Thema:
Re:Azul (+ Brettspiele generell) flat
Autor: pauli3105
Datum:06.06.19 14:11
Antwort auf:Azul (+ Brettspiele generell) von Felix Deutschland

>Ich hab bis vor kurzem glaube ich das letzte mal ein Brettspiel gespielt, da war meine Schwester noch im Kindergarten (Sie hat dieses Jahr Abi gemacht). Lotti Karotti, und sie hat gecheated.
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>Als ich letztes Jahr mit Netrunner angefangen habe, aus einer Laune heraus und weil das Core-Set bei Thalia 20 Mark kostete (Wie ich dann später erfuhr ein Räumungsverkauf), ließ sich nicht vermeiden, bei Recherchen zu dem Thema (Welche Packs kaufen, wie sortieren/aufbewahren etc.) immer wieder auf Berührungspunkte zum Thema Brettspiele zu stoßen. Ehrlich gesagt, noch letztes Jahr um die Zeit hättest du mich mit Brettspielen jagen können. Die uncoolste Sache der Welt, sogar noch vor Professional Wrestling. Dazu spielte auch noch mit rein, dass es mir viel Spaß machte, diesen ganzen Netrunner-Shit zu sortieren und zu organisieren. Alle Karten gesleeved und in feine Stanley-Kleinteile-Organizer einsortiert; den wichtigsten Teil in einen Organizer von Broken Token, der drei mal so teuer war wie das Core-Set an sich. Dieses Basteln mit Hämmerchen und Leim, und am Ende "hat man was eigenes, was für mich". Nice. Kleine Schiebeschachtel für die Tokens, schön ordentliches Inlay, geil.
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>Über das Sortiment von Broken Token bin ich dann auf Gloomhaven gekommen, und fand das ganze konzeptionell so geil absurd, dass ich seit Winter eine low-key obsession für dieses Spiel entwickelte, obwohl ich Brettspiele eigentlich uninteressant fand und einfach nur diese gigantische Box voll mit Prüll mein eigen nennen wollte, um diese gigantische Leere in meiner Seele aus Stuhl zu füllen.
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>Jedenfalls bin ich mittlerweile nicht nur der Besitzer des bisher zwar noch ungespielten, aber immerhin bereits komplett in den entsprechenden Organizer einsortiert (Was eine Arbeit von ca. 20-22 Stunden war, geil!). Danach hatte ich aber erstmal genug von Gloomhaven und war nicht direkt darauf erpicht, alles wieder auseinanderzubauen und für das Anfangsszenario zusammenzusortieren. Es beruhigt mich aber, dass ich es jederzeit könnte.
>Ich bin das Problem des Nicht-Spielens von Gloomhaven so angegangen wie die meisten Menschen, denen mehrere Radkappen locker sitzen, nämlich durch den Kauf von mehr Brettspielen. Diesmal bin ich weniger mit Tunnelblick auf EIN Produkt losgezogen, sondern hab mich erstmal informiert was es so gibt und anhand meiner eigenen Interessen zugegriffen. Meine Kriterien waren (Und sind, aber ich suche jetzt gerade NICHT nach neuen Brettspielen, thankyouverymuch), das die Spiele hübsch aussehen und irgendwas an der Spielmechanik oder dem Gamedesign an sich mich anspricht. Ich hasse dabei wenig mehr als die Ästhetik von Eurogames, dieser Reformschulen-Swag mit Holzfigürchen und Elfenrittern im Hexenwald oder das man Dr. Erfindibus dabei hilft, auf der Schatzinsel einen Eimer mit Gummibärchen zu finden oder so'ne Scheiße, ich hatte Bock auf Cool Guy Shit!!1
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>Wer mal wirklich wissen will, wie häßlich Spiele-Artwork sein kann, soll mal auf die Homepage von Amigo Spiele, immerhin einer der größten deutschen Publisher die unter anderem Yu-Gi-Oh- und Pokemon-Karten vertreiben, gehen und sich deren Portfolio angucken. Das Auge kotzt mit.
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>Jedenfalls hab ich mir Reviews angeguckt, nur um dann zu merken, dass selbst die besten Reviews zwar umreißen, worums in dem Spiel geht und was so die grundlegenden Spielprinzipien sind, aber nicht wirklich erklären, wie sich ein Spiel nun in der Praxis spielt. Da ist es bei Brettspielen interessant, dass man sich deren gesamtes Gameplay durch Regel-Erklärvideos und How-to-Play-Tutorials quasi in Gänze präsentieren lassen kann, etwas, was bei Videospielen schlicht unmöglich ist. Da aber Brettspiele ihre Mechanismen so offen vor dem Spieler liegen haben, als würde man Super Mario in Form von Programmcode spielen, kann man so super per Ferndiagnose eine Einschätzung treffen, ob einem das alles auch in der Praxis zusagt oder nicht.
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>Am Ende habe ich mir Arkham Horror LCG gekauft weil wir da beide Bock drauf hatten, Scythe weil ich das Artwork supergeil fand und unbedingt noch ein mindestens drei Kilo schweres Kickstarter-Spiel mit Miniaturen haben wollte, Machi Koro weil ich die Idee und dieses supersimple Designkonzept interessant fand, Twilight Struggle wegen der Thematik und der vielen positiven Bewertungen, Terra Mystica wegen der guten Reviews und weil es trotz Alman-Horror-Eurogame-Artwork in den Regelerklärungen hingegen spielerisch super slick und elegant wirkte, und eben Azul, weil ich das ständig unaufgefordert von Leuten empfohlen bekam und ich zuerst meinte "Ächz wtf macht man da überhaupt".
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>Ich hab mir Azul als einziges dieser Spiele geholt, obwohl ich die Regeln null verstanden hatte und weil es mir wiederholt empfohlen wurde, ich es recht hübsch fand und es gerade billig auf Azamon zu haben war, dessen Konzept, alles ein Euro billiger als Amazon anzubieten, mir immer noch absurd und betriebswirtschaftlich zumindest unseriös scheint, aber einen Euro haben oder nicht haben - Krösus bin ich weißgott nicht!
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>Und was soll ich sagen, dass Spiel ist schon saucool. Ich weiß nicht, was an "abstract games" so besonders sein soll, "Mensch ärgere dich nicht" ist ein "abstract game", Tetris auch. Eh, who cares. Ich hab trotz mehrerer Regelvideos nicht gerafft, wie das Spiel funktioniert. Auch das Regel-Faltblatt in der Mitte war für mich anstrengeder als für manch andere, weil mein Gehirn beim Lesen von Brettspielregeln auf Deutsch dasselbe macht, wie wenn ich mir die Ausfüllhinweise oder Rechtsmittelbelehrungen amtlicher Dokumente durchlese; spätestens nach dem zweiten Absatz macht mein Gehirn den Homer Simpson und imaginiert irgendwelche Cemballo-Äffchen oder Monster Trucks. Speziell die deutsche Sprache lässt selbst einfachste Prozesse wie kompliziertes STOCHENBLOCHEN wirken, "Geben sie den Spielführerstein an den Mitspieler zu ihrer Linken und entscheiden sie reihum, wer zieht, wer passt und wer trumpft" FUCK YOU Mein Gehirn ist selbst beim schreiben dieses Satzes aus versehen fast in den Standby-Mode gegangen.
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>Es ist aber auch nicht leicht, Azul verbal zu erklären. Ich finde, das alles mithilfe der "Lore" von irgendeinem portugiesischen Prinzen, der sich seinen Palast im maurischen Stil kacheln lassen will, und man sich deswegen im Spiel aus den Angeboten von Töpfereien bedient, eigentlich noch viel verwirrender.
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>Azul ist rundenbasiertes Puzzle Fighter/Tetris-Like, bei dem der Kniff ist, dass sich alle Spieler abwechselnd aus demselben Pool an Steinen bedienen. Es gibt sogar Trash! Man kann ihn sich sogar zuschieben, dafür braucht man aber eine Mischung aus Glück und guter Planung, und muss gleichzeitig abwägen, ob es in der Situation sinnvoll ist, das zu machen, oder lieber sein eigenens Ziel zu erreichen. Es lässt sich zudem hervorragend zu zweit spielen, aber denke ich auch sehr gut zu viert (Es zu zweit spielen zu können, ist so ziemlich das einzige unverrückbare Kriterium beim Erwerb der Spiele gewesen und wird es auch in Zukunft bei jedem weiteren sein). Es ist logistisch extrem unkompliziert und sehr leicht aufzubauen, es hat kein festes "Haupt-Spielbrett", sondern jeder sein eigenes Brettchen auf dem er seine Steine sortiert.
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>Das Spiel besteht daraus, die in fünf verschiedenen Farben vorliegenden Spielsteine in ein vorbestimmtes Raster einzuordnen. Im Zwei-Spieler-Modus werden fünf kleine, bierfilzähnliche Pappscheiben abgelegt, auf denen widerum vier random aus einem blickdichten Stoffsack gezogene Steinchen abgelegt werden. Man darf von jedem dieser Scheiben immer nur eine Farbe und muss immer alle Steine einer Farbe aus einem dieser Pools nehmen. Bevor man diese Steine in das vorliegende Muster einsetzt, müssen sie aber durch eine Art Puffer-Feld hindurch. Wie gesagt, mit Worten schwer zu erklären, im Gegensatz zu vielen anderen Spielen fährt man am besten damit, dass man einfach anfängt zu spielen. Alle Fragen werden von der Anleitung beantwortet und innerhalb von fünf Minuten hat man kapiert was man machen muss, wenn man das ganze mal vor sich liegen sieht. Man kann das Spiel Kindern und Greisen beibringen, und Leuten, die Brettspiele wirklich hassen. Was ich an dem Spiel besonders schön finde ist, dass sich das Spielen selbst so "elegant" anfühlt. Meine erste Assoziation waren so Kreuzberger Backgammon-Türken, die sonnenblumenkerneknackend und nen Espresso trinkend auf nem kleinen Tisch draußen entspannt eine Partie nach der anderen zocken, voll geil. Aber es hat auch was von Casino-Poker, wie man beiläufig die Steine die man nicht braucht mit der Fingerrückseite in die Mitte schiebt während man gleichzeitig sich das Steinchen nimmt, welches man gerade braucht. Und selbst wenn es einen Punkt Trashkosten kostet, immer wenn man das Steinchen für den ersten Zug erwischt, darf man in der nächsten Runde der Klickermann sein und im Klickersteinbeutel wühlen und die Bierfilze neu befüllen. Ich weiß nicht, fühlt sich an wie in nem riesigen Sack W20 zu würfeln, irgendwas in mir wird von dem Gefühl erregt.
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>Wir haben es wie gesagt preiswert bei Azamon geschossen, keine Ahnung, 24 Euromark? Es gibt keine Würfel und keine Karten. Keiner kriegt irgendwas, wenn er einen "Pasch" wirft. Wenn man mal reingekommen ist, dauert eine Partie selten 30 Minuten. Man kann es perfekt spielen, während man was anderes nebenher konsumiert. For what it's worth: Es ist weitaus hübscher als UNO und bietet dabei regelmäßig ein kleines haptisches Abenteuer in der Welt der Klickersteine. Kaufen!


Schon erledigt! Schönes Ding.

Das Spiel und Dein Text! :-)


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