Thema:
Re:Katjes Werbung flat
Autor: token
Datum:22.10.19 11:10
Antwort auf:Katjes Werbung von Great Teacher Onizuk

>„Der Clip ist eine sehr einseitige und überzogene Visualisierung von Massentierhaltung", sagte die Leiterin des Deutschen Werberats, Katja Heintschel von Heinegg.

Das ist schon eine Art „Alles was in der Beziehung zwischen Industrie und Gesellschaft schief geht in einer Nussschale“.
Da geht auch einher wie man sowas komplett unironisch als provokativen Marketingkniff titulieren kann.

Ich muss mal Luft holen.

Also, Umweltbewusstsein ist ja nach dem es geraume Zeit eingeschlafen war, vor dem Hintergrund eines sich anbahnenden und wissenschaftlich fundiert vorgezeichneten Clusterfucks biblischen Ausmaßes, jetzt plötzlich wieder da. In Pog-Form.
Und da dieser Clusterfuck halt kommt geht es eben auch nicht weg wie Knut der Eisbär als Sommerlochevent, sondern hält sich hartnäckiger in medialen Zirkulationen als Jürgen Drews.

Was also tun? Eine Variante wäre die Probleme zu lösen.
Das wollen wir aber nicht. Aber dass wir das nicht wollen und werden, das wollen wir irgendwie auch nicht aussprechen.
Also tun wir so als ob. Und das reicht vielen ja schon. Einfach freuen. Selbst wenn sie sehen dass der Kurs nicht funktioniert.
Es reiche ja schon wenn sich der miese Schüler mal aufrichtig bemüht, auch wenn das nicht für die Versetzung ausreicht, und die Welt bevor sie vollends diverse Dystopien zum usual business ummünzt, vorher halt für paar Momentchen in paar Aspektchen mal ein Stück weit paar Köttelchen weg räumt bevor der Böller im Misthaufen explodiert.

Ich schweife ab, anderes Thema.
Mal Rewind zum Punkt, wie gehe ich damit um dass es nicht aufhört zu nerven, obwohl ich im Grunde nix mache, bzw. ganz ganz ganz ganz weit davon weg bin ausreichend viel zu machen. Ich begreife, so hat man es mir beigebracht, jede Krise auch als Chance. Das was daraus erwachsen ist hat auch einen Begriff, nennt sich nun greenwashing.

Dies ist, und das komplett konträr zur Katjes-Werbung ein Flächenphänomen. Es ist aktuell eher schwierig überhaupt ein Unternehmen zu finden das sich nicht dieser Methodik bedient. Denn worum geht es bei Marketing? Heutzutage sind die Spielregeln andere als vor 30 Jahren. Es gab eine Phase in der es darum ging um jeden Preis für Aufmerksamkeit zu sorgen. Es gab, wenn du Aufmerksamkeit bekamst, egal wie, keine schlechte Aufmerksamkeit.

Das ist heute nicht so einfach. Wir haben Megakonzerne auf abgesteckten Spielfeldern und eine große Verflechtung von Segmenten die alle irgendwie zusammen arbeiten. Heutige Unternehmen agieren also eher aus einer Bastion heraus. Diese Bastion soll wachsen, in erster Linie soll sie jedoch halten. Und wenn du was verteidigst dann ist sowas wie Risiko etwas das du scheust, und nicht etwas das du suchst. Du suchst es wenn du erobern willst.

Und extrem viel basiert auf Image. Bei Image ist es immer wichtig dass Dinge positiv konnotiert sind. Mal grenzwertig flunkern und Tagesthema sein ist okay, aber bloß kein shitstorming Dauerthema. Es geht um eine heile Welt in der ich mich als Konsummensch auch wohl fühlen soll.

Dementsprechend ist es auch komplett normal dass mir nun jeder erzählen möchte wie toll er ist. Das letzte Beispiel ist erst eine halbe Stunde her. Mein Netto wurde renoviert und jetzt gab es die große Neueröffnung. In dieser Filiale gibt es, wie vorher schon auch, eine ganze Reihe von Netto-Werbung mit WWF-Zusammenarbeit. Diese hängen da jetzt immer, Umwelt hier, soziale Gerechtigkeit dort, und ganz ganz viel Nachhaltigkeit um die man sich bemüht. Tatsächlich wurden mit der Neueröffnung auch die Produktpaletten neu arrangiert, und da wo vegane Produkte schon vorher die Nische in der Nische markierten, wurden nun auch eine Reihe von diesen Produkten wieder entfernt. Im Gegensatz zum Eigenmarketing hinsichtlich Umweltambitionen.
Natürlich ist auch das ein Resultat von Angebot und Nachfrage, nur eben auch nicht mit irgendeiner Form von Willen einen Change anzuschieben unter einen Hut zu bekommen. Und dieser fehlende Wille zeigt sich nicht erst bei den 500 Plastiktüten an der Kasse für 9 Cent neben denen nachhaltige Warentransportangebote, wenn überhaupt vorhanden, ein Alibidasein fristen. Obwohl jede Filiale NATÜRLICH beschließen könnte sowas einfach nicht mehr anzubieten. Aber darum geht es ja nicht, es soll sich nichts ändern, man arbeitet da nicht aktiv, der Kunde soll sich wohl fühlen und Ende.

Kurzum, greenwashing ist heutzutage allgegenwärtig. Und greenwashing wird auch benannt. Allerdings meldet sich hier, obwohl es faktisch heuchlerisch und komplett verlogen ist was da in Punkto Marketing passiert, kein Werberat zu Wort. Und bezeichnet das als inhaltlich falsch und/oder provokativ. Was es ist. Es ist eine provokante Lüge. Und, das ist bemerkenswert, auch Industriesegmente die diese Federn mit denen sich nun Hinz und Kunz schmücken möchte tatsächlich tragen, die gehen auch nicht hin und sagen: „Hallo. Was geht ab? Das sind wir die das wirklich machen, und nicht so tun als ob. Was erlaube?“
Auch die beschweren nicht.

Und genau da wird es interessant im Themenkomplex um diesen Spot. Warum eigentlich nicht?
Nun ja, aus dem gleichen Grund warum man damit auch keine Werbung gemacht hat. Denn auch diese Industrie möchte positiv konnotiert werden. Der Bioladen will dich nicht mit dem Horror und Irrsinn der modernen Industrie konfrontieren von dem er sich in vielen Punkten auch nicht selbst ganz frei machen kann. Es soll alles positiv sein, also geht es darum dass seine Kuh glücklich ist, aber um Himmels Willen nicht darum dass die handelsübliche Kuh in der Hölle hausiert.

Dies ebnet dann auch den Boden zum flächendeckenden Selbstbetrug. Kaum eine Sau begrüßt die Zustände bei denen sie ganz schnell umschaltet oder umblättert wenn sie sich mal irgendwie in den eigenen Wahrnehmungsraum verirren, und so macht man sich, obwohl man es besser weiß, weiter vor, dass das was man kauft nicht diese Bilder liefert. Dabei passiert all das vor der eigenen Haustür und nicht in Chinas Hinterhöfen.

Katjes macht nun genau diese Sache an die sich nicht mal wirklich wirklich umweltbewusste Unternehmen wagen.
Zu sagen warum. Werbung zu machen, die schlicht und ergreifend sagt, wir machen das „weil“.
Und das auf eine äußerst weichgespülte Weise, den Monstereuter bringt man noch unter, bei der Haltung muss schon die Metapher her um zum positiven Schlusswort keinen zu harten Bruch zu erzeugen.

Und oh Boy, ist dieses Reaktionsfeld zu diesem Marketingkindergarten der Lichtjahre weit weg von den Schrecklichkeiten der gängigen Tierindustrie agiert, entlarvend. Und nichtsdestotrotz bemerkenswert dass Katjes das macht, wenn ich persönlich es weit bemerkenswerter finde dass sowas bemerkenswert ist. Womit sich der Kreis schließt.


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