Thema:
Schattenjäger flat
Autor: Schlomo
Datum:17.09.19 17:51
Antwort auf:3. Schreibübung - Verfolgungsjagd von K!M

Wir waren die Strecke so oft gelaufen, dass wir jeden Schritt kannten. Zwischen den samtbespannten Stuhlreihen entweder nach links oder rechts in den Gang, dann die Stufen hoch und zu einem der Ausgänge neben den Sperrsitzen. Es waren nie mehr als zwei Platzanweiser, und da einer von ihnen herabkommen musste, um uns aufzuscheuchen, entkamen wir jedes Mal.

Irgendwann fing man an, kurz vor Öffnung des Vorhangs noch einmal die Reihen abzugehen. Uns blieb nichts anderes übrig, als uns neue Wege zu suchen. Die fanden wir schließlich im Raum hinter der Leinwand, wo früher noch Schauspieler auf der Bühne gestanden hatten, bevor ihre Darbietung durch Lichter und Schatten ersetzt worden war.

Ein verwunschener Ort, in dem immer noch die verstaubten Kulissen der letzten Vorstellung standen. Hölzerne Bäume und Festungsmauern, die nun zu unserem eigenen Räuberversteck wurden. Dutzenden Filmen wohnten wir hier bei, spiegelbildlich verkehrt, aber darum nicht weniger fesselnd.

Doch nichts währt ewig. Kurz nach Abdunklung des Saals stürmten sie herein. Frieda wurde sofort ergriffen, wir zwei Jungs konnten uns losreißen, stolperten von der Bühne, drängelten uns an spät eintreffenden Besuchern vorbei, übersprangen Stuhlreihen und… entkamen!

Anhand der Beschädigungen an meinen Kleidern überführte mich jedoch mein Vater, und ich musste am nächsten Tag mit ihm zum Odeon und mich entschuldigen. Wir spielten nie wieder in der Nähe des prachtvollen Baus, und bis dieser 1961 abgerissen wurde, konnte ich selbst als Erwachsener nie an seinen Säulen vorbeigehen, ohne dass meine Muskeln sich anspannten, als müsste ich jede Sekunde bereit sein zur Flucht.


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