Thema:
Re:Welche Welt darf es denn sein? flat
Autor: token
Datum:25.09.19 07:47
Antwort auf:Re:Welche Welt darf es denn sein? von suicuique

>>Kapitalismus setzt integral auf Wachstum.
>
>M. E. hast Du Kapitalismus dem Grunde nach nicht verstanden.
>Was Du als integral bezeichnest ist bestenfalls eine Tangente. Eine Möglichkeit. Wenn auch eine viel genutzte.
>Kein definierendes Funktional von Kapitalismus.
>

Danke für die Erklärung ohne Begründung.
Ich kann nicht vollends ausschließen dass du Recht hast. Ich fürchte jedoch dass du dich irrst. Ich hab den Scheiß zwar nie studiert und im Grunde interessiert er mich auch nicht weil er staubtrocken und unspannend as fuck für mich ist, aber mit dem Naturell Eierwollmilchsau habe ich über Jahre sehr sehr viele Fragen gestellt und meine Antworten über Zusammenhänge aus erster Hand.
Ich habe mich initial auch über vieles gewundert, wie brutal teh regels sind, warum man von Verlusten spricht wenn doch Gewinne erwirtschaftet werden, warum Unternehmen verrecken denen es doch offenkundig gar nicht wirklich wirklich schlecht geht usw.

Nach meinem Verständnis gilt wirklich die Devise, wer nicht wächst stirbt, wenn du dich als Aktienunternehmen anmeldest. Und selbst wenn du es nicht tust wirst du in der Regel auf Krediten wirtschaften. Das ist für mich eine der am einfachsten zu verstehenden Erklärungen für die permanente Notwendigkeit von Wachstum. Zinsen. Wenn Kapital permanent wächst, einfach so, ständig, immer, und stetig, dann braucht es dazu auch ein Gegengewicht wenn dir nicht alles um die Ohren fliegen soll. Und dieses Gegenwicht ist die Industrie. Wer nicht wächst stirbt und wird ersetzt.

Diese Regel pausiert gerade in Räumen mit Niedrigzinsen bzw. Negativzinsen (welche viele Bankensysteme immer noch nicht vernünftig abbilden können weil sowas irrsinniges nie der Plan war), aktuell stirbst du nicht wenn du nicht wächst. Aber genau das ist das Problem und damit ist auch die Blase von Zombieunternehmen gemeint die man sich im Boom von Start-Ups herangezüchtet hat. Wenn man diese eigentlich temporär geplante Anomalie auflöst gibt es ganz viele Plops und das Volumen von Kreditlinien die ausfallen ist massiv. Deja vu. Auch viele Privatanleger dürften sich verkalkuliert haben was sie zu bedienen im Stande sind, aber das ist nicht mal das Hauptproblem, wobei auch dort die dann zu erwartenden Ausfälle massiv sind, und ob die dann aktuell hoch bepreisten Sicherheiten ihre Preise halten, naja. Auch hier, Deja vu.
Das ganze System sitzt (wieder mal) in der Falle, Banken können im aktuellen Zinsraum nicht vernünftig wirtschaften und machen dafür wieder wilde Sachen, was halt das Sahnehäubchen ist.

Dieses Verständnis der Zusammenhänge und wie brutal der Kampf im Markt um Wachstum ausfällt finde ich so auch in Experteninterviews wieder, also dass du die Komponente Wachstum nicht einfach rauskürzen kannst weil du dann vom Hölzchen auf Stöckchen kommst, alles hängt miteinander zusammen, und wenn du das was ist herunterdröselst landest du immer wieder bei der Notwendigkeit Wachstum.  

Wachstum als Tangente zu verstehen kann man meines Erachtens nur auf philosophischer Ebene der Leitlinien von Kapitalismus begreifen, aber nicht, wenn man auf das konkret praktizierte System schaut. Entsprechend spreche ich auch dann von einem Systemwechsel wenn man ein Derivat von Kapitalismus ins Auge fassen würde was die Wachstumskomponente anders handhabt, weil dieses vermeintlich kleine Detail nach meinem Verständnis dazu führen würde, das sich quasi die ganzen Marktzusammenhänge neu erfinden müssten.

Wenn du magst kannst du mir aber mehr vor die Füsse werfen als "Du hast das alles nicht verstanden", es würde mich ohne Ironie interessieren, bestenfalls auch wie du die Zinsproblematik ohne Gegengewicht löst, wieso Anleger ein Motiv haben sollten ihr Geld in Unternehmen zu parken die nicht auf Kursgewinne aus sind und nach Gusto "nur" Dividenden ausgeben, und wo diese dann herkommen, etc.


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