Thema:
Re:Welche Welt darf es denn sein? flat
Autor: Sockenpapst
Datum:24.09.19 20:03
Antwort auf:Re:Welche Welt darf es denn sein? von token

>Was mich umtreibt ist schlicht und ergreifend die Überzeugung, dass wir als Gesellschaft versuchen ein Problem mit einem Werkzeug zu lösen, welches dieses nicht lösen kann. >Und wir das eigentlich auch wissen, aber nicht wahrhaben wollen und so tun als ob.

Ich sehe kein Wegschauen. Ich sehe vielmehr Resignation angesichts der Größe der Aufgabe, des globalen Maßstabes, und der zur Verfügung stehenden Zeit. Das Werkzeug erscheint mir weniger das Problem als vielmehr die Frage, ob ein tatsächliches Verhindern überhaupt möglich ist. Nicht in Modellen, sondern in einer Welt mit 190+ extrem unterschiedlich reichen, entwickelten, mächtigen und von den direkten Folgen des Klimawandels unterschiedlich und zeitversetzt betroffenen Staaten.

>Wenn du dem grundsätzlich widersprechen würdest, hätte ich auch gerne ein Möhrchen warum die Annahme falsch ist, und warum wir hier kein systemimmanentes Problem hätten, dass auch ohne Systemwechsel lösbar wäre.

Das Problem halte ich nicht für systemimmanent kapitalistisch, sondern für eines, dass durch spezifische industrielle Pfadabhängigkeiten/Grundsatzentscheidungen entstanden ist, insbesondere durch das vollständige Setzen auf fossile Brennstoffe. Und hier würde ein Umsteuern in jedem Wirtschaftssystem ein Husarenstück. Daneben teile ich Deine eigene (ok), jedoch nicht ausreichend spezifizierte (nicht so ok) Kapitalismus-Definition nicht. Warum, steht im ersten Absatz meiner ersten Antwort. Deshalb tue ich mich so schwer zu verstehen, wo Du herkommst, und wo Du hinwillst. Aber gut.

Daneben: ein Systemwechsel - wohin auch immer - in unsicheren politischen Zeiten dauert Zeit; Spielregeln müssen neu austariert werden und neue Verteilungskonflikte zwischen Verlieren und Gewinnern müssen geschlagen werden. Und das Gelingen eines solchen Prozesses ist ungewiss, frag als Musterbeispiel mal die UdSSR. Deshalb hat derjenige, der einen solchen Wechsel wagen möchte, nun mal sehr konkret zu sagen, wo die Reise hingehen soll.

>Und das glaube ich eben nicht. Die Deadline ist kurz für einen fließenden Übergang. Ein rabiater Übergang zu derart anderen Grundprinzipien würde meines Erachtens sofort in eine beispiellose Wirtschaftskrise umschlagen und entsprechend niemals abgesegnet werden.

Und Dein Systemwechsel nicht?

>Aber ich behaupte, dieses System wird das niemals niemals niemals nicht zulassen, warum sollte sich die Industrie auf einen Zusammenbruch einlassen?

Jede Reform, die aktiv einen kompletten Zusammenbruch bestehender und tragender Wirtschaftszweige in kurzer Zeit bewusst herbeiführt, wird scheitern. Vollkommen egal, wie oft Sid und Du (mit Recht, das ist ja der zynische Witz) behaupten, dass dies sowieso erfolgen wird.

>Wie sollen Staaten sowas global koordinieren? Wie sollen Staaten die sich aktuell nicht mal trauen eine konsequente Emissionsbesteuerung durchzubringen zu solch einem Husarenstück hergeben.
>
>Mir geht es halt weniger darum was theoretisch möglich wäre, sondern mehr darum was unter den Gegebenheiten des bestehenden Systems praktisch vorstellbar ist. Und zwar so, dass wir die Deadline halten. Wenn wir theoretisch blieben ließe ich mir hinsichtlich der Vereinbarkeit von Kapitalismus und Umweltzielen durchaus einiges abringen was mich ins grübeln brächte, aber nicht beim aktuellen status quo.


Ich stimme Dir in der Analyse ja sogar weitgehend zu, raffe nur absolut nicht, wie Du Dir durch einen nationalen Alleingang (?) hin zu einer irgendwie kommunalen Wirtschaftsordnung (?) eine Verbesserung erhoffst.

EDIT: Habe erst nach Verfassen dieser Antwort die Deinige auf Telemesse gelesen, und verstehe durchaus einige Deiner Angriffspunkte, und will das hier an dieser Stelle gar nicht überstrapazieren, zumal wir uns beim Knackpunkt "Konsum als Problem - ja/nein/vielleicht?" nicht annähern werden.

>>Ich sage, dass die Menschen tatsächlich entsprechend ihrer Prioritäten handeln und wählen.
>>
>Again, das hat alles nix mit Politik zu tun. Das steht da oben auch in dem Satz auf den du antwortest.


Oh, das habe ich sehr wohl verstanden (bevor Du mir jetzt auch Trollerei unterstellst)...

>Es geht darum, was treibt mich als Menschen in der westlichen Gesellschaft an. Woran glaube ich? Was sind meine Ideale? Wo will ich hin? Was möchte ich erreichen? Was macht mich glücklich? Was ist mir wichtig?
>Es ist komplett normal das weite Teilen dieses Fragenkatalogs von Außen geprägt werden. Einem ein Stück weit einprogrammiert werden. Das ist jetzt keine Erkenntnis dass dein Weltbild nicht in deinen Genen mitgegeben wurde, sondern maßgeblich durch kulturelle Einflüsse, Erziehung usw. geprägt wird.
>Und was uns da eingeprägt wird, bezeichne ich als Gehirnwäsche, weil es rein zufällig genau die Dinge sind die Kapitalismus im Verhalten von Bürgern benötigt um richtig aufzublühen. Und das hat nichts mit Politik zu tun. Dem Konzern ist egal ob du Nazi oder Hippie bist solange du sein Produkt kaufst. Und wie diese Programmierung von statten geht ist wirklich top notch, Kirchen, Nationalsozialismus, Sekten, alle die sich solcher Mittel bedient haben müssen vor Neid erblassen wenn sie das 24/7 Bombardement von Werbung sehen und wie sie das gestaltet woran wir glauben und von was wir denken dass wir uns das wünschen würden.


...nur sage ich, dass sich Prägungen, Weltbilder und *Trommelwirbel* Sozialisation eben auch in meiner Bereitschaft widerspiegeln, wirtschaftspolitische Veränderungen, um die es Dir hier doch ursprünglich ging, mitzutragen. Egal.

>>Weil Du Demokratie und Freiheit durch ein "aber" des autonomen Staates einschränkst.
>>
>Verstehe ich einfach nicht, reden wir aneinander vorbei?


Ich habe die staatliche Autonomie nicht allein auf die von der Industrie verstanden.

>Ich bin ein Verfechter von Demokratie. Ich sehe aber aktuell nicht mehr dass der Staat den Idealen der Demokratie noch gerecht wird. Demokratie heißt nicht, jeder erzählt was, am Ende machen alle das Gleiche. Demokratie heißt nicht, dass Programme maßgeblich von der Wirtschaft angetrieben und gestaltet werden und diese im Parlament ein und aus geht, während die Wahlbeteiligung Richtung Keller kullert und als Grund Politikverdruss angeben wird, weil da ist rot und grün und gelb und schwarz, aber wenn man drauf schaut sind das alles die gleichen Gummibärchen die sich geschmacklich nur noch in Nuancen unterscheiden.

Joa, und ich sage, dass das halt ziemlich genau das widerspiegelt, was die Bürger dieses schönen Landes in den letzten 30 Jahren aktiv gewählt haben. Alternativen gab und gibt es, die Mehrheit wählt halt "weiter so!". Scheiße? Jepp. Demokratie? Aber sicher doch!


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