Thema:
Terra Mystica flat
Autor: Felix Deutschland (deaktiviert)
Datum:06.06.19 14:29
Antwort auf:Brettspiele & co Teil 2 |OT|: Homo ludens von Cherokee

Terra Mystica ist super. Mein Interesse wurde allerdings erst geweckt, als ich mir aufgrund positiver Reviews mal Let's-Plays und How-to-play-Videos dazu angeguckt und zumindest rudimentär gecheckt hatte, wie "interdependent" quasi alle Spielmechaniken im Verhältnis zueinander sind. Es ist wie ein Uhrwerk, das wenn man es an einer Stelle dreht, an drei anderen Stellen automatisch irgendeinen Effekt triggert, und welches man über den Verlauf einer Partie hinweg mit immer mehr Komplikationen bestückt, um irgendwann möglichst effektiv sein eigenes Spielziel zu erreichen. Man sammelt Punkte, indem man eine mit Hexfeldern gespickte Map besiedelt. Um ein Hexfeld zu besiedeln, muss es dasselbe Biom haben wie das der Rasse, welche man spielt (Es gibt, inklusive Erweiterung, 20 Rassen, von denen sich je zwei ein Biom teilen). Je nachdem, welche Rasse man spielt, kostet dieses Terraforming unterschiedlich viel, was sich sehr praktisch auf dem eigenen Spielbrett nachschauen lässt in Form einer Art "Telefon-Wählscheibe". Sehr smartes Detail: Die Reihenfolge, von der sich ein Terrain in ein anderes umterraformen lässt, ändert sich nie, der "Nullpunkt" ist nur von Rasse zu Rasse verschieden.

Bestehende Siedlungen lassen sich upgraden in einem supersimplen, zweizüngigen "Tech-Tree". Es gibt ein Magiesystem, in dem die entsprechende Ressource nicht verbraucht, sondern stufenweise recycled wird, was "Spells" auch zu etwas macht, zu dem man sich strategisch hinarbeiten muss.

Eine der wundervollsten Kniffe dieses Spiels, welches erstmal danach klingt, als würde es endlos lange dauern, ist aber, dass es nach sechs Runden mit randomisierten Runden-"Missionszielen" automatisch vorbei ist. Als jemandem, der von "Die Siedler" in einem Maß geschädigt ist, dass es mich wirklich über Jahrzehnte von dem Medium fast traumatisiert zurücklies, klang das wie Musik in meinen Ohren.

Alles an dem Spiel ist so ungemein ordentlich. Das Aufbauen allein fühlt sich an, wie etwas aufzuräumen oder einzusortieren. Jeder bekommt Spielsteine in der Farbe seiner Rasse. Alles ist colorcoded, oder wird nach Form einsortiert, und alles wird noch zusätzlich mit einem Piktogramm illustriert. Das Spiel ist sprachneutral, ein Regelheft aber durchaus wichtig. Das von Terra Mystica ist hervorragend und klärt alle Fragen in kürzester Zeit widerspruchsfrei. Für das Maß an taktischem Spielraum ist Terra Mystica unglaublich klar und einfach gehalten: Jede Spielrunde besteht aus einer Einkommensphase, in der jeder Spieler mit einem Blick auf seine Spielmaterialien sofort sieht, wieviel er kriegt. Dann kommt die Aktionsphase, in der die Spieler abwechselnd aktionen durchführen, so lange sie über ressourcen dafür verfügen. Hat jeder Spieler gepasst, ist die Runde nach einer Cleanup-Phase zuende.
Es gibt keinen Combat; einmal bebaute Felder dürfen nicht von anderen Spielern neu bebaut werden. Nebenher gibt es auch noch ein separates Spielfeld, indem man in vier verschiedenen heidnischen Kulten um einen möglichst hohen Rang kämpft. Die einzelnen Leitern zu erklimmen bringt während des Spiels Magiepunkte ein und nach dem Spiel Siegpunkte in der Endabrechnung.

Das einzige Problem an Terra Mystica ist, dass es aufgebaut so aussieht wie der Fiebertraum eines psychophatischen Statistikers. Wie als wenn in der Infografik-Abteilung der dpa jemandem die Sicherungen durchgebrannt wären. Wenn man Leute unvorbereitet mit dem Spiel konfrontiert, mich eingeschlossen bevor ich es selber spielte, indem man es "schonmal aufgebaut hat", würde ich nichtmal mehr gucken, ob der Boden mit Plastikplane ausgelegt ist, ich würde sofort rückwärts wieder rausgehen. Es sieht alles andere als elegant aus auf den ersten Blick, sondern wie ein undurchsichtiger Wust aus Klötzchen und kleinen Steinchen und wirren Symbolen, aber wenn man potentielle Mitspieler erstmal mit genügend Drogen sediert hat, werden sie sich sicher bereitwillig darauf einlassen und nach kurzer Zeit auch sehen, wie simpel und einfach und "neat" das alles ist! Ganz bestimmt!!1

Interessant fand ich auch, dass ich von dem Spiel quasi nur übers Interent erfahren habe. So richtig Thema scheint das im deutschsprachigen Raum nicht zu sein, obwohl gerade Amis, Briten und aus irgendeinem Grund auch Chinesen und Koreaner voll auf das Spiel abgehen (Die aktuellsten Tutorials sind fast alle auf chinesisch). Oder abgingen, angeblich ist es als 2012-Release ja schon "alt".

Top finde ich auch, dass man keinen teuren Organizer braucht und dem Spiel genug Plastikbeutel beiligen, um sich alles selber zu sortieren. Weird nur, dass ich selber noch alle Spielsteine vorher nach Farbe sortieren musste, weil alle Einheiten nach Typ und nicht nach Farbe verpackt waren. Egal. Hat man das einmal erledigt und die Kleinteile in Extratütchen nochmal einzeln verstaut, kann man das Spiel selbst für vier Spieler innerhalb von maximal zehn Minuten aufbauen, wenn man alles alleine aufbaut. Ansonsten, wenn jeder Spieler weiß wie er was hinzustellen hat, innerhalb von zwei drei Minuten ready. Was, schaut euch mal Bilder von dem Spiel an, erstmal sehr unglaubwürdig erscheint, aber ich mein's ernst.

Ich kann es nur sehr empfehlen. Die bittersüße Choice Paralysis bei jeder Aktion die man tätigt, dieses Balancing durch welches man immer diese eine entscheidende Einheit einer Ressource zu wenig hat um den Zug auszuführen den man ausführen möchte, die Menge an unkompliziert umzusetzenden Aktionen mit hingegen umgekehrt proportional in Komplexität steigenden Reaktionen und Konsequenzen... saugeil. Das diskutable hausbackene Character-Design nimmt man eigentlich gar nicht mehr wahr, man achtet nur noch auf das Spiel und das reine Gameplay. Ähnlich wie bei Azul bin ich verblüfft darüber, mit welcher mathematischen Präzision hier designt wurde. Jedes Spielfeld muss aufgrund irgendwelcher Algorihtmusfunktion berechnet platziert worden sein, jedes Bonusplättchen perfekt gegen die anderen gebalanced... es ist schon sehr geil und etwas, das seine Schönheit erst beim Spielen an sich zeigt. Und man muss kein Brettspiele-Crack sein, im Gegenteil, ich würde sagen, auch Einsteiger können das innerhalb einer Partie komplett erlernen um danach keine Regelfragen mehr zu haben. Es ist aber nunmal für die meisten Menschen erstmal ein komplett abschreckendes Visual, diesen überwältigenden Wust vor sich stehen zu sehen.

Basisversion kost fuffzsch Maak auf Azamon, ich hab die "Big Box" bestellt, einerseits weil gleich die Expansion mit drin ist, andererseits weil da noch ne Anleitung (bzw. zwei, eine extra für die Erweiterung) auf Hangul beiliegt, was irgendwie cool ist.


Antworten nicht möglich, siehe Info neben Nickname