| Hier mal die ersten 2,5 Seiten von Mietglieder |  |
Die Beinahe-Bürgermeister-Bertram-Gasse (1) war ein Vorbild an Zwielichtigkeit. Das war sogar amtlich bestätigt. Es war ständig nass und es roch, als hätte es gerade eben noch geregnet, auch wenn sich seit Monaten kein Regentropfen mehr hierhin verirrt hatte. Die modrigen Mauern der Gebäude schienen sich schützend über die Köpfe der Menschen zu neigen, um deren Treiben in Dunkelheit zu hüllen. Finster dreinblickende Gestalten musterten jeden Unbekannten, und ganz besonders so manchen Bekannten, misstrauisch, während sie mit einer Hand etwas am Gürtel fest umklammerten - vielleicht einen Dolch oder aber auch nur den Geldbeutel. Genügend Gründe also, um vom ‘Amt für Zwielichtigkeit’ nun schon vier Jahre in Folge die Plakette ‘Besonders zwielichtig’ verliehen bekommen zu haben. Die Bewohner haben sich nie öffentlich über diese Anerkennung geäußert, weder positiv noch negativ. Dennoch konnte sich selbst der schlimmste Dreck nie länger als ein paar Stunden auf der Plakette halten.
Jonas kratzte sich am Kopf, während er die golden glänzende Plakette am Eingang der Gasse betrachtete. “Amt für Zwielichtigkeit, was es nicht alles gibt” murmelte er. “Die haben hier wohl mittlerweile Ämter für alles.” Er lag damit sogar fast richtig. In Mar Kalaar gab es derzeit 87 Behörden und fast jede Woche wurden welche geschlossen und neue eröffnet. Meistens wurde einfach nur das Schild über der Eingangstür ausgetauscht. Eines der schon länger existierenden Ämter war das ‘Amt für Alles’. Eine eigentlich regulierende Institution, die dem behördlichen Wildwuchs irgendwann aber nichts mehr entgegen zu setzen hatte und nun nur noch so tat, als ob sie alles unter Kontrolle hätte, um der Schließung zu entgehen.
Jonas, seit 10 Jahren hauptberuflich Abenteurer, war Mitte Dreißig und halbwegs gut aussehend. Halbwegs, weil ein Großteil der linken Gesichtshälfte durch Brandnarben entstellt war. Er konnte aber noch immer seinen Charme spielen lassen, so lange seine schulterlangen Haare die Narben verdeckten. Leider fehlte ihm seit ein paar Tagen auch der rechte Arm. Deswegen musste er einen unplanmäßigen Halt in der Küstenstadt einlegen. Ein zeitraubender Umweg, den er lieber vermieden hätte.
Sein Ziel befand sich auf halbem Wege durch die Gasse. ‘Mietglieder’ stand auf einem auf Hochglanz polierten Messingschild, das ein gutes Stück über den Schildern der anderen Läden in die Gasse hinein ragte. In das Schild war auch das Markenzeichen des Ladens eingraviert - ein Arm und ein Bein, die sich kreuzten. Wer jetzt an einen Schreibfehler denkt, dem sei gesagt, dass es sich hier nicht um einen exklusiven Legastheniker-Club handelte, sondern man dort tatsächlich Körperteile aus Fleisch und Blut mieten konnte. Jonas strich sein Haar zur Seite und setzte sein grimmiges ‘Ich reiß dir auch mit nur einem Arm den Kopf ab’-Gesicht auf, bevor er losging. Unbehelligt erreichte er den Laden und betrachtete die bunten Werbetafeln im Schaufenster, die es bei seinem letzten Besuch noch nicht gegeben hatte.
Auf einer der Tafeln war der berühmte Ork Peter Müller zu sehen. Der grünhäutige Hühne wurde ohne Arme geboren und als Säugling von seinen Eltern im Wald ausgesetzt, wo ihn Menschen fanden und bei sich aufnahmen. Im Alter von 13 Jahren hörte er von einem Laden, bei dem man angeblich echte Körperteile mieten konnte. Angetrieben von seiner Sehnsucht, endlich seine Familie umarmen und als Äxte schwingender Barbar arbeiten zu können, machte er sich auf den Weg nach Mar Kalaar und wurde schon bald Stammkunde. Dank unzähliger Heldentaten konnte er sich zur Ruhe setzen und fungierte seitdem als Werbeträger für Mietglieder. Im wahrsten Sinne des Wortes. In der Öffentlichkeit trug er stets die neuesten Arme aus der Premiumkollektion. Leicht erkennbar an dem farbig tätowierten Logo und den meisterhaft verschnörkelten Verzierungen, die faszinierende Muster rund um das ganze Körperteil formten.
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(1) Heißt so, weil Bertram jede seiner fünf Kandidaturen mit einer Stimme weniger verloren hatte.