Thema:
Re:Ich komme aus Schweinfurt, die 40% Stadt aus dem flat
Autor: Telemesse
Datum:09.05.19 21:24
Antwort auf:Re:Ich komme aus Schweinfurt, die 40% Stadt aus dem von token

>>Es gibt eben für alles für und wieder. Man könnte argumentieren das bei 20 Proben die Wahrscheinlichkeit eine objektive Leistungseinschätzung zu erhalten merklich höher ist als wenn es z.b. nur 5 Proben gäbe bei denen es deutlich fataler wäre wenn man eine versemmelt.
>>Ob das jetzt so wie es gemacht wird der Weisheits letzter Schluss ist weiß ich auch nicht. Eine nennenswerte Selektionsfunktion erfüllen die Prüfungen ja offensichtlich auch nicht, sonst wären die Übertrittsquoten ja nicht so hoch wie sie sind.
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>Ich sag mal so, wenn ich einer Kuh 20 Mal mit einem Hammer gegen den Kopf schlage ist mir schon bewusst dass ich bei ergebnisorientiertem Denken (=>Kuh tot) irgendwo besser aufgestellt bin, als wenn ich ihr 5 mal gegen den Kopf schlage.
>Die Frage die ich mir da aber stellen würde ist nicht ob 5 oder 20 besser wäre, sondern ob ich einer Kuh mit einem Hammer gegen den Kopf schlagen sollte.
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>That being said, ich möchte damit einen Prüfungsmarathon für Kleinkinder als Auslotungsinstrument für den weiteren Bildungsweg nicht mit Kuhmord vergleichen. Was ich faszinierend finde ist, dass man so eine Methode nicht im Grundsatz in Frage stellt, sondern in ihrer Ausgestaltung.
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>Worauf arbeiten wir denn hin? Was wollen wir erreichen?
>Burnout mit 30 als Volksphänomen?
>Ich finde den Drill am Gymmi meiner Kleinen schon ziemlich heftig, da laufen die Uhren aber deutlich anders als bei uns, das ist um einiges anspruchsvoller und geht vom Freizeitvolumen das man ihnen gönnt schon eher Richtung normale Arbeitskraft. Treffen mit Freunden, Vereinssport oder Hobby sind da schon richtige Organisationsarbeit.
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>Aber dass die Bayern da schon in der vierten Klasse bei 10jährigen in so einer Form Vollgas geben, finde ich über Maß befremdlich.
>Die kapitalistische Denke hat eben auch nicht vor dem Bildungssystem Halt gemacht, die Maßgabe ist, erziele bessere Ergebnisse bei weniger finanziellem Aufwand. Wenn du gut ausgebildete kompetente Pädagogen hast (die du über finanzielle Anreize generieren musst), die Kinder 4 Jahre lang begleiten und mit Klassenstärken arbeiten bei denen nicht schon das Merken der Namen zur Herausforderung wird, geschweige denn sich von jedem Einzelnen ein konkretes Bild zu machen, dann hast du alles was du brauchst. Da brauchst du nicht eine derart seelenlose Massenabfertigung in der Leistungsmessung um diese zukünftigen industriellen Zahnräder in die richtige Schublade zu stecken.
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>Der Weg den unsere Gesellschaft seit geraumer Zeit eingeschlagen hat ist meines Erachtens echt befremdlich, und kaum etwas ist so entlarvend wie wir mit den Menschen umgehen die wir eigentlich am meisten Lieben. Das zeugt von einer Mentalität mit der ich mich persönlich längst nicht mehr identifizieren kann und will.


Ich denke es ist nicht allein ein Problem des Schulsystems sondern vielmehr ein Problem der gesellschaftlichen Akzeptanz der verschiedenen Bildungsabschlüsse.
Zu meiner Zeit haben von einer durchschnittlichen Grundschulklasse vielleicht 5 oder 6 aufs Gymnasium gewechselt, 10 sind auf die Realschule und 7-8 sind auf die Hauptschule. Die Hauptschüler sind dann Elektriker, KFZ-Mechaniker oder Dachdecker geworden, die Realschüler haben eine Ausbildung bei der Sparkasse oder Versicherung gemacht und die Abiturienten haben studiert oder eine kaufmännische Ausbildung in einem Industriebetrieb gemacht. Jeder konnte da nach seinen Fähigkeiten seinen Platz finden und niemand wurde aufgrund seines Schulabschlusses verspottet oder von geeigneten Berufen vom Arbeitsmarkt ausgeschlossen. Heutzutage haben sowohl Realschulabschluss als auch besonders der Hauptschulabschluss mächtig an Akzeptanz verloren. Ohne Abi braucht man sich hier mittlerweile fast nicht mehr für einen 08/15 Bürojob zu bewerben und mit Hauptschulabschluss scheint man mittlerweile nur noch den Deppenstatus bescheinigt zu bekommen. D.h. der gesamtgesellschaftliche Druck einen möglichst hohen Bildungsabschluss zu erreichen ist ungleich höher als früher. Damals waren die Selektionskriterien nicht geringer, es hat uns aber nicht gejuckt. Die Schlauen sind eben aufs Gymnasium und die den Schnitt nicht gepackt haben sind eben auf die Realschule und hatten keine schlechteren Karten später einen vernünftigen Ausbildungsplatz zu bekommen. Das Abi war da noch eher die Eintrittskarte für die Hochschule und weniger Konkurrenz für den Realschulabschluss bei Ausbildungsberufen.
Ich kann auch nicht erkennen, daß die schulischen Anforderungen am Gymnasium sich im Vergleich zu früher erhöht hätten oder sich der Unterricht verschlechtert hätte, im Gegenteil. Meine Tochter ist jetzt in der 6. Klasse Gymnasium. In ihrer Klasse sind lediglich 19 Schüler und die Lehrer sind sehr bemüht alle Kinder „durchzubringen“.
Wir waren früher 36 Schüler in der 5. und 6. Klasse und der Ansatz der Pädagogik lag da primär auf Disziplin und pauken. Uns wurde jedes Jahr eingebläut das nur die Besten eine Berechtigung auf dieser Schule hätten und jedes Jahr wurde ordentlich ausgesiebt. Von vier 5. Klassen mit je ca. 35 Schülern meines Jahrgangs haben am Ende nur ca. 80 das Abitur gemacht. D.h die Verlustquote bis zum Abi lag bei fast 50%. und der Druck war eigentlich die ganzen Jahre (zumindest bis zur 11. Klasse) ziemlich hoch.
Aktuell erscheint es mir gewollt, daß möglichst viele Abitur machen weswegen die Anforderungen aufgeweicht werden. Das ist sicherlich einerseits gut, da das durchschnittliche Bildungsniveau dadurch steigen sollte, andererseits aber auch schlecht, da es eben die Wertigkeit aller Schulabschlüsse nach unten zieht. Das Ergebnis ist dann imo folgendes: Die Schlauen haben nach wie vor kein Problem mit der Schule, die Durchschnittlichen haben einen merklich höheren Druck weil sie genötigt werden unbedingt mit den Schlauen mithalten zu müssen und die Unterdurchschnittlichen kriegen von vorne herein den Deppenstempel aufgedrückt und werden demotiviert.
Ich persönlich würde am ehesten ein Gesamtschulkonzept mit  Gymnasialer Oberstufe bevorzugen in dem eben keine generelle schulische Trennung der Kinder stattfindet, sich aber alle entsprechend ihrem individuellen Leistungsvermögen entwickeln können.


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