Thema:
sehr guter Artikel über den aktuellen Zustand der SPD flat
Autor: Telemesse
Datum:01.12.19 22:03
Antwort auf:Geywitz/Scholz haben verloren von Rocco

Wird Pezking nicht gefallen, deckt sich doch aber äußerst überraschend mit meinen weiter unten genannten Annahmen.


[https://www.zeit.de/politik/deutschland/2019-12/sozialdemokratie-arbeiterklasse-spd-afd-die-gruenen/komplettansicht]

Das Proletariat ist in Bezug auf die dringlichsten gesellschaftlichen Fragen unserer Zeit in großer Mehrheit konservativ geprägt. Obwohl Arbeiter oft in multiethnischen Vierteln wohnen, mit vielen Menschen mit Migrationshintergrund befreundet sind oder selbst Wurzeln außerhalb Deutschlands haben, sehen sie bei der Einwanderung beträchtliche Risiken. Solange Politiker diese Risiken nicht offen und unverkorkst ansprechen, wird die SPD in diesem Milieu schlicht kein Vertrauen wiedergewinnen.
Das Bildungsbürgertum dagegen hat in den letzten Jahrzehnten zu diesen gesellschaftlichen Fragen eine immer liberalere Haltung eingenommen. So ist es an vielen deutschen Universitäten mittlerweile ein Sakrileg, bei der Einwanderung überhaupt eventuelle Risiken zu verorten. Ein Politiker, der von Nachteilen der Migration spricht, disqualifiziert sich in solchen Kreisen sofort.

Mit anderen Worten, es handelt sich bei vielen dieser gesellschaftlichen Debatten mittlerweile auf beiden Seiten um heilige Werte. Das macht Kompromisse fast unmöglich. Unter diesen Umständen ist die Kluft zwischen den beiden Teilen der alten bürgerlich-proletarischen Koalition schlicht unüberbrückbar. Das erklärt den kontinuierlichen Wählerschwund der SPD. Denn die eine, proletarische Hälfte ihrer alten Koalition geht in immer größerer Anzahl mit der AfD fremd, während die andere, bildungsbürgerliche Hälfte in immer größerer Anzahl zu den Grünen übersiedelt.

Die Zeiten, in denen die SPD Volkspartei sein kann, sind unwiderruflich vorbei. Wenn sie weiterhin den Spagat zwischen zwei sich mittlerweile feindlich gegenüberstehenden Wählersegmenten hält, werden ihr beide abhandenkommen. Die Frage ist also, auf welches Segment ihrer verflossenen bürgerlich-proletarischen Koalition sich die Partei konzentrieren soll. Eine ehrliche Debatte über die Zukunft der SPD hätte dieses Problem als Ausgangslage konstituiert.

Die eine Seite der Debatte hätte dann insistiert, dass die SPD ihre historische Rolle als Arbeiterpartei opfern solle, um das wachsende Publikum der weltoffenen Bildungsbürger zu umschmeicheln. Dann müssten die neuen Parteivorsitzenden bei Fragen vom Klimawandel bis zu Minderheitenrechten mit den durchgehend linksliberalen Vorstellungen der Grünen konkurrieren. Gleichzeitig müssten sie aber in wirtschaftlichen Fragen die Interessen einer recht satten Mittelklasse bedienen – und hinnehmen, dass derweil ein immer größerer Anteil ihrer ehemaligen Stammwähler bei der AfD landet.

Die andere Seite der Debatte – ich muss zugeben, ihre Argumente für trefflicher zu halten – hätte dann erwidert, dass diese Strategie letztlich in eine Sackgasse führe. Denn ob jemand für die Grünen oder die SPD stimmt, ist für das Gesunden der deutschen Demokratie letztlich egal. Auch eine linke Koalition wird kaum dadurch zustande kommen, dass die Sozialdemokraten den Grünen oder der Linke ein paar Wähler abjagen. Deshalb ist es viel wichtiger, dass die Sozialdemokratie wieder große Teile der Arbeiterklasse an sich bindet.

Um dies zu tun, müsste die SPD in wirtschaftlichen Fragen ein wenig nach links rücken, ohne wie mancher Juso in Zweitsemestermanier über die angeblichen Vorzüge des Sozialismus zu schwadronieren. Eine klare Forderung nach höheren Mindestlöhnen und Tarifverträgen ist unter Arbeitern beliebt; eine grundlegende Feindseligkeit gegenüber dem Kapitalismus erscheint den meisten Arbeitern dagegen als verkopft und weltfremd. Vor allem aber müsste die SPD bei gesellschaftlichen Fragen spürbar konservativer werden. Ohne jemals die Menschenfeindlichkeit der Rechtspopulisten zu kopieren oder auch nur zu tolerieren, müsste sie die Sorgen und Ängste, die bei Themen wie Migration und Terrorismus außerhalb des Bildungsbürgertums überwältigende Mehrheitsmeinung sind, viel ernster nehmen, als sie es momentan tut.

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