Thema:
Sammelantwort flat
Autor: Telemesse
Datum:20.05.19 13:33
Antwort auf:Re:BahlSSen von Telemesse

Das nervige an der ganzen Diskussion ist doch, daß hier munter alles möglich miteinander vermengt wird, was man imo aber eher einzeln betrachten sollte.

Am Anfang standen ja die stark umstrittenen Aussagen des Kevin Kühnert, wodurch sich Verena Bahlsen wohl genötigt fühlte einige äußerst dumme und dreist anmutende Aussagen zu tätigen. Dies ist nun der Punkt an dem jede Kritik an diesen Äusserungen absolut legitim und auch notwendig ist. Auch für die Frage ob es im Hinblick auseinander driftender Vermögensverhältnisse moralisch akzeptabel ist, daß ein Junge Frau ausschließlich aufgrund privilegierter Geburt defacto in den wirtschaftlichen und finanziellen Adelsstand erhoben wird, bietet diese Situation eine ideale und dankbare Grundlage für alle Kapitalismuskritiker.
Nun wird aber auf einmal eine Naziargumentation eröffnet, für die Verena Bahlsen imo der falsche Adressat ist und zu der Sie sich, ob aus Unkenntnis, Dummheit oder beidem, wiederum um Kopf und Kragen redet.
Daraufhin gibt es also eine Diskussion über Verstrickungen im dritten Reich und Zwangsarbeit, bei der plötzlich jeder meint er wäre Experte auf dem Gebiet und könnte munter mit dem Vorwurfsgewehr drauf los ballern.
Aufgrund einer langjährigen, lokalen Aufarbeitung dieser Thematik hier vor ort würde ich für mich in Anspruch nehmen etwas mehr Einblick in die Thematik gehabt zu haben als so manch anderer.
Zwangsarbeit war damals ein Umstand der Zeit. Kein schöner, kein begrüßenswerter und schon gar nichts was man im Nachhinein irgendwie verharmlosen oder auch nur in irgendeiner Weise positiv konnotieren darf. Mitgemacht haben dennoch alle. Die Unternehmer die nicht mitgemacht haben, von denen gab es hier auch einen, wurden bevorzugt in den Kriegsdienst geschickt, wenn sie nicht inhaftiert wurden, und in den Betrieben durch kommissarische Leiter ersetzt, die bevorzugt aus der SS rekrutiert wurden. D.h. egal welche Entscheidung man selbst traf, war dies immer mit nicht unerheblichen Konsequenzen für einen selbst, für die Belegschaft und für die Zwangsarbeiter verbunden. Da gab es keine simple falsch oder richtig Entscheidung. Ist es besser sich moralisch nicht zu versündigen und dafür etliche Menschen der Willkür eines totalitären Regimes zu überlassen oder ist es besser zu kollaborieren und einen Weg zu finden, der für alle zumindest weniger Leid in Aussicht stellte. Klar ist auch das das Gro der Kollaborateure vom Regime profitiert hat und auch die Entscheidung für zweite Option sicherlich häufig nicht nur aus Nächstenliebe sondern aus Eigennutz getroffen hat. Sicherlich gab es aber auch andere deren Empathie und Nächstenliebe wichtig waren und die es eben nicht nur aus reinem Eigennutz getan haben (Siehe Oscar Schindler).
Diese Bewertung zu treffen, dürfte aber heute häufig nur noch sehr schwer möglich sein und Bedarf in jedem Fall der individuellen Betrachtung des Einzelfalles. Und exakt das ist der Grund weswegen ich mir in solchen Fragen keine Bewertung anmaßen möchte und mich wundere wie andere für sich eine solche Bewertungskompetenz in Anspruch nehmen.
Den Vorwurf der mangelnden bisherigen Aufarbeitung und Entschädigung der Opfer kann und muss man natürlich auch ansprechen. Aber erster Adressat sollten doch hier die politisch Veranwortlichen sein, die dies eben bisher verhindert haben oder die politisch Verantwortlichen die es heute noch möglich machen könnten.

So und nun sollte man sich mal klar werden über was man reden möchte. Über die Thesen Kühnerts, die dümmlichen Bemerkungen der Verena Bahlsen oder über die Naziverstrickungen der Fa. Bahlsen in der NS Zeit. Alles sicherlich interessante Themenfelder von denen aber wohl mindestens zwei eigentlich unters P Verbot fallen.


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