Thema:
Re:Ohne Klimaschutz keine Demokratie. flat
Autor: token
Datum:08.10.19 20:02
Antwort auf:Re:Ohne Klimaschutz keine Demokratie. von Telemesse

Die konkreten Modelle und die daraus resultierenden Dominoeffekte verkomplizieren eine eigentlich einfach zu verstehende Grundsatzproblematik.

Um das Ganze mal etwas unaufgeregter auf abstrakter Ebene zu skizzieren.
Fangen wir beim Leben an. Leben ist ein krasser motherfucker. Es ist eine derartige Pest dass es fast schon wundert, dass wir im Sonnensystem damit alleine sind (wobei der berechtigte Verdacht im Raum steht dass dem nicht mal so ist).

Als ein Beispiel, schaut man auf den Werdegang des Lebens sieht man dass die Erde in der Frühzeit derart unter Beschuss war, dass die Evolution eigentlich Resets hätte erfahren müssen, da man von Intervallen ausgeht wo Leben schlicht und ergreifend nicht mehr möglich war, und bei evolutionärem Fortschritt die Uhr wieder zurückgestellt hätte werden müssen.
Man sieht aber, dass das nicht der Fall ist. Eine mögliche Erklärung dafür ist, dass Brocken von der Erde abgesprengt wurden und Bausteine des Lebens auf diesen im All lange genug durchhalten konnten bis diese ihre Runde durch das Sonnensystem fertig gedreht hatten, und dann wieder auf der Erde einschlugen. Mehr geht nicht. Leben ist die Pest.

Das Ding ist, das Ende des Lebens und Wüstenplanet und sowas steht ja gar nicht im Raum. Leben und Evolution sind geduldig und Anpassungskünstler.
Ist die Zeitlinie groß genug kann man das was jetzt passiert als Phänomen begreifen das irgendwas verändert hat.

Wir spielen aber nicht Populous mit der Erde und können mal tausend Jahre überspringen sondern leben auf ihr und müssen klar kommen.
Und die Problematik lässt sich eigentlich in einem Wort zusammenfassen.
"Anders".

That's it. Mehr braucht es nicht für eine shitshow, als ein triviales "anders".
Warum ist das so?

Nehmen wir mal Wetterphänome, oder Naturphänomene.
Wenn es in Deutschland eine Sturzflut gibt bricht in der Region die betroffen ist, die Steinzeit aus. Dabei ist so eine Sturzflut überhaupt nichts besonderes. In Asien ist das jedes Jahr am Start. Wenn es mal durch Eifel ruckt und der Boden kurz wackelt werden Stoßgebete gen Himmel geschickt. In LA isst man bei sowas unbeeindruckt sein Frühstücksei weiter. Regnet es mal paar Monate am Stück nicht, dann geht dem deutschen Bauern der Stift. Im Wüstenstaat ist das der Normalzustand.

Das Problem ist nicht dass etwas passiert was man im globalen scope nicht kennen würde, sondern dass etwas passiert was im lokalen scope ungewöhnlich ist. Ein simples "anders" reicht aus für kleine Krisen.

Aber das ist es auch. Die Anomalie ist prinzipiell nichts ungewöhnliches. Gleichwohl ist die Anomalie ein zeitlich begrenztes und lokales Phänomen. Damit kann man dann umgehen.

Und darauf fußt alles, der Planet Erde übt sich seit abertausenden von Jahren in einer planbaren Statik. Überall passiert das gleiche. Jahr für Jahr. Und wenn mal was abweicht, dann weicht es nicht überall ab. Und irgendwann geht es wieder über ins usual business.

Alle Existenzen auf der Erde einschließlich der unseren sind genau darauf eingegroovt, und unser eigener Kreislauf steht in einer symbiotischen Beziehung zu den uns gebotenen Abläufen, zudem haben wir unzählige symbiotische Beziehungen untereinander aufgebaut, sowohl zwischen Gesellschaften als auch zu unserem Ökosystem. Und wir können mit Anomalien umgehen, Menschen überwinden Krisen mit damage control, was aber auch erfordert dass das grundsätzliche System intakt bleibt. Denn wenn jeder Hilfe braucht, kann man sich schlecht gegenseitig helfen.

Und die Evolution hat auch solche damage control Mechanismen hervor gebracht.
Als ein Beispiel etwa unsere Pflanzenwelt. Wenn wir hier eine Dürre haben, dann treten unsere Pflanzen in einen asketischen Zustand. Sie fahren runter. Das ist nicht blöde, mal prophylaktisch alles auf Halbmast stellen und später wieder an den Start gehen. Und jetzt kommen wir mal zum "anders". Dieses Verhalten ist richtig wenn Dürre eine Phase ist. Sich nicht davon beirren lassen dass es mal kurz regnet, Ruhe bewahren, asketisch bleiben, und durchhalten. Ein Erfolgsmodell für unser Wetter. Dieses Verhalten ist aber falsch wenn Dürre plötzlich etwas ist, was hochfrequent auftritt. Hier wäre richtig zu saufen wenn es was zu saufen gibt. Jetzt machen die Pflanzen plötzlich das Gegenteil von dem was sie tun müssten um zu überleben. Weil sie es nicht anders kennen.

Und das ist jetzt am Start. Evolution löst Probleme die vorherrschen. Sie löst Probleme erst dann wenn sie aufkommen, sie rüstet sich nicht für hypothetische Problemstellungen. Nehmen wir die Dinos. Kaltblüter war seinerzeit ein tolles Konzept. Die Dinos waren die bislang mitunter steilste Erfolgsgeschichte der Naturhistorie. Und es mag jetzt sehr dramatisch gewesen sein mit Asteroid und so, so dramatisch und spektaktulär dass es den Blick für das wesentliche vernebelt. Nicht das Leben hatte ein Problem mit den veränderten Bedingungen. Sondern die Spezies die mit einem "anders", mit dem heutige Spezies eben durchaus umgehen können, _nicht_ umgehen konnte. Und, nicht das anders war ein grundsätzliches Problem, denn Evolution macht das ja permanent, sich auf anders anzupassen, sondern dass ein "anders" auf einem _globalen_ scope zu Tage trat.

Und genau das passiert gerade. Wir gehen über in ein "anders", ein nachhaltiges "anders" und das tun wir nicht als Lokalphänomen sondern auf einem globalen Scope. Das ganze Uhrwerk von allem was keucht und fleucht fundiert auf einer planbaren Statik und ist optimal angepasst an lokal vorherrschende Verhältnisse und kann nur damit umgehen weil es nichts anderes kennt. Und das geht jetzt zunehmend dahin über dass lokal anomale Wetterphänomene nun nicht mehr Ausnahmen, sondern Regel werden. Und noch schlimmer, das geht nun auch dahin über dass die globalen Wettermechanismen die den statischen Kreislauf von Jahreszeiten gewährleisten, zunehmend aufgelöst werden.
Es wird einfach immer chaotischer, und je chaotischer es wird, desto chaotischer wird es in der Folge. So komisch das auch klingt.

Die apokalyptischen Dramen sind kein spektakuläres Schauspiel wo Küstenstädte weggeschwemmt werden. Die apokalyptischen Dramen sind die Summe aller kleinen Dramen wo "anders" Problemstellungen vorgibt die als Inselphänomen beherrschbar sind, aber als _globales_ Phänomen zwingend ins Chaos mündet. Erste Ausläufer sehen wir jetzt. Atomkraftwerke die runterfahren weil sie nicht mehr durch Flusswasser gekühlt werden können. Deutsche Bauern die dort wo sie seit hunderten Jahren nichts machen mussten, Bewässerungssysteme bauen. Das passiert schon heute. Alles kleine Geschichten. Beherrschbar. Aber es wird mehr und mehr und mehr und mehr.

Klimawandel heißt globales "anders". Flora und Fauna können nicht die Umzugskartons packen, es wird ein Massensterben geben, welches heute in seinen Anfängen schon beobachtbar ist. Und das wird nicht weniger und auch zu einem shitshow-Domino aufgrund der ganzen symbiotischen Verflechtungen. Wird sich erholen und verändern und anpassen, allerdings auf einem Zeithorizont der für ein Menschenleben nicht viel bringt.

Gleiches wird mit unseren eigenen Verflechtungen und Kreisläufen passieren. Nicht als Drohgespenst sondern als zwingende logische Folge.
Ein in der menschlichen Zeitgeschichte bislang nie dagewesenes Dominospiel aus Scheiße. Wir hatten berechtigte Sorgen vor einem Wirtschaftskollaps durch torpedierte Kreisläufe aufgrund eines maroden Bankensystems. Da hat man mal diese Dominoeffekte beschrieben, die ja auch nicht unbekannt waren, der shutdown war keine graue Theorie sondern ist ähnlich schon mal aufgetreten. Das ist keine Hysterie, solche Dinge sind logisch antizipierbar.
Und dieses Problem war ein Fliegenfurz gegen die Probleme des Klimawandels, und dennoch war man bereit für diesen Fliegenfurz das Kapital in die Hand zu nehmen und das Handlungsrisiko für ein unbekanntes Maßnahmenrisiko zu wagen, wogegen man sich beim Klimawandel sträubt.

Das sagen auch die Wissenschaftler, sofern man diesen zuhören möchte. Die Änderung findet als Globalphänomen statt. Statik löst sich zunehmend auf. Die aktuelle Naturwelt kann damit nicht umgehen und geht in den Überlebenskampf. Und wir als Spezies können in der Theorie damit umgehen. In der Praxis wird uns dieses "alles passiert gleichzeitig" und "alles passiert überall" und "all das schaukelt sich gegenseitig immer weiter hoch da Domino" um die Ohren fliegen und ins Chaos stürzen. Das ist nicht mehr beherrschbar ohne dass wir dafür einen unvorstellbar hohen Preis werden zahlen müssen.

Wer so etwas wie "Hungersnot in Europa" belächelt hat imo die Grundsatzproblematik nicht verstanden. Die Frage im Raum ist meines Erachtens nach nicht, ob all das passieren wird, sondern vielmehr ob wir selbst noch davon betroffen sind, ob unsere Kinder davon betroffen sein werden.
Bei dem Tempo das wir bei der Erderwärmung haben ohne irgendwie griffig gegen zu steuern und bei all den Dingen von denen wir schon heute betroffen sind, das aber noch nicht so richtig reflektieren, weil wir das Ausmaß noch beherrschen, glaube ich jedoch, zumindest für die Vorgruppe dieses Konzerts bekommen wir Logenplätze.

Und sobald das Fahrt aufnimmt und die aktuellen Probleme innerhalb kurzer Zeit in immer höher werdendem Tempo zuschlagen, wird man rückblickend darauf wie wir damit heute umgehen keine Grube mehr finden die tief genug wäre um darin angemessen vor Scham versinken zu können.
Denn an sich ist schon heute klar erkennbar dass alle Vorhersagen genau so eintreten, so wie auch klar erkennbar ist, dass selbst die größten Pessimisten noch zu optimistisch waren. Und dass nicht davon auszugehen ist, dass die aktuellen Antizipationen von Wissenschaftlern plötzlich total konservativ geworden sind. Sondern dass wir uns weiter irren. Allerdings in die falsche Richtung.


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