung bei den Beamten, weil die Steuereinnahmen in dem Jahr geringer als erhofft ausfallen. Wird es so wohl nie geben ;)


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>>Der Grund für eine solche rechtlich sehr fragwürdige Prüfungsmethode der Wirtschaftlichkeit ist dabei recht einfach. Sie ist einfach! Eine genaue Prüfung auf unwirtschaftliches Handeln würde einen enormen Zeitaufwand kosten, welcher der Gesetzgeber sich einfach nicht aufbürden will. Auch wenn dies rechtlich aus … nun ja sehr fragwürdigen Füßen steht. Aber solange das Sozialgericht immer „Pro Staat“ entscheidet und sich das Verfassungsgericht weigert, diese Dinge zu behandeln, macht rebellieren nur wenig Sinn.
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>Das ist natürlich bürokratisch ohne Ende, aber: wie sonst sollten Kontrollmöglichkeiten aussehen, damit sich Ärzte nicht durch durch sich selbst veranlasste Maßnahmen bereichern, die ggf. nicht nötig wären? Ich verstehe das aktuelle Prinzip so, dass es eine Art Statistik gibt, welche hier die Richtung vorgibt. Das wäre ja erstmal nachvollziehbar...


Klar ist dies eine rein statistische Beurteilung. Und mir ist auch klar, dass dies vornehmlich als Kontrollmechanismus dienen soll. Nur ist dieses System, wie auch der obige Punkt mit der Budgetrückzahlung einzig dem System geschultet, dass die Politik zwar auf der einen Seite ein freiberufliche Medizin will, auf der anderen Seite eine soziale Komplettversorgung. Und beides kriegt man (fair) nicht unter einen Hut.

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>Und: In meinen Augen hat in viel zu vielen Fällen der Schulterschluss mit der Pharmaindustrie gezeigt, dass Ärzte nicht verlegen sind, sich selbst "kreative Einkommenswege" zu eröffnen. Das ist ein riesiges Problem.
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>>Dies ist jetzt nur ein kleiner Einblick in unser tolles Kassensystem. Und wenn ihr mir eins glauben mögt. Wenn die Bürgerversicherung wirklich kommen sollte, so werden die „Besonderheiten“ nur zunehmen. Anstatt nämlich am Versicherungsrecht rumzuspielen, sollte man in der Politik das System in seiner Gänze überdenken.
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>Viel von dem was Du erläuterst empfinde ich auch als problematisch - aber nicht als problematischer als das, mit dem sich Unternehmer und Startups hier auseinandersetzen müssen.
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>>Der Grund ist natürlich ebenfalls sehr einfach. Ein Gesundheitssystem, welches komplett verstaatlich wäre, ist teurer und bei weitem nicht so effektiv. Ich würde ohne finanziellen Druck eben keine 70 Stunden mehr arbeiten und als Chef im Alleingang alle Aspekte der Praxis stemmen. Einfach weil ich es am Ende muss…
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>Darf man fragen, wie sich die 70 Stunden bei einem Zahnarzt zusammensetzen? Die Netto Praxis-Zeit sollte ja eher so bei 45 Std liegen, oder?


Bei uns 38,5 Stunden reine Plan-Behandlungszeit, circa 10 Stunden Schmerzfälle, circa 10 Stunden Akten, circa 5-10 Stunden Steuer/Angestellte/Bankwesen/EDV/Reparaturen.


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