Thema:
Digitalisierung funktioniert ÜBERALL!!!1! flat
Autor: Sven Mittag
Datum:22.09.19 21:38
Antwort auf:Der Gesundheitsthread - Spahnende Zeiten von Sven Mittag

Zugegeben: Mein Bericht über die TI war letztes Mal etwas ätzend. Einfach nur genervt! Als alteingesessene Praxis mit gerade mal zwanzig I9-Rechnern und mehr verbautem LAN-Kabel als die hiesigen Ämter komplett kann man natürlich vor Änderung und Neuerungen etwas zu ängstlich sein. Gerade wenn es um so ein komplexes Thema wie Digitalisierung geht.

Und die TI bringt ja mit den nächsten Stufen auch eine deutlich Entlastung. Dank eRezept und E-Gesundheitsakte werde ich als Arzt ENDLICH mehr Zeit für die sprechende Medizin haben laut Herrn Spahn. Endlich kann ich auch mal meinen Patienten fragen, wieso er mich eigentlich gerade nervt. Vielleicht geht er dann auch nicht mehr zu dem depperten Heilpraktiker mit seinem Wunderzucker, nur weil dieser halt ne Stunde mit Ihm redet und nicht wie ich so im Schnitt 15 bis 30 Sekunden. Wieso sich der Depp von Patient deshalb gleich von dem Scharlatan besser behandelt fühlt, erschließt sich mir nicht.

Man nehme nur das eRezept. Welch Wunder der digitale Zeitersparnis. Wisst ihr eigentlich wie viel Zeit uns Ärzten so ein Rezept kostet? Also ich brauche allein so 3 Stunden pro Woche um die passenden Farben anzumischen. Und auch wenn ich mittlerweile recht schnell bin, dauert es gut 30 Minuten bis ich so ein Ding fertig gemalt habe. PRO REZEPT! Gut, meine Helferin braucht danach nur noch so im Schnitt 15 Sekunden, um das Teil dann mit unserer Praxis-EDV auszudrucken nachdem die Farbe für die Vorlage getrocknet ist, aber davor ist es halt verdammt viel Arbeit.
Dank eRezept kann ich mir die ganze Pinselei natürlich sparen. Gut, es kostet mich vielleicht etwas mehr Zeit, wenn dann doch die komplexe Technik mal streikt. Immerhin kann Jaquelin vorne mit Ihrem Hauptschulabschlus bei der altmodischen Druckertechnik mittlerweile die Patronen bei niedrigem Füllstand selbst tauschen und wenn halt mal ein Drucker wirklich hin ist, weiß Sie sogar, wie man auf einen der anderen fünf Netzwerkdrucker der Praxis zugreift.
Dies ist halt bei der TI schon etwas komplexer und kann Sie etwas überfordern. Wenn die EDV ein rotes Lämpchen anzeigt, kann es halt schon sein, dass der Router streikt und neugestartet werden muss. Es kann sein, dass die TI-Server nicht erreichbar sind. Und es soll bei uns in der Praxis sogar schon mal vorgekommen sein, dass die Telekom irgendwie so ein komische Problem mit dem "Internet" hat und ohne geht halt nix. Gut, dies lässt sich halt nur durch Ausschlussdiagnostik wirklich feststellen. Aber die 30 Minuten während sich die Patienten im Wartezimmer stapeln, habe ich ja spätestens mit der Einsparung durch die E-Akte ratzfatz wieder drin.

Man bedenke nur wie viel Zeit ich bisher damit investiert habe, die Patienten nach Erkrankungen und Medikamenten zu erfragen. Also mit Ihnen zu...reden? Zukünftig kann ich also ganz entspannt in meinen PC reinstarren und die 300 Seiten an Arztberichten, OP-Berichten und Medikamentenlisten durchlesen. Gut werdet ihr sagen: Dies wird doch eh kein Arzt machen! Und ihr habt natürlich recht. Vermutlich werden die meisten Ärzte einfach weiterhin Ihre Anamnese abspulen, um diesen Arbeitsschritt in 1-2 Minuten mit einer über 99 % Erfolgswahrscheinlichkeit abzuschließen. Aber zumindest die Melanie hier im Forum findet diese neue Technik sicher voll dufte. Ich meine: Der Patient verreckt an ner Unverträglichkeit, die irgendwo auf Seite 5 in nem Arztbericht von 1997 steht und *katsching*, Baby! Nach Verlust seiner Approbation hat der Arzt dann auch endlich nur durch das Wunder der E-Akte richtig viel Zeit für die sprechende Medizin.

Dann rechnet es sich nämlich auch Herr Spahn, wenn ich einmal PRO QUARTAL im Schnitt 10 Euro von der Krankenkassen bekomme, um mit meinen Patienten zu sprechen. Mit noch gültiger Approbation ist dies nämlich etwas schwer, da ich davon im Schnitt noch 2-3 Angestellte, etwas Miete und Strom bezahlen und nen mindestens 6-stelligen Kredit abzahlen muss. Und wie nur Matze weiß: So ein alter Whiskey kann schon mal mehr als 10 Euro kosten. Von daher bin ich mir ganz sicher: Sobald die Ärzte endlich mehr Zeit zum Reden mit den Patienten haben, werden Sie es auch GANZ sicher tun! Es lohnt sich nämlich!


< antworten >