Thema:
Die unbequeme Wahrheit [tl;dr] flat
Autor: token
Datum:24.09.19 11:46
Antwort auf:Umwelt, Bewusstsein, Klima: Es ist 5 NACH 12 ! von lmarvin

Meines Erachtens wird die Klimakrise durch eine Grundsatzproblematik angetrieben, welche auf allen denkbaren Ebenen ausgeblendet wird. Sie spielt eine untergeordnete Rolle in der öffentlichen Diskussion, sie spielt keinerlei Rolle bei den politisch angedachten Maßnahmen um der Krise zu begegnen, sie ist kaum im aktiven Bewusstsein der Bevölkerung verankert, ihre Rolle wird selbst von großen Teilen derjenenigen welche die Krise und ihre Ursachen ernst nehmen und sich einen Wandel wünschen, nicht hinterfragt, sondern als unverrückbare Prämisse begriffen.

Es geht um nicht mehr und nicht weniger als die bestehende Gesellschaftsform in ihrer symbiotischen Beziehung zur Industrie/Kapitalismus.
Wenn es heutzutage um Maßnahmen geht, geht es immer darum den status quo zu wahren und hierbei Form der Gesellschaft und Funktionsformat bestehender Kreisläufe zu konservieren.
Das ist schlicht und ergreifend nicht möglich und bildet einen Widerspruchscharakter, auch hier trifft die alte Phrase zu, dass die Ursache eines Problems in der Regel nicht dessen Lösung liefern kann.
Und dass die Erfolgsgeschichte des Kapitalismus mit seiner sich stetig beschleunigenden Konsumschleife letztlich der Wegbereiter zur aktuellen Lage war ist in seiner Herleitung derart trivial dass ich mir das jetzt einfach spare.

Wie kommt es also dass etwas das so einfach zu verstehen ist, dennoch so hartnäckig ignoriert wird, obwohl es offenkundig ein derart fundamentaler Ankerpunkt der Krise ist?
Ich denke, es ist ein klassischer Verdrängungsmechanismus der durch Sorgen und Ängste katalysiert wird. Und Sorgen und Ängste sind vollends berechtigt massiv wenn es um Reformen geht, die an fundamentalen Grundsätzen schrauben sollen.
Bis zu einem gewissen Grad kann sich ein jeder mit Veränderungen arrangieren, sofern diese überschaubar bleiben, ja teils gar lustvoll solche Veränderungen begrüßen.
Wenn es darum geht meine Wohnung neu zu streichen, einen Schrank aufzustellen, eine Kommode abzubauen, das sind überschaubare Problemstellungen die zwar mit Aufwänden verbunden sind, aber auch mit greifbaren Belohnungen und Mehrwerten winken. Wenn es darum geht umzuziehen geht mir der Arsch aber schon eher auf Grundeis. Und wenn es darum ginge umzuziehen, aber so dass ich vor dem Auszug die neue Wohnung nicht mal sicher habe und ein Risiko vorherrscht dass ich dann mit Sack und Pack auf der Straße lande, wird mir kotzübel.

Und Demokratie und Kapitalismus ist nun mal das Haus in welcher die Gesellschaft wohnt. Und jetzt versuchen wir es mit kleinen Changes zu renovieren. Ein Umzug aus diesem Haus soll vermieden werden. Um Himmels Willen.
Teh Problem: Das Haus steht in Flammen!


Ich denke, die Gesellschaft als solche hat schon die richtigen treibenden Ängste, die richtigen Sorgen, unterbewusst schon ein Gefühl dafür dass gerade massiv viel schief läuft. Rente und Altersabend ist etwa ein Thema. Die dort vorherrschenden Unsicherheiten. Und ich glaube, bei diesem Block kann man sich auch ganz gut durch diverse Schiefstellungen durchackern.

Wie ist da der Stand der Dinge. Alterspflege ist eigentlich ein industrieller Sektor. Es könnte hier besser stehen wenn dieser höher priorisiert würde. Die Probleme der Alterssorge potenzieren sich, sie ist recht teuer, es muss vorgewirtschaftet werden um diese Kosten zu tragen, wobei diese Vorwirtschaftung zu Dingen die am Horizont liegen von Natur aus nicht ganz so ernst genommen werden. Entsprechend ist das Kapital im Sektor recht knapp bzw. unzureichend, die Jobs in diesem Sektor unterbesetzt, und trotz Unterbesetzung die den Job dann noch härter machen, schlecht bezahlt.

Das Problem wäre lösbar, denn Arbeitskräfte die nicht gebraucht werden und deren Arbeit keine Funktion erfüllt, sind mehr als genug vorhanden. Wie schaffen wir es etwa Massenarbeitslosigkeit zu vermeiden, obwohl enorm viele klassische Tätigkeiten automatisiert werden und ganze industrielle Blöcke in Zeiten der Globalisierung ins Ausland wandern?
Nun ja. Wir verwalten. Und verwalten die Verwaltung. Und denken uns jedes Jahr neue regulatorische Auflagen aus die Anpassungen der Verwaltung erfordern. Ein wirklich immenser Teil von Jobs in Deutschland hat rein gar nichts mit Produktivität zu tun. Es sind Jobs die keinen echten produktiven Zweck erfüllen. Selbst ein großer Teil produktiver Jobs, etwa im IT-Sektor, ist nur dazu da um diesen Apparat zu bedienen.

Jetzt könnte man umschichten. Warum tun wir das nicht?
Look back, da wo diese Verwaltungsjob ausgeübt werden ist das Kapital da um das zu bezahlen. Die Industrie lässt sich so auf dieses Spielchen ein, sie braucht halt auch Konsumenten mit Kapital. Im Pflegesektor ist dieses Kapital jedoch nicht verfügbar.

Die Rolle des Staates wäre nun eigentlich diese Schiefstände zu kompensieren, bspw. indem sie das Kapital verschiebt. Das tut der Staat als mittlerweile verlängerter Arm der Industrie aber nur unzureichend, die regulatorische Auflage ist einfacher in der Umsetzung als wirklich massive steuerliche Auflagen.

Und da sind wir nun. Und dieser Systemzustand ist schon so eingefahren dass gar nicht mehr daran gedacht wird, dass das auch anders ginge. Das Blöde ist halt, diejenigen welche die Macht haben, also die Industrie, die leiden nicht unter diesen Schiefstand. System is running. Und hier ist die Devise, never change a running system. Change=Risiko, und Risiken geht man nur dort ein wo es etwas zu gewinnen gibt. Es gibt in der Industrie schlicht und ergreifend keinerlei Motiv oder Interesse. Es ist alles gut.

Aber, warum wird sowas denn von der Bevölkerung getragen?
Nun, das wird es zum Teil nicht. Man versucht so zu wählen dass solchen Interessen begegnet wird. Aber, wenn Politik primär von der Industrie gesteuert wird, und Zugeständnisse an die Bevölkerung nur so weit gemacht werden, wie es zum Machterhalt notwendig ist, dann passiert da nicht viel. Teilweise passiert das Gegenteil, die SPD ist ja aus gutem Grund am Arsch, ihre Machtphase hat zu einem massiven Vertrauensverlust geführt, aus gutem Grund, denn wer sich "Sozial" auf die Fahne schreibt und dann gegenteilige Politik macht, tja.

Ein anderer Aspekt ist Gehirnwäsche. Wir schauen uns gern Dokus an wie brainwashed doch die Bürger in anderen Gesellschaftssystemen sind. Der Kommunist als Ameise im Bau der sich dann von Rüben ernährt, der Chinese der ins Umerziehungslager gesteckt wird. Dabei sind wir hinsichtlich Gehirnwäsche in Demokratien die Besten der Besten der Besten.
Unsere eigene Propaganda ist überall, du kannst nicht aus dem Haus ohne sie sofort zu sehen. Sie nennt sich Werbung. Von Geburt an pflanzt uns Werbung Trugbilder und Lügen in den Kopf. Niemand muss hier "Vereine" wie Scientology oder die Zeugen belächeln, sich fragen wie etwas derart stupides und einfach zu entlarvendes funktionieren kann. Denn zur Beantwortung der Frage wie das funktionieren kann muss man nur in den Spiegel schauen.

Und selten war Werbung so einfach zu entlarven wie heutzutage, wo einem die Schizophränie der Message mit dem Arsch ins Gesicht springt. Denn Marketing nimmt die Punkte auf um die wir uns Sorgen machen und verdreht diese ins Positive, aber heute sind unsere Sorgen so gelagert dass dieser Stunt einen direkten Widerspruchscharakter bildet.
Beispiele? Nehmen wir etwa die Telekomwerbung welche in die Offensive geht. Digitalisierung? Was soll das eigentlich, was machen wir damit, was haben wir dadurch alles vergessen was gut und wichtig war? Traurige Musik. Kann man damit nicht auch was geiles machen? Und dann zeigt sie uns genau das was sie 15 Sekunden vorher kritisiert hat, und untermalt es mit euphorischer Stimme und hoffnungsvoller Musik.
Samsung zeigt mir auf YouTube was es alles macht für die Umwelt und das Klima, ein Spot der über Minuten geht, Message, kauf die Umwelt gesund. Aber Konsumschleife und Mangel an Nachhaltigkeit ist Ursache des Problems, Kaufen ist das Problem. That's obvious.


Wir müssen meines Erachtens einsehen, dass wenn Mutter Erde das Haus ist was in Flammen steht, und westliche Gesellschaften die Feuerwehr sein soll die den Brand löscht, diese Feuerwehrstation selbst in Flammen steht und man statt Wasserwerfern Flammenwerfer verwendet.
Und eines ist klar, weder Nestle noch die CDU werden uns das Angebot machen, wirklich etwas daran zu ändern.
Man kann aus Kapitalismus und Demokratie viel lernen. Kapitalismus zeigt uns mächtige Triebfedern auf mit Egoismus und Gier, dies kann man nutzen, man muss diese Gier aber auf echtes Glück und nicht falsches und nicht aufgehendes Glück kanalisieren.
Demokratie ist gut, Freiheit ist Menschen wichtig und ein wertvolles Gut, aber ein Staat muss in erster Linie seinen Bürgern und nicht der Industrie unterstellt sein und sich letztlich seine Autonomie wahren.

Wir müssen uns einfach die Dinge, die wir unterbewusst eh schon wissen auch mal eingestehen, auch wenn die Erkenntnis einem Angst macht. Und die richtigen Fragen stellen, statt Symptome zu bandagieren. Solange wir das nicht tun bleibt eine erstrebenswerte Welt ein Utopia und die Menschheit auf einer road to nowhere.
Eine schöne Welt ist möglich, Menschen die Berufen nachgehen die einen Zweck erfüllen, ein sicherer Altersabend, Kinder die eine Zukunft haben, Menschen die Zeit haben für die Dinge die sie erfüllen, nämlich ihre Familie und Freunde, all das ginge.
Aber nicht in diesem System.


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