Thema:
Probefahrt im Brennstoffzellenzug flat
Autor: Michael M.
Datum:01.11.19 11:34
Antwort auf:Umwelt, Bewusstsein, Klima: Es ist 5 NACH 12 ! von lmarvin

Ich wohne in unmittelbarer Nähe einer Bahnstrecke, auf der es seit Ende der 60er Jahre keinen planmäßigen Personenverkehr und seit einigen Jahren auch keinen regelmäßigen Güterverkehr gibt. Stillgelegt ist die Strecke aber nicht, es gibt einige mal im Jahr noch Sonderfahrten mit historischen Zügen und gelegentlich wird die Strecke auch noch als Ausweichstrecke genutzt. Im Zuge eines Verkehrskonzeptes für den Umkreis Osnabrück gibt es aber auch seit Jahren Überlegungen, die Strecke für den Personenverkehr zu reaktivieren.

Da die Strecke an mehreren Stellen direkt durch Siedlungen führt gibt es teilweise großen Widerstand gegen die Reaktivierungspläne, sowohl in der Bevölkerung als auch in der Politik. Bei Informationsveranstaltungen und Werbefahrten auf der Strecke führte das in der Vergangenheit schon teils absurden Reaktionen. So wurden bereits Zugfahrgäste bei Testfahrten von mutmaßlich angetrunkenen Protestanten beschimpft und ausgebuht, als sie in den Zug Ein- und Ausstiegen. Inzwischen haben sich die Wogen zumindest ein wenig geglättet und man ist zu einer halbwegs vernünftigen Diskussion zurückgekehrt, wo man valide Argumente für und gegen die Reaktivierung nutzt. Ein großes Thema ist die Lärmbelästigung.

Letzten Sonntag wurden wieder Informationsfahrten durchgeführt. Zum Einsatz kam einer von nur zwei Zügen mit Brennstoffzelle, die aktuell weltweit existieren. Es handelt sich dabei um einen stark modifizierten Zug der Coradia Lint Baureihe von Alstom, ein Fahrzeug, welches normalerweise mit einem Verbrennermotor angetrieben wird. Aufgrund der Technik ist der Zug etwas länger als die normale Variante. Der Antrieb erfolgt über mehrere Elektromotoren mit 544KW Leistung. Als Energiequelle dienen zwei Brennstoffzellen die mit Wasserstoff versorgt werden.

Ich habe auf der Fahrt die Gelegenheit gehabt, mit einem der Entwickler des Fahrzeugs und dessen Erfahrungen zu sprechen. Das wichtigste: die beiden Züge fahren seit einem Jahr auf einer Strecke im Regelbetrieb mit und funktionieren nahezu Störungsfrei. Das finde ich insbesondere in Bezug auf den Prototypenstatus sehr positiv und vielversprechend. Die Reichweite mit einer Tankfüllung liegt bei dem Prototyp bei 800 - 1000Km, die Serienfahrzeuge, dessen Bau jetzt beginnt, werden etwa 1600Km mit einer Tankfüllung schaffen.

Es interessierte mich vor allem, was es in der Praxis für Herausforderungen gibt, die man nicht von Verbrennerfahrzeugen kennt. Darauf nannte er mit folgende Besonderheiten:

1. Der Tankvorgang bei Wasserstoff dauert relativ lange. Das hat vor allem damit zu tun, dass man nur über den Druck feststellen kann, wie voll der Tank schon ist. In der Praxis bedeutet es, dass etwas Gas in den Tank gepumpt wird, dann der Druck gemessen wird, dann wieder gepumpt wird usw. Beides gleichzeitig geht nicht, auch nicht über im Tank integrierte Sensoren, da der Überdruck aus der Tankanlage das Ergebnis verfälscht. Der Tankvorgang der Serienfahrzeuge wird wohl zwischen 45 und 60 Minuten dauern. Es gibt leider keine Angaben zur Energiemenge, die mit den Brennstoffzellen mit einer Tanzfüllung erreicht werden, als der Reichweite, Geschwindigkeit und Nutzungsdauer kann man aber von Werten irgendwo bei 2500KWh ausgehen (nur, damit man das mal mit der Ladezeit für Akku vergleichen kann, der für die gleiche Reichweite nötig wäre)

2. Die Lagerung des Treibstoffs ist ein großes Problem. Die Tankstelle im Bahnbetriebswerk lagert den Wasserstoff flüssig, was allerdings voraussetzt, dass die Tanks stark gekühlt werden. Das ganze lässt sich natürlich auch über eine Brennstoffzelle erledigen, muss aber bei einer Verbrauchsberechnung mit einkalkuliert werden. Der Wasserstoff selbst kann aber per Windkraft komplett CO2 neutral produziert werden. Im Fahrzeug ist eine flüssige Lagerung des Wasserstoffs zumindest derzeit nicht machbar, er befindet sich gasförmig in den Tanks. Egal bei welcher der beiden Lagerungsformen, der Wasserstoff wird bei Lagerung nach einiger Zeit unbrauchbar. Flüssig liegt die Lagerdauer bei sechs Wochen, der Zug selbst darf maximal eine Woche ungenutzt herumstehen, bevor der Tankinhalt ausgetauscht werden muss.

3. Auch ein Brennstoffzellenzug kommt nicht ohne Akku aus. Im Prototyp ist ein 110KWh Lithiumionenakku verbaut, welcher zum einen die Energie aus der Rekuperation aufzufangen und zum anderen um den Zug überhaupt anfahren zu können, weil die Brennstoffzellen dafür zu schwach sind. Eine Vergrößerung der Brennstoffzellen auf ein Maß, dass sie als alleinige Energiequelle dienen ist nicht sinnvoll, der der Wirkungsgrad dann massiv sinken würde.

Natürlich habe ich auch eigene Eindrücke von der Fahrt. Von außen ist der Zug sehr leise, ähnlich wie eine elektrisch betriebene S-Bahn. Die schlechten Schienen der Strecke verursachten jedenfalls Abrollgeräusche, die deutlich lauter waren als die des Antriebs und der Energieerzeugung. Im Fahrzeug selbst hört man an verschiedenen Stellen jedoch noch einiges, was aber sicher dem Prototypstatus und der unausgereiften Dämmung geschuldet ist. An einer Stelle merkte man deutlich die Vibrationen der Hydraulikpumpe, unter den Brennstoffzellen klingt es, als würde man unter einer Wasserleitung sitzen, durch die mit großem Druck Wasser fließt. In keinster Weise ernsthaft störend aber schon auffällig.

Alles in allem Vielversprechend und für den Fall der (wahrscheinlichen) Reaktivierung der Strecke auch hoffentlich das Antriebskonzept das man nutzen wird, um die Nerven der Anwohnen und die Umwelt zu schonen.

Michael


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