Thema:
Re:"Die Ärzte"-Produzent verteidigt EU-Urheberrechtsreform flat
Autor: JPS
Datum:25.02.19 19:02
Antwort auf:"Die Ärzte"-Produzent verteidigt EU-Urheberrechtsreform von Pezking

"Vor ca 9 Monaten hatte ich vor einer bevorstehenden massiven Desinformationskampagne durch die digitalen Plattformen gewarnt. Diese Kampagne ist nun im vollem Gange, und wer schon immer mal beobachten wollte, mit welcher Macht Milliarden schwere Wirtschaftsmonopole einer Gesellschaft eine verlogene Debatte aufzwingen und das Gehirn waschen können, kann das zur Zeit live tun. Es geht um, Ihr ahnt es schon, die EU Richtlinie zum Urheberrecht."

Beginnt direkt mit einer unschönen Unterstellung, dass die Bevölkerung dumm ist und sich einspannen lässt. Lügenpresse V2.0.

"1. Upload Filter gibt es JETZT! Alle relevanten digitalen Plattformen setzen sie ein. Damit wird millionenfach jeden Tag gefiltert, blockiert und abgemahnt. Es gab sie auch schon zu Zeiten der Unterzeichnung des Koalitionsvertrages, und es gibt sie weiter, ob nun die Richtlinie kommt, oder nicht. Es ändert sich daran gar nichts. Ergo, selbst wenn die Richtlinie durch die im Moment stattfindende Histerie abgelehnt wird, sind Upload Filter da und werden weiter massenhaft angewendet. Alle Behauptungen, sie kämen jetzt erst mit der Richtlinie, sind daher Heuchelei."

Mir wäre neu, dass es bei kleinen Plattformen Upload-Filter gibt - sagt er ja auch selbst mit der Aussage "relevante Plattformen".

Und darum geht es doch, dass damit Neugründer und kleine Unternehmen vor nicht bezwingbare finanzielle und logistische Hürden gestellt werden. Google und Youtube lachen sich einen, da damit Konkurrenz im Keim erstickt wird - ganz im Gegensatz zur Aussage von oben, dass diese Plattformen den Protest steuern. Würden sie das wollen, würden sie Youtube mal in Europa für eine Woche Offline nehmen - dann gäbe es nämlich ganz andere Proteste.

Er nimmt diese kleinen Plattformen und Neugründer für seine persönlichen finanziellen Interessen als Opfer in Kauf, ohne sie in seinen Ausführungen überhaupt zu berücksichtigen.


"2. Upload Filter können weder JETZT noch in naher Zukunft den Unterschied zwischen einem originalen kulturellen Werk und einer Parodie erkennen. Auch das ändert sich nicht durch die Richtlinie. Allerdings, wenn die Richtlinie kommt, wird es einfacher für die Uploader der Parodie darauf hinzuweisen, dass es sich wirklich um eine Parodie handelt."

Warum wird es dann einfacher? Man kann auch jetzt schon Widerspruch einlegen - was oft fälschlicherweise abgelehnt wird.

"3. Memes und Blogs sind von den Regelungen in der Richtlinie explizit ausgenommen. Also, Keine Panik Ihr Blogger."

Im Zweifel blockieren ist trotzdem günstiger für den Anbieter als eine sorgfältige Überprüfung von Widersprüchen. Und ein Blogger wird sich auch weiterhin keine wasserdichte rechtliche Einschätzung seiner Inhalte leisten können und daher im Zweifel darauf verzichten und im Extremfall seinen Blog einstellen. Wie oder was ändert sich und wo ist die Verbesserung für User, Blogger und Uploader?

"4. Die Verbraucher, die User und die Uploader sind JETZT in einer rechtlich unsicheren Position. Nur als Beispiel: Es gibt bei YouTube 5.000 bis 10.000 Clips mit 4 bis 6-stelligen Klickzahlen, an denen ich die Rechte aus Komposition oder Produktion habe (Ärzte, Ina Deter, Silly, Ideal, Lassie Singers, alle meine Filmmusiken…). Ich könnte JETZT jeden einzelnen Uploader auf entgangene Lizenzen verklagen. YouTube muss mir JETZT die Mailadressen und IP Nummern heraus geben. Das ist durch geklagt. Wenn die Richtlinie kommt, sind Verbraucher auf der rechtssicheren Seite. Dafür übernimmt YouTube die rechtliche Verantwortung und zahlt an mich/uns Kreative eine geringe Lizenz. Nur fair, finde ich. Plattformen haben allein in Europa, allein im Jahr 2017 laut Roland Berger Consulting 25 Mrd € gemacht. Ich auf Plattformen gar nichts!"

Und wie sollen kleine und junge Plattformen (das ist man auch nach 3 Jahren noch) diese "geringen Lizenzgebühren" aushandeln oder bezahlen?

Schon jetzt kann ein Rechteinhaber die Videos auf Youtube für sich beanspruchen und bekommt dann die Werbeeinnahmen. Oder er lässt sie blockieren, wenn ihm das zu wenig ist. Warum reicht das nicht?


"5. LIZENZIERUNG und nicht Blockade (oder Filterung) ist das wichtige Wort. Nichts Anderes postuliert Artikel 13: Verträge zwischen digitalen Plattformen und Urhebern, die in angemessene Lizenzzahlungen münden! Wo das nicht möglich ist, sind Pauschalzahlungen die zweite Lösung."

Gibt es doch schon - siehe Einigung von Youtube mit der GEMA - warum braucht es eine Änderung, wenn das schon mit der aktuellen Gesetzeslage möglich war? Das Problem bekommt nicht Youtube - das Problem bekommen kleinere Plattformen.

"Erst wenn all dies nicht möglich ist, können Rechteinhaber und Urheber in Zukunft blockieren. Erst dann muss gefiltert werden."

Was ist daran anders als mit der GEMA? Wenn man sich einig wird, konnte man schon bisher eine Lizensierung aushandeln, wenn man sich nicht einig wird, wird blockiert. Wo ist die Verbesserung?

"Plattformen können also, wenn sie wollen, durch Beteiligung der Kreativen Filter verhindern. So steht es in der Richtlinie. JETZT könnten wir jederzeit blockieren."

Künftig auch, wenn es keine Lizensierung gibt. Bzw. muss der Anbieter künftig eher noch härter direkt blockieren, da er dafür stärker als bisher haftet. Wobei das auch eher zum finanziellen Ruin für kleine Unternehmen und nicht für Youtube&Co. wird.

Und wo ist die Verbesserung für die User, die sich angeblich zu unrecht Sorgen machen?


"6. Wir Kreativen schreiben unsere Musik und Bücher, machen unsere Filme und Fotos nicht um sie dann zu blockieren. Wir wollen damit die Menschen erreichen, gerne auch über digitale Plattformen. Wir sehen nur nicht ein, dass der gesamte Profit, der damit durch Werbung und Datenhandel gemacht wird, bei den Plattformen allein hängen bleibt. Wir wollen einen fairen Anteil. Das ermöglicht in Zukunft die Richtlinie."

Oben steht, doch dass sie es jetzt schon jederzeit blockieren konnten. Und warum braucht es eine Änderung um stattdessen eine Lizenzierung auszuhandeln? Ist schließlich weiterhin nicht verpflichtend, dass eine solche zu fairen und realistischen Konditionen zu Stand kommen muss.

"7. Für die, die an Ökonomie interessiert sind: Die meisten von uns Kreativen schaffen ihre Werke nicht aus kommerziellen Gründen oder um Geld zu verdienen. Es geht uns um Selbstverwirklichung. Es tut aber weh, wenn man ein oder mehrere erfolgreiche (also begehrte) Werke geschaffen hat, und der Profit aus der großen Nachfrage geht an jemand Anderen. Die Wertschöpfung aus kulturellen Werken findet heute in großen Teilen auf den digitalen Plattformen statt. Die früheren Tonträgerfirmen haben uns wenigsten noch einigermassen angemessen beteiligt. Die Plattformen, und übrigens große Teile der Digitalwirtschaft, machen Kohle mit unseren Werken und geben uns nichts. Dies wird die Richtlinie ändern."

Wie machen sie denn aktuell unberechtigt "Kohle" mit den Werken, wenn angeblich (siehe oben) jederzeit blockiert werden konnten und bereits jetzt vor Veröffentlichung automatische Uploadfilter durchlaufen mussten?

"Dies will die digitale Wirtschaft aber nicht, und deshalb fährt sie diese Desinformationskampagne mit Schlagworten, die der Komplexität der Debatte nicht gerecht werden, den Menschen aber Unheil suggerieren sollen."

Das werden sie in Zukunft auch nicht wollen, wenn es sich finanziell nicht rechnet - wenn doch kommen Deals wie mit der GEMA schon jetzt zustande.

"Bitte glaubt nicht das Geschwätz von Zensur und Upload Filtern. Das ist Unsinn. Unsinn, der von den Plattformen massiv gestreut wird und Euch verunsichern soll. Die Freiheit im Internet ist auf keinen Fall gefährdet, wenn wir Kreativen einen geringen Anteil der immensen Profite der digitalen Plattformen bekommen. Das bedeutet auch nicht, dass Ihr in Zukunft zahlen müsst. Im Gegenteil, ihr könnt dann in Ruhe hoch laden und konsumieren, in Zukunft rechtssicher! Die Verantwortung wird von Euch, den Verbrauchern / Usern / Uploadern auf die Plattformen geschoben."

Das klappt vielleicht mit großen Rechteinhabern und großen Plattformen - da hat es (siehe GEMA) aber auch ohne Neuregelung geklappt. Mit kleinen Anbietern hat die Industrie aber gar kein Interesse an Verhandlungen. So dürfen z.B. Podcasts nichts bei der GEMA lizenzieren, weil es dafür keinen Tarif gibt (wurde The Pod auf Nachfrage mitgeteilt). Wie sollen also kleine Plattformen das künftig lösen, außer dicht zu machen oder gar nicht erst in Europa gegründet zu werden?

Warum kommen solche Aussagen gerade aus der Musikindustrie, die doch bereits entsprechende Lizenzen mit Youtube ausgehandelt hat? Macht doch nur Sinn, wenn man noch mehr vom Kuchen will und nicht weil es bisher unmöglich war mit diesen großen Plattformen Lizenzen auszuhandeln. Also Lobbyarbeit, bei der eigene Interessen vor dem Gemeinwohl kommen, ausgetragen auf dem Rücken von kleinen Anbietern und Nischeninhalten.

Viel Spaß in der Zukunft, in der es nur noch Content großer Rechteinhaber auf großen Plattformen wie Youtube und Facebook gibt. Ich geh mich jetzt erst mal für meine Dummheit schämen, nach dieser hochplausiblen Erklärung eines unbefangenen Experten.


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