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Re:18 Jahre ist es jetzt her flat
Autor: token
Datum:12.09.19 06:22
Antwort auf:18 Jahre ist es jetzt her von X1 Two

Ich kam seinerzeit mit dem Rad von der Berufsschule heim, wir wohnten da noch im 15. Stock eines Hochhauses. Meine Ex-Frau kam direkt auf mich zu und meinte bestürzt dass ein Flugzeug ins WTC geflogen sei, der Fernseher lief schon, ein Turm stand in Flammen, der zweite Einschlag war noch nicht erfolgt.
Ich weiß noch wie wir darüber debattierten dass das kein Unfall gewesen sein kann, man sah die Bilder und dachte, der zielt doch darauf ab, das kann doch nicht sein. Es schien so undenkbar dass jemand so etwas mit Absicht getan haben könnte, obwohl man es sich kaum anders erklären konnte, und es einfach ein kurioser Unfall gewesen sein muss!

Der zweite Einschlag war dann live, und da gab es keine Zweifel mehr. Meine Ex-Frau stand sofort auf, legte eine VHS ein und startete die Aufnahme, so als Zeitdokument. Es war sofort klar dass das, was auch immer es ist, etwas ist was in Geschichtsbüchern stehen wird.
Was bei mir hängen geblieben ist, war vor allem diese emotionale Verwirrung. Rational begriff ich eine ausladende Dramatik, was da passiert, aber emotional war es eine Form von Aufregung wie bei einem Actionkracher. Als wäre das nicht echt. Ich hasste mich in dem Moment dafür diese angebrachte Betroffenheit und Bestürzung nicht zu fühlen, sondern zu staunen. Es war alles so surreal, immer wieder musste ich mir klar machen dass das kein Film ist. Es hatte ja auch eine Dramaturgie wie aus dem Drehbuch.

Naja, irgendwann erkannte ich dass das nicht nur Trümmer sind die da herabstürzen, sondern Menschen. Dass die springen. Die Kamera hält drauf, da ist das große Bild, aber schaut man hin sieht man immer wieder herabstürzende Menschen. So viele. Es war genau dieses Erkennen was dann diese emotionale Aufregung verdrängte und dazu führte dass diese Schockiertheit von der ich dachte dass ich sie doch fühlen müsste, dann auch fühlte, dass dieser Film zu etwas wurde was tatsächlich passiert und irgendwie greifbar wurde, was da eigentlich passiert.
Natürlich verbrachten wir den ganzen Tag vor dem Fernseher. Was als Erinnerung noch hängen geblieben ist war ausladendes Mitleid für Bush, der so überfordert und hilflos wirkte, was dann schnell in Sorge umschlug was jemand der so hilflos und überfordert wirkt, angesichts solcher Vorfälle für Entscheidungen treffen könnte. Wo das hinführen könnte.

Am nächsten Morgen sprachen wir in der Klasse über die Geschehnisse, die Lehrerin brachte das selbst auf die Tapete, das ging so denke ich 30 Minuten dass sich da alle austauschten. Und dann schloss sie ab und begann mit dem Unterricht. Das ist auch hängen geblieben, dieser Gedanke als ich das sah.
So ist das also wenn etwas tragisches von historischen Ausmaßen passiert. Oft hatte ich überlegt wie das wohl gewesen sein muss für die Menschen wenn sie dabei waren wenn die Welt aus den Fugen geriet. Und so war das dann also.
Man folgt wieder seinem Alltag. Und ich fing an zu rechnen.


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