Thema:
Re:Zu kompliziert, zu chinesisch flat
Autor: token
Datum:08.07.19 17:55
Antwort auf:Re:Zu kompliziert, zu chinesisch von Sockenpapst

>>Jetzt mach ich mal den Pfombo und ziehe mir eine Idee aus dem Hintern um Möglichkeiten aufzuzeigen. Ein Hauptproblem in Deutschland ist das wir auf unseren Stromnetzen auf Braunkohle angewiesen sind, damit diese Netze nicht zusammenbrechen.
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>>Das macht Spaß und erfüllt einen Zweck.
>>Schnappsidee? Vielleicht. Aber im Prinzip sollte man schon sehen dass man viele Dinge machen kann die ganz launig sind und einen nicht viel kosten und schöne Synergieeffekte mitbringen. Ein Gesellschaftsprojekt auf die Straße bringen bei dem sich jeder beteiligen kann und auch Feedbackmechanismen bekommt an denen sich die eigenen Erfolge beim Projekt Klimarettung messen lassen.
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>Pfombo skizziert eine konkrete Lösung, Du sagst abstrakt "Sparen muss Spaß machen und ein gesamtgesellschaftliches Projekt werden!".


Nicht dass es das MUSS, sondern dass es hilfreich wäre den ganzen Themenblock von der Kommunismusschiene runter zu bekommen. Und dass man da Spielräume hätte um das was geleistet werden muss weniger unsexy zu machen.

>Ok. Und weiter? Zum konkreten Stromsparen bei Deiner Idee kein einziges Wort.

Die Idee ist nicht das Strom sparen an sich, sondern im Hinblick auf Aspekte die Verhaltensänderungen erfordern die Menschen mitzunehmen.
Was das für Dinge sind die man tun kann schien mir jetzt nicht vollumfänglich beschreibenswert. Aber wenn es dir gefehlt hat, stille Reserven bei Energie soll heißen, es wird Strom verbraucht ohne Notwendigkeit und Einsparpotenziale nicht gehoben.

Es gibt etwa abseits von Kühlgeräten wenige Standby-Modi die wirklich Not tun. Hier kann man mit entsprechenden Steckdosen Abhilfe schaffen, mit Zeitplänen, oder mit Verhaltensänderungen wie hartem Shutdown. Industrie kann man auch mehr in die Pflicht nehmen, mal als uns allen bekanntes Beispiel etwa die XOne mit hohem Verbrauchswert im Idle und gleichzeitig künstlichen Hürden für den vollständigen Shutdown. Als EIN Fallbeispiel. Kindern konsequent beibringen Licht nur dort zu verwenden wo es gebraucht wird. Alles Dinge die den meisten Leuten irgendwie und irgendwo bekannt sind, die aber nicht konzentriert angegangen werden.

>Genau das ist aber der Punkt: Erst die konkreten Lösungen sind interessant, bspw., wenn der Staubsauger 2019 eine geringere Leistungsaufnahme als der anno 2009 hat und effektiv, aller Weiterentwicklung zum Trotz, schlechter saugt als das olle Modell. Ist das trotzdem sinnvoll? Wahrscheinlich. Das muss ich jetzt aber nicht bejubeln, sondern habe es schlicht zu akzeptieren.
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Ich habe gar nicht in die Richtung gedacht den kompletten Elektropark auszuwechseln, sondern schnelle einfache Dinge, die aber dennoch viel bewirken wenn genügend Publikum mit macht. Und auch hier kann man aufklären, was bedeutet ein Wechsel in der Energieklasse, gibt es Problemgeräte die man besser wechseln sollte auf neue Modelle, welche Möglichkeit hab ich als Bürger um meinen eigenen Haushalt auf Verbrauchswerte zu scannen. Aufklären und einfache Dinge zum Mitmachen anbieten und den Effekt messen.
Eine Art Cloudgame. Als Schnappsidee deren grundlegender Gedanke nicht die konkrete Umsetzung in diesem Einzelfall ist, sondern eben Marketing für die Sache, Aufklärung und kreativer Angang um das Projekt als solches aus seiner mormonischen Biederkeit zu befreien.
Das Ding ist auch, wer Energie verschwendet tut das doch in der Regel weil er gar nicht wahr nimmt dass er das tut weil er nicht darüber nachdenkt. Ich als Raucher hab mir auch nie gedacht, muahahahahaha, tankt euch meinen Gestank, ich war einfach betriebsblind wo es sich wie stark bemerkbar macht. Einfach null darüber nachgedacht. Da hilft es nicht einfach nur Preise für Cigs anzuheben und indirekt zu steuern, da muss man bei Leuten wie mir auch Problembewusstsein aufbauen damit das eigene Verhalten überhaupt reflektiert wird.

>Diesen "breiten Mangel an Aufklärung" sehe ich tatsächlich ganz und gar nicht. Die Gegenstimmen zu konkreten Maßnahmen sind im Mittel nicht durch mangelndes Wissen, sondern durch rationale Erwägungen zum individuellen Einzelfall geprägt. Deshalb halte ich auch absolut gar nichts von irgendwelchen Umfragewerten als Beleg für irgendwas, sondern schaue dann ggf. auf die konkrete Regierungsarbeit, und das, was dann konkret politisch umsetzbar ist.
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Es gibt keine Vorgehensmodelle die nicht kritikwürdig sind. Optimale Lösungen ohne Angriffsfläche sind gar nicht möglich, entsprechend wird es für alle Ansätze rationale gut begründete Gegenargumente geben. Aber die Notwendigkeit von Maßnahmen lässt sich auch nicht wegdefinieren. Man muss jetzt mal welche ergreifen und Entscheidungen treffen und Nägel mit Köpfen machen.

Den Mangel an Aufklärung sehe ich auch nicht dort wo um Lösungen gerungen wird, sondern bei der Gesellschaft. Wo kommt eigentlich wie viel CO2 her? Du meinst darüber würde aufgeklärt? Ich finde nicht! Ich musste um halbwegs zu verstehen was ich machen kann mit CO2-Rechnern reverse engineeren. Auch im Hinblick darauf was sinnhafte Eigenmaßnahmen sind höre ich wenig bis nichts. Immer noch viel Unsicherheit ob ich was mache das hilft oder Unfug. Und das hast du wenn du dich damit aktiv auseinandersetzt. Wenn du es nicht tust bekommst du einen unsortierten Schwall zwischen den Extremen wir werden alle sterben und Bielefeldverschwörung.

>Das wesentliche Problem beim gezielten Aktivieren des Einzelnen und des Appels an Eigenverantwortung - und offen gesagt auch einer der Hauptgründe, warum ich diese Threadreihe hier grundsätzlich nur mit spitzen Fingern anfasse - ist, dass man unweigerlich Bürger gegeneinander ausspielt. "Mein SUV gegen deine Kreuzfahrt, mein Steak gegen deine Fernreise!", "Was tust du selbst, dass du dich erdreistest zu meckern?" usw. usf. Dünnpfiff, der vieles überlagert und Fronten erst aktiv schafft.

Ja, zwischen einer positiv motivierten Challenge und dem gesellschaftlichen Pranger der spaltet liegt ein schmaler Grad. Es gibt bei einem Mangel an Problembewusstsein keine mir bekannten eleganten Lösungen die nicht ohne ein wenig blame&shame auskommen.

>Daneben schafft es unweigerlich Enttäuschungen. Um mal auf Dein Beispiel zurückzukommen: ist die Braunkohleverfeuerung wirklich primär ein Problem verschwenderischer Konsumenten, oder spielen hier nicht auch so Faktoren wie Zwischenspeicher, Verbrauchsspitzen und industrielle Nachfrage mit rein, also Dinge, die weder durch Verhaltens- noch Bewusstseinsänderungen verändert werden können?
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Nein, es ist kein Problem verschwenderischer Konsumenten, aber es gibt gerade dort gute Einsparpotenziale die man ohne Schmerzen heben kann und die etwas helfen und einen positiven Vibe und etwas Bewegung mitbringen. In Industrieprozessen hingegen hat man in der Regel optimiert, der reine Verbrauch wird da nicht verschwenderisch sein. Aber woher der Strom bezogen wird ist da durchaus Thema. Bei letzterem finde ich es persönlich aber nicht sinnhaft etwas anzumahnen. Weil es auch nicht nötig ist, wenn Energie so bepreist wird dass Folgekosten von Treibhausgasen nicht frei Haus sind, wird die Industrie schnell selbst den Druck aufbauen den Wandel anzuschieben, viele Unternehmen würden auch selbst Baumaßnahmen ergreifen, was ja geht da neue Energien auf dezentrale Netze setzen.

>(Und nein, ich selbst habe keine Lösung. Ich sehe die Umsetzung konkreter und alle Bürger betreffender Einzelmaßnahmen wie bspw. die Schaffung härterer gesetzlicher Tierhaltungsstandards allerdings als deutlich sinnvoller an, als abstrakte Kampagnen zum langwierigen Agenda-Setting. Auch, weil sich vieles davon auf technokratischer Ebene umsetzen lässt. Insbesondere, da - wie Du selbst betonst - der Zeitfaktor drängt. Und auf eine globale, inhaltlich umfassende Wunderlösung aus gesetzgeberischer oder technologischer Richtung sollte imo niemand hoffen.)

Für mich ist das auch kein entweder oder. Ich denke aber auch, es braucht gesellschaftlich in der Breite Rückendeckung, hier wirkt Aufklärung und Problembewusstsein Wunder, und stille Reserven zu heben tut nicht weh.
Das ist quasi die PR-Flanke die eine lösungsorientierte Politik deutlich erleichtert und hier und dort auch einen Bonus mitbringt. Darüberhinaus vermute ich, dass sich aktuell auch viele Menschen ein Stück weit hilflos und ausgeliefert fühlen. Und dass es auch den Menschen helfen würde wenn man ihnen das Gefühl gibt dass sie hier aktiv an etwas mitarbeiten können und mehr tun können als zu beten. Und dass jeder Teilerfolg auch ihr eigener Erfolg ist den sie feiern können.


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