Thema:
Nicht Angst vorm Tod, sondern Angst vorm Sterben flat
Autor: Guy
Datum:06.10.19 09:20
Antwort auf:Der Tod & das Sterben von Gendo

Den Tod selber merkt man nicht mehr, das wurde mir erst neulich bewusst, als ich wg. eines Doppelleistenbruchs vollnarkotisiert wurde. Ich war unglaublich gespannt auf diese Erfahrung, weil ich sie bewusst noch nie erlebt hatte, daher beobachtete ich ganz genau, was nun mit mir passieren würde, ich war natürlich leicht verängstigt, aber noch viel mehr ungemein neugierig, wie alles ablaufen, wie es sich anfühlen und was mit mir passieren würde - ready to suck up the experience!

Zuerst gab es im Krankenzimmer eine Beruhigungspille, von deren Wirkung ich vor der OP allerdings nicht allzuviel merkte.
Ca. eine Std. später wurde ich dann mit dem Bett in Richtung OP geschoben.
Als mir im OP-Vorraum die Schwestern den Zugang legten und das Narkosemittel einflösten, versuchten sie mich abzulenken mit „Na, wovon träumen wir denn gleich?“
Ich wusste genau, dass das Taktik von denen war, sie das vermutlich seit Jahren 20x am Tag machten und es sie letztlich nicht die Bohne interessierte.
Aber sie waren freundlich und vermochten es damit wirklich, mich auf andere Gedanken zu bringen, also spielte ich mit und sagte „Vom letzten Urlaub“.
„Oh, schön, wo waren Sie denn?“
„USA, Westküste.“
„Oh, toll, da muss ich auch unbedingt mal hin! Erzählen Sie doch mal!“
„Also, losgefahren sind wir in Las Vegas...“

*SCHNIPP*

Gefühlt im nächsten Moment eine fremde Männerstimme: „Ah, Sie sind auch wieder wach, sehr gut!“
Ich öffnete die Augen und lag müde und völlig entspannt im Bett im Aufwachraum.
Ich hatte - zum ersten Mal in meinem Leben - einen abrupten Filmriss. Die knappe Stunde, in der ich operiert wurde, war für micht nicht vorhanden, es war ein Zeitsprung.
Und wie ich so da lag, sinnierte ich darüber, dass ich ebenso hätte erst 2000 Jahre später aufwachen können - auch diese Zeitspanne hätte ich schlicht nicht mitbekommen.
Ebensogut hätte ich gar nicht mehr aufwachen können - und es wäre (mir) völlig egal gewesen, auch davon hätte ich nichts mitbekommen.
Zu meiner (aufgrund der Narkosemittel) sowieso schon vorhandenen tiefen Entspanntheit und Ausgeglichenheit mischte sich so auch noch die Erkenntnis, ja Überzeugung, dass der Tod selbst, also der ZUSTAND des Todes, nichts ist, wovor ich mich auch nur im Entfertesten zu fürchten habe, einfach weil man ihn nicht bemerkt.
Und auch der Moment, in dem der Tod eintritt ist, wenn es schnell geht, nicht bemerkbar!
Im Schlaf sterben, eine Kugel (sauber) in den Kopf bekommen, ein Container fällt unbemerkt auf einen drauf - alles kein Problem, man merkt es nicht!

Schlimm wird es, wenn es eben NICHT schnell geht:
Körperliche und geistige Degeneration, bei Bewusstsein ersticken, ertrinken, verbrennen, in die Tiefe fallen, Flugzeugabsturz, Verbluten, Panik, Todeskampf, Todesangst, Schmerzen, Leid, „BITTE LASS ES BALD VORBEI SEIN!“
Exakt DAVOR habe ich Angst, davor den unmittelbaren, sicheren Tod, mehr oder weniger lang, kommen zu sehen, ihn zu spüren, von ihm gequält zu werden, sich über ihn Gedanken machen zu können/müssen, bis er eintritt!

Meine Mutter ist vor ca. 1,5 Jahren im Alter von 82 Jahren gestorben. Sie hatte viele körperliche Gebrechen:
Rücken, Knie, Kreislauf, Lunge, Depressionen, erste Anflüge von Demenz, vor allem aber eine Herzinsuffizienz.
Eines morgens lag sie tot (aber noch warm) im Bett.
Sie war friedlich eingeschlafen und nicht wieder aufgewacht.
Und auch wenn sie einen harten Leidensweg hinter sich hatte, so tröstete ich mich schon damals mit „Es gibt schlimmere Arten zu gehen“.
Seit meiner Narkose weiß ich: Es ist die BESTE Art, zu gehen!
Kein unmittelbarer Todeskampf, keine Todesangst, sondern friedliches Einschlafen im Kreise ihrer Liebsten, in dem entspannten und Geborgenheit spendenden Gedanken, ja morgens wieder aufzuwachen.

Das hilft mir, besser damit umzugehen, lässt mich hoffen, dass es mir mal ähnlich ergehen wird und hat mir die Angst vorm (schnellen) Tod an sich final genommen.

Narkose ftw! ;-)


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