Thema:
Der Ossi das unbekannte Wesen flat
Autor: Telemesse
Datum:16.03.19 11:22
Antwort auf:Was ich noch sagen wollte #241 von Bandit

Letzte Woche war ich auf der Beerdigung des Onkels meiner Frau.
Der war Thüringer Bergbewohner durch und durch. Ich habe ihn kennengelernt da war er bereits Mitte 50. Er hatte eine kräftige Statur und einen Schneeweissen Vollbart. Eigentlich sah er genauso aus wie man sich den Weihnachtsmann in Natura vorstellt. Das war wohl auch der Grund weswegen er selbigen öfters in seinem Dorf spielte und den Kindern dort viel Freude bereitete.

Aber erst mal von vorne. Geboren wurde er 1951 in Lauscha. Ging dort auch in die Schule bis er mit dem besten Abschluss des Jahrganges seine mittlere Reife absolvierte. Danach machte er eine Ausbildung zum Kfz Mechaniker, später noch die Meisterprüfung und wurde schließlich Fuhrparksleiter des größten Volkseigenen Betriebs der Region. Nebenbei war er ein sehr erfolgreicher Ski Langläufer der Lauscha bei vielen Wettbewerben vertrat und im Laufe der Jahre ein ganzes Zimmer voller Pokale und Urkunden anhäufen konnte.
Er war dabei ein sehr ruhiger, intelligenter, äußerst hilfsbereiter aber doch eher introvertierter Mensch. Einer der nicht viel Worte verlor, auf den man sich aber 100% verlassen konnte. Er war sehr bodenständig, loyal und heimatverbunden. In die weite Welt hat es ihn nie gezogen. Er liebte sein Dorf, seine Leute, seine gewohnte Umgebung und Kontinuität. Alles in allem war er also in seinem  Mikrokosmos des Thüringer Waldes glücklich. Er war beruflich erfolgreich, hatte eine Frau und zwei Kinder, war gesellschaftlich geschätzt und hatte eine gesicherte Existenz.
Dann kam die Wende. Die Treuhand wickelte einen Betrieb nach dem anderen ab und es dauerte nicht lange bis auch seine Firma an der Reihe war. Letztendlich gingen da irgendwann in den frühen 90ern die Lichter aus und er wurde nicht mehr gebraucht. Auch anderswo hatte man für einen DDR Kfzler der nur an Ostgefährten geschraubt hatte nicht wirklich Verwendung und so verlor er mit der Schließung seines Betriebes nicht nur seinen Arbeitsplatz sondern eigentlich alles was sein bisheriges Leben ausmachte. Viele seiner Freunde verließen die Region, seine Ehe ging in die Brüche und seine Zukunft war nur noch ein großes Fragezeichen. Statt gewohnter Sicherheit und Kontinuität waren nun Existenzangst und Ungewissheit die Dinge die sein Leben bestimmten.
Zwei Jahre später, nach vielen Tiefschlägen und Enttäuschungen übernahm er schließlich mit seiner neuen Lebensgefährtin die einzige verbliebene Wirtschaft im Dorf und machte diese zu einem Refugium der zurückgebliebenen Uhreinwohner die nicht den Mut aufbrachten sich in die Großstädte oder in den Westen aufzumachen. Nebenbei schraubte er die noch vorhandenen Trabis und Wartburgs seiner Freunde für kleines Geld zusammen und veranstaltete Pferdekutschfahrten durch den Thüringer Wald. Das war jetzt nichts womit man reich werden konnte aber es sicherte ihm ein überschaubares Auskommen. Vor allem fand er aber wieder einen Platz in der Dorfgemeinschaft der geschätzt wurde und ihm wieder ein Selbstwertgefühl zurückbrachte das durch Geld nicht zu kompensieren gewesen wäre.
Zum Westen hatte er nie eine wirkliche Beziehung. Die Freiheiten und Möglichkeiten die die Wende mit sich brachte waren für ihn nicht bedeutend. Die weite Welt war ihm eher fremd. Besuche in Westdeutschen Großstädten bestärkten dieses Gefühl noch. Das waren nicht seine Leute, die sprachen nicht seine Sprache und materielle Verlockungen waren ihm egal. Gegenüber markigen Sprüchen und Versprechungen hatte er, auch aufgrund einiger negativer Erfahrungen aus der frühen Nachwendezeit, eine hartnäckige Skepsis entwickelt. Nein, er war im Thüringer Wald verwurzelt. Das war seine Heimat und für ein Leben woanders war er nicht geschaffen.
Vor zwei Jahren ging er dann in Rente. Die Wirtschaft wurde geschlossen und nur noch sporadisch für Familienfeiern oder besondere Anlässe geöffnet. Seine Kutschfahrten aber hat bis zum Schluss noch veranstalten. Er liebte seine zwei Pferde und es war für ihn mehr Vergnügen als Arbeit Ausflügler durch die verschneite Winterlandschaft zu kutschieren und dabei lokale Anekdoten vergangener Zeiten zu erzählen.
Anfang März diesen Jahres kam er aufgrund von Darmproblemen in die Klinik. Es wurde Krebs diagnostiziert und 2 Wochen später war er tot. Unauffällig und leise und ohne großes Aufheben wie es immer seine Art war wurde auch sein Leben beendet.

Warum erzähle ich das ganze. Nun für mich war er einfach exemplarisch für viele Ostdeutsche die nicht aus den Großstädten kamen und die die Wende irgendwie gebrochen hat auch wenn sie sich das oftmals nicht anmerken lassen (wollen). Wahrscheinlich sind es auch gerade solche Leute die irgendwann empfänglich für Populisten werden. Und das imo nicht weil das schlechte Menschen sind sondern weil denen einfach irgendwann der Boden unter den Füßen weggezogen wurde und sie nicht den Mut oder die Energie aufbrachten aus ihren Dörfern wegzugehen und woanders einen kompletten Neustart zu versuchen. Große Versprechen gab es von allen Seiten aber irgendwie blieb den Leuten immer das Gefühl nicht mitreden zu können oder nicht ernst genommen zu werden und am Ende blieb nach vielen Enttäuschungen nur eine ermattende Perspektivlosigkeit in der Problematiken wie Flüchtlings- oder Klimathemen von der Lebensrealität so weit entfernt sind wie die Erde vom Mars.

So das wars eigentlich schon. Nix spektakuläres aber ich finde doch je näher man selbst solche Leute kennt und je öfter man auch mal im Osten unterwegs ist umso besser versteht man auch warum die Menschen da teilweise einfach anders ticken und warum da Westpauschallösungen einfach nicht so greifen wie man das vielleicht gerne hätte. Insofern denke ich man sollte einfach aufhören diese Menschen ständig bewerten und kategorisieren zu wollen sondern einfach mal versuchen die zumindest ein klein bißchen zu verstehen.


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