Thema:
Re:Welche Welt darf es denn sein? flat
Autor: token
Datum:25.09.19 11:16
Antwort auf:Re:Welche Welt darf es denn sein? von Sockenpapst

Vorweg, ich würde fast alles was du schreibst grundlegend unterschreiben und hab eigentlich nur an Eckpunkten Einwände. Ich glaub da sind wir vom Verständnis nicht so weit außeinander. Ich glaube, Teile von Fehlverständnissen resultieren daraus dass ich theoretische Forderungen des "was müsste man tun um die Deadline zu halten und nicht die Kontrolle durch Kippeffekte zu verlieren" teils selbst in der Praxis in der Wahrscheinlichkeit der Umsetzbarkeit für hanebüchen halte, also wird nicht passieren weil..., und selbst wenn man das was ich denke was man tun müsste, und letztlich liefe das auf einen temporären globalen Wirtschaftszusammenbruch hinaus, die Folgeprobleme sehe. Etwa dass man mit so einem Schritt notwendigen infrastrukturellen Umbauten die Basis entzöge, weil bei breakdown funktioniert erst mal nix mehr und wenn man mal regionale Probleme betrachtet, etwa Kohleausstieg, wüsste ich ja auch nicht mehr wie man das unter solchen Rahmenbedingungen nicht einfach wegwischen würde, weil nicht leistbar, und wir haben aktuell ganz andere Probleme.

Insofern läuft es schlussendlich auch bei mir auf sowas hinaus...

>Ich sehe kein Wegschauen. Ich sehe vielmehr Resignation angesichts der Größe der Aufgabe, des globalen Maßstabes, und der zur Verfügung stehenden Zeit. Das Werkzeug erscheint mir weniger das Problem als vielmehr die Frage, ob ein tatsächliches Verhindern überhaupt möglich ist. Nicht in Modellen, sondern in einer Welt mit 190+ extrem unterschiedlich reichen, entwickelten, mächtigen und von den direkten Folgen des Klimawandels unterschiedlich und zeitversetzt betroffenen Staaten.
>

...allerdings mit einem gewissen Trotz, nach dem Motto, das kann doch nicht sein, das muss doch theoretisch gehen. Aber was für diese Theorie die ich ja selbst nicht zu formulieren wüsste, notwendig wäre, ist halt selbst dann wenn es einen Plan gäbe, ziemlich unrealistisch.

>Das Problem halte ich nicht für systemimmanent kapitalistisch, sondern für eines, dass durch spezifische industrielle Pfadabhängigkeiten/Grundsatzentscheidungen entstanden ist, insbesondere durch das vollständige Setzen auf fossile Brennstoffe. Und hier würde ein Umsteuern in jedem Wirtschaftssystem ein Husarenstück.

Jepp, allerdings begreife ich die Hintergründe für die falsch getroffenen Grundsatzentscheidung als Systemproblem. Dieses Verständnis basiert natürlich auf einer hochgradig streitbaren Annahme, die da lautet.
Der Staat hat seine Autonomität verloren, er setzt Leitplanken, hat hierbei aber trotz Bewusstsein für das Notwendige die Entscheidungen Industrieinteressen untergeordnet, und dass die Industrie da anders denkt und sich nicht um the greater good schert ist nicht mal schlimm, das ist nicht ihr Job. Aber genau deswegen brauchen wir den Staat der diese Lücke ausfüllt und Industrie steuert.
Wir haben uns grundsätzlich schon seit geraumer Zeit von diesen Interessen treiben lassen. Selbst Phasen wo es in Umweltaspekten eigentlich ganz gut aussah vom Kurs, waren von anderen Dingen getrieben. Drei-Liter-Autos, Elektroautos, Downsizing auf Funktionalität, Effizienzhebungen in der Motortechnik usw., es ging da nie um Umwelt sondern um Ölkrisen, man wollte sich von dieser Abhängigkeit emanzipieren weil sie zu große Risiken barg. Als man dafür Lösungen fand, hat man alles wieder eingestampft und die Effizienzen genutzt um größere Autos zu bauen. Als Beispiel.
Und natürlich imo.

>Daneben: ein Systemwechsel - wohin auch immer - in unsicheren politischen Zeiten dauert Zeit; Spielregeln müssen neu austariert werden und neue Verteilungskonflikte zwischen Verlieren und Gewinnern müssen geschlagen werden. Und das Gelingen eines solchen Prozesses ist ungewiss, frag als Musterbeispiel mal die UdSSR. Deshalb hat derjenige, der einen solchen Wechsel wagen möchte, nun mal sehr konkret zu sagen, wo die Reise hingehen soll.
>

Natürlich. Aber wir sind hier im Internet und was ich schreibe interessiert eh keinen. Ich ziehe mir den Schuh nicht an etwas zu formulieren was ich eh nicht überschauen kann. Dennoch kann es mich frustrieren was aktuell passiert, und das aus Gründen die ich dann halt haaaaalbwegs schlüssig zu erklären versuche.

>>Und das glaube ich eben nicht. Die Deadline ist kurz für einen fließenden Übergang. Ein rabiater Übergang zu derart anderen Grundprinzipien würde meines Erachtens sofort in eine beispiellose Wirtschaftskrise umschlagen und entsprechend niemals abgesegnet werden.
>
>Und Dein Systemwechsel nicht?
>

Wie gesagt, sehr wahrscheinlich reicht auch das nicht.
Mein Standpunkt ist eher, mit sowas könnte es vielleicht hinhauen, mit dem was wir tun wird es hingegen zu 100% nicht hinhauen.

>Jede Reform, die aktiv einen kompletten Zusammenbruch bestehender und tragender Wirtschaftszweige in kurzer Zeit bewusst herbeiführt, wird scheitern. Vollkommen egal, wie oft Sid und Du (mit Recht, das ist ja der zynische Witz) behaupten, dass dies sowieso erfolgen wird.
>

Jein. Also diese diffuse Bedrohung hat nicht die Natur die zu so einer Entscheidung führen könnte. Das seh ich durchaus auch so. Aber grundsätzlich ist die Bereitschaft denke ich da. Nehmen wir 2007. Die Krise war imo so ein Schlüsselmoment.
Ich hab das seinerzeit auch nicht verstanden und gefragt und gefragt, was ist da passiert, warum ist es passiert usw.
Aber auch, und was passiert jetzt.
Mein damaliger Mentor meinte:
"Ich sehe eigentlich nur zwei realistische Optionen. Laufen lassen, sehr wahrscheinlich einen kompletten Zusammenbruch riskieren, Steinzeit, und Restart zu bereinigten Bedingungen.
Oder, Druckerpresse anwerfen, Helis starten und Geld über den Städten abwerfen."
Und als ich gefragt hab, was ist eher wahrscheinlich, hieß es:
"50/50. Beides ist auf seine eigene Weise komplett verrückt."

Und dieses "Keine Ahnung, jetzt ist alles möglich" hab ich aus vielen Flanken gehört, heißt grundsätzlich waren auch Menschen die ich als Experten begriffen habe, schlussendlich so aufgestellt dass sie die bewusste Sprengung des Systems für eine nicht unwahrscheinliche Option hielten, auch wenn man das letztlich nicht gemacht hat.

Natürlich war das eine viel konkretere Situation, aber die Option kontrolliert sprengen wenn man doch weiß dass der Einsturz eh kommt, halte ich jetzt auch nicht für komplett indiskutabel. Auch wenn ich selbst nicht dran glaube.

>Ich stimme Dir in der Analyse ja sogar weitgehend zu, raffe nur absolut nicht, wie Du Dir durch einen nationalen Alleingang (?) hin zu einer irgendwie kommunalen Wirtschaftsordnung (?) eine Verbesserung erhoffst.
>

Das ist auch ein Punkt, nationaler Alleingang war gar nicht mein Gedanke. Allerdings kommt mir hier gerade ein anderer Gedanke. Nämlich, das ein nationaler Alleingang durchaus reicht um einen breakdown herbeizuführen. Wenn die Nation nur groß genug ist. Das ist eben die Krux an den wirtschaftlichen Verflechtungen die globale Zirkel ziehen, Dominoparty. Kippt einer, kippen alle. Und wenn sich einer bewusst hinschmeißt...
Aber das führt zu weit, ist eh schon zu zerfranst.

>EDIT: Habe erst nach Verfassen dieser Antwort die Deinige auf Telemesse gelesen, und verstehe durchaus einige Deiner Angriffspunkte, und will das hier an dieser Stelle gar nicht überstrapazieren, zumal wir uns beim Knackpunkt "Konsum als Problem - ja/nein/vielleicht?" nicht annähern werden.
>

Wahrscheinlich nicht. Müssen wir auch nicht.

>Oh, das habe ich sehr wohl verstanden (bevor Du mir jetzt auch Trollerei unterstellst)...
>

Bitch pls ;)

>...nur sage ich, dass sich Prägungen, Weltbilder und *Trommelwirbel* Sozialisation eben auch in meiner Bereitschaft widerspiegeln, wirtschaftspolitische Veränderungen, um die es Dir hier doch ursprünglich ging, mitzutragen. Egal.
>

Ich glaube immer noch wir reden komplett einander vorbei.
Wieder Politik. Wirtschaftspolitische Entscheidungen die du trägst usw.
Mir geht es um was anderes, "Kauf dich glücklich" als Lebensmotto, Apple als Jesusersatz usw.
Das woran wir als Menschen glauben, die Antworten die wir auf die Frage "Was ist der Sinn meines Daseins" finden.
Führt glaube ich zu nix.

>Joa, und ich sage, dass das halt ziemlich genau das widerspiegelt, was die Bürger dieses schönen Landes in den letzten 30 Jahren aktiv gewählt haben. Alternativen gab und gibt es, die Mehrheit wählt halt "weiter so!". Scheiße? Jepp. Demokratie? Aber sicher doch!

Es ist aus demokratischer Sicht verständlich wenn sich Parteien in ihrem Programm sukzessive dem annähern was der Konsens von Kompromissen abbildet, da genau dort die meisten Wähler abzuholen sind. Wenn das alle Volksparteien gleichzeitig machen, verstehe ich aber nicht mehr wo ich als Wähler noch Alternativen hätte. Die hab ich auf dem Papier, aber keine von ihnen schafft die Parlamentshürde.


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