Thema:
Re:Welche Welt darf es denn sein? flat
Autor: token
Datum:24.09.19 17:19
Antwort auf:Re:Welche Welt darf es denn sein? von Sockenpapst

>>Das weiß ich nicht, aber das sind meines Erachtens die Fragen die man stellen muss.
>
>Weißt Du, ich hacke mehrfach auf diesem Punkt rum, da mir tatsächlich nicht klar ist, wo Deine Kritik eigentlich hin will. Das ist per se nicht schlimm. Aber um mich in Bewegung zu setzen, brauche ich eine Möhre, die mir vorgehalten wird. Und kein "Lass uns mal gemeinsam einen Stuhlkreis bilden". Ich weigere mich, den Status quo zu verdammen, wenn die Alternative nicht attraktiver erscheint. Das klingt jetzt despektierlicher als ich es meine, aber tatsächlich sehe ich die ganz konkrete und historisch in unendlicher Ausprägung belegte Gefahr, dass gute, aber ergebnisoffene Ideen zu schnell pervertiert werden, weil das hehre Ziel die Mittel rechtfertigen soll. Und welches hehrere Ziel als die Rettung der Welt könnte es geben?
>

Was mich umtreibt ist schlicht und ergreifend die Überzeugung, dass wir als Gesellschaft versuchen ein Problem mit einem Werkzeug zu lösen, welches dieses nicht lösen kann.
Und wir das eigentlich auch wissen, aber nicht wahrhaben wollen und so tun als ob.
Und das man sich um dieses Pudels Kern herummogelt finde ich sehr irritierend.

Wenn du dem grundsätzlich widersprechen würdest, hätte ich auch gerne ein Möhrchen warum die Annahme falsch ist, und warum wir hier kein systemimmanentes Problem hätten, dass auch ohne Systemwechsel lösbar wäre.
Ansätze sind ja da, etwa der Einwand mit sozialer Marktwirtschaft und wie der Staat das regulieren. Auf diese gehe ich ja auch ein, warum ich das anders sehe.
An solchen Eckpunkten wird es durchaus konkreter, inwiefern das immer noch "Stuhlkreis" sein sollte erschließt sich mir nicht.

>Ich sehe es tatsächlich nicht ansatzweise so festgefahren und korrumpiert, dass nur eine quasirevolutionäre Veränderung die Rettung sein kann. Gerade Dein "Schwenk zu Nachhaltigkeit" ließe sich selbstverständlich innerhalb des Bestehenden umsetzen.
>

Und das glaube ich eben nicht. Die Deadline ist kurz für einen fließenden Übergang. Ein rabiater Übergang zu derart anderen Grundprinzipien würde meines Erachtens sofort in eine beispiellose Wirtschaftskrise umschlagen und entsprechend niemals abgesegnet werden. Man hat sich ja nicht mal getraut Banken kippen zu lassen.
Wenn man bereit wäre diesen Preis zu zahlen einen breakdown zu riskieren um sich anschließend zu berappeln, hier könnten wir diskutieren ob sowas dann ginge.
Aber ich behaupte, dieses System wird das niemals niemals niemals nicht zulassen, warum sollte sich die Industrie auf einen Zusammenbruch einlassen? Wie sollen Staaten sowas global koordinieren? Wie sollen Staaten die sich aktuell nicht mal trauen eine konsequente Emissionsbesteuerung durchzubringen zu solch einem Husarenstück hergeben.

Mir geht es halt weniger darum was theoretisch möglich wäre, sondern mehr darum was unter den Gegebenheiten des bestehenden Systems praktisch vorstellbar ist. Und zwar so, dass wir die Deadline halten. Wenn wir theoretisch blieben ließe ich mir hinsichtlich der Vereinbarkeit von Kapitalismus und Umweltzielen durchaus einiges abringen was mich ins grübeln brächte, aber nicht beim aktuellen status quo.

>>Da verdrehst du was. Die Gehirnwäsche ist nicht auf Politik gemünzt, sondern darauf was wir für uns selbst als wichtig erachten.
>
>Ich sage, dass die Menschen tatsächlich entsprechend ihrer Prioritäten handeln und wählen. Das gefällt Dir und anderen hier nicht und mag auch in vielerlei Hinsicht zu kurz gesprungen sein. Aber nur weil ich auf Gangbangs ohne Gummi stehe, macht mich das nicht gehirngewaschen. Nur zu einem Idioten. Mit einer Stimme im demokratischen Prozess. Und auf Grundlage dieser Annahmen sehe ich die Gefahr, dass Du im Glauben ein Wirtschaftsmodell zu kritisieren und letztlich zu ändern, unbewusst die demokratische Gesellschaftsordnung umreißt. Weil in dieser jede einzelne gottverdammte Maßnahme abgestimmt werden muss, was gerade objektiv problematisch ist.
>

Again, das hat alles nix mit Politik zu tun. Das steht da oben auch in dem Satz auf den du antwortest. Es geht darum, was treibt mich als Menschen in der westlichen Gesellschaft an. Woran glaube ich? Was sind meine Ideale? Wo will ich hin? Was möchte ich erreichen? Was macht mich glücklich? Was ist mir wichtig?
Es ist komplett normal das weite Teilen dieses Fragenkatalogs von Außen geprägt werden. Einem ein Stück weit einprogrammiert werden. Das ist jetzt keine Erkenntnis dass dein Weltbild nicht in deinen Genen mitgegeben wurde, sondern maßgeblich durch kulturelle Einflüsse, Erziehung usw. geprägt wird.
Und was uns da eingeprägt wird, bezeichne ich als Gehirnwäsche, weil es rein zufällig genau die Dinge sind die Kapitalismus im Verhalten von Bürgern benötigt um richtig aufzublühen. Und das hat nichts mit Politik zu tun. Dem Konzern ist egal ob du Nazi oder Hippie bist solange du sein Produkt kaufst. Und wie diese Programmierung von statten geht ist wirklich top notch, Kirchen, Nationalsozialismus, Sekten, alle die sich solcher Mittel bedient haben müssen vor Neid erblassen wenn sie das 24/7 Bombardement von Werbung sehen und wie sie das gestaltet woran wir glauben und von was wir denken dass wir uns das wünschen würden.

>>Ich rechne hier auch nicht damit dass sowas angenommen wird, dein Lebensentwurf ist bullshit den man dir in den Kopf gepflanzt hat, ist halt schon eine steile Aussage.
>>Ich denke jedoch so dass das wirklich so ist.
>
>Ich kürze diesen Aspekt massiv ab, da ich dieser zentralen These nicht im Ansatz mitgehe. Let´s agree to disagree.
>

Ja, kann ich gut mit leben. Wie gesagt, schon klar dass das recht weird rüberkommen kann. Ich hab halt lange Zeit selbst nicht hinterfragt was ich eigentlich mache und warum, da hätte ich mir für solche Zeilen selbst den Vogel gezeigt.

>>>>Demokratie ist gut, Freiheit ist Menschen wichtig und ein wertvolles Gut, aber ein Staat muss in erster Linie seinen Bürgern und nicht der Industrie unterstellt sein und sich letztlich seine Autonomie wahren.
>>>
>>>Bei diesem Satz schüttelt es mich. Ernsthaft.
>>
>>Why.
>
>Weil Du Demokratie und Freiheit durch ein "aber" des autonomen Staates einschränkst.
>

Verstehe ich einfach nicht, reden wir aneinander vorbei?
Ich formuliere es anders. Demokratie ist auf einen autonomen Staat angewiesen um Demokratie zu sein. Wirtschaftsinteressen sind hierbei etwas was man nicht ausklammern darf, deswegen steht da nicht "Staat sollte ausschließlich Bürgern unterstellt sein" sondern "...in erster Linie...".
Ich bin ein Verfechter von Demokratie. Ich sehe aber aktuell nicht mehr dass der Staat den Idealen der Demokratie noch gerecht wird. Demokratie heißt nicht, jeder erzählt was, am Ende machen alle das Gleiche. Demokratie heißt nicht, dass Programme maßgeblich von der Wirtschaft angetrieben und gestaltet werden und diese im Parlament ein und aus geht, während die Wahlbeteiligung Richtung Keller kullert und als Grund Politikverdruss angeben wird, weil da ist rot und grün und gelb und schwarz, aber wenn man drauf schaut sind das alles die gleichen Gummibärchen die sich geschmacklich nur noch in Nuancen unterscheiden.

>>Glaubst du wirklich dass die Industrie staatliche Regulation nicht über die Zeit zunehmend unterwandert hat?
>
>Doch, klar, dafür gibt es viele Einzelbeispiele. Doch sehe ich nicht das Problem, dass hier kein Umsteuern möglich sei. Ich sehe tatsächlich viele kaputte Bäume. Aber einen schicken Wald. Und um diesen zu retten, muss man marktwirtschaftliche Instrumente (u.a. lenkende CO2-Steuern/Zertifikate) bemühen.
>

Dann verstehe ich deine Einwände. Ich sehe diesen Umstand deutlich düsterer, ich sehe einen abgebrannten Wald in dem sich noch paar Bäume finden.
Ich erkenne keinen Willen, nur Opium für's Volk. Alles was in den letzten 20 Jahre wirklich Impact hatte wenn es um Reformen geht, waren Reformen auf Kosten des Sozialstaats die ganz zufällig zu Gunsten von Wirtschaftsinteressen ausfielen.

>Und an anderer Stelle kann man sozial- und finanzpolitisch massiv intervenierend auftreten. Natürlich geht das, das müssen die Leute aber auch wählen. ies alles ist jedoch für die Rettung des Waldes gar nicht zwingend erforderlich und ich halte es, mal ganz konkret gesprochen, auch nicht für den vielversprechendsten Ansatz, soziale mit Umwelt-Fragen zu vermengen. Ganz im Gegenteil.
>

Mir geht es nicht darum irgendwas zu vermengen, sondern darum dass es nur noch ein treibendes Interesse gibt. Alles andere steht hinten an. Und wenn dieser Schiefstand zu argen Unmut führt, zündet man paar Nebelkerzen.

>Ich sehe keinen Grenzen Abbruch des Wachstums, sorry, Club of Rome. Ich sehe ein Ende spezieller Produktionstechniken oder Ernährungsgewohnheiten, ein Ende einer ölbasierten Fertigung, etc. pp., aber keine Welt, in der individuelles Gewinnstreben, die Weiterentwicklung des Bestehenden und die Entwicklung komplett neuer Techniken aus egoistischen Gründen aufhörten zu existieren.

Tja, und ich sehe nicht warum diese Dinge nicht auch mit einer anderen Form von "Wachstum" vereinbar wären, das ist kein entweder oder. Ich spreche dem Kapitalismus lediglich ab zu so einem Wandel im Stande zu sein. Dementsprechend meinte ich auch, man kann davon viel lernen, auch sowas wie Gier als Zweckvehikel ist nicht grundverkehrt wenn man es anders kanalisiert.


< antworten >