Thema:
Habe mal die Briefe meiner Mutter rausgesucht flat
Autor: Lynne
Datum:14.02.19 09:31
Antwort auf:Mit Vater über den Krieg geredet von Doc Ower

Hatte ich ja schon ganz unten in der ersten Antwort kurz was darüber geschrieben, gestern hab ich dann mal ihre Aufzeichnungen rausgesucht. Diese hier ist an Ihre Mutter gerichtet und trägt den Titel "Zum 50ten Geburtstag", also hat meine Mutter den Text wohl schon 1963 verfasst, an Ihre eigene Familie aber erst 1995 weitergegeben.

Ich habe nicht korrigiert oder geändert, nur je einmal (Schlesien) und (Tschechien) eingefügt zu besseren Verortung. Das hier ist gut die Hälfte der fünf handschriftlichen DIN A4-Seiten.

Allzu spektakulär ist das Ganze natürlich nicht, aber bei Interesse schreibe ich dann auch noch den Rest dieses Briefes ab in der nächsten Woche. Vielleicht mache ich das ohnehin, auch mit den anderen Briefen. Dann kann ich die Inhalte der schwarz/weiß-Kopien wenigstens ins digitale Zeitalter retten.

In dem behandelten Zeitraum war meine Mutter knapp 12 und hatte drei kleinere Geschwister.

Geschrieben 06.01.1995

Zum 50ten Geburtstag, fern der Heimat!

Meiner lieben Mutter Elisabeth ******

Am 22ten Januar 1945 feierten wir Deinen 32ten Geburtstag in Glogau (Schlesien) in der Sedanstr. Es gab einen Rührkuchen, unser Vater war auch zu Haus. Am nächsten Tag musste er zum Volkssturm nach Ohlau. Wir wurden am 23ten von der Polizei abgeholt und gemeinsam mit der Familie des Bürgermeisters nach Sagan gebracht.
Du, liebe Mutti, hast noch die Betten abgezogen und als wir gehen wollten kamen Soldaten in unsere Wohnung und legten sich mit Uniform und Stiefeln in unsere Betten.

In Sagan haben wir eine Nacht in einem Tanzsaal auf Stroh geschlafen. Dann wurden wir in eine Wohnung am Stadtrand eingewiesen. Wir wurden im Schlafzimmer untergebracht, auch die Küche durften wir benutzen.
Gegen Ende des Monats verließen die Wohnungsinhaber das Haus am Abend, sie wollten irgendwohin zu Verwandten. Da hast du uns angezogen und bist mitten in der Nacht mit uns zur Bahn gegangen. Dann haben wir den nächsten Zug nach Dresden genommen.

Ich kann mich noch an den langen Bahnsteig erinnern, weil wir auf einen anderen mussten. Rudi und ich trugen die Rolle aus Steppdecken und Kissen zwischen uns. In einer großen Umhängetasche, die gewebt war, waren Papiere und Bilder, die trug ich.
Rudi und ich hatten auch noch unsere Schulranzen um. Du hattest die beiden kleinen an einer Hand und einen Koffer und eine Tasche in der anderen.

War es in Dresden, als wir wieder aus dem Abteil steigen mussten, weil kein Platz mehr für dich war, oder in Bautzen? Dort hat auch ein Eisenbahner versucht, dir die kleine Dolle abzuschwatzen. Er hätte keine Kinder und die Dolle gefiel ihm gut. Aber du bist eisern geblieben.

Am 28ten oder 29ten waren wir in Marienbad (Tschechien), bei Tante Wilmas Eltern. Nach einigen Tagen konnten wir in einem Gartenhaus an der Bahnlinie wohnen. Der Wohnraum war eine Treppe hoch, es gab Wasser und einen Ofen, 2 Betten, Tisch und Stühlen. Das WC war unten. Rudi und ich wurden in Auschowitz in der Schule angemeldet. Die Schule war etwa 1 km entfernt im Dorf.

In den Häusern wo Tante Pecker wohnte, waren früher, vor dem Krieg, immer private Kurgäste untergebracht, die nicht in den großen Hotels wohnten.
Tante Pecker nahm mich auch mal mit in ein Lazarett, sie betreute dort Verwundete. Unsere Großeltern kamen auch zu Peckers. Dann bekamen wir gemeinsam eine kleine Baracke zugeteilt. Bei Fliegeralarm mussten wir immer zu Peckers in den Keller,

Mitte Februar, ich glaube es war der 13te, bekamen wir ein Telegramm von Papa aus Dresden. Wir wohnten noch im Gartenhaus, da gab es Alarm. Wir hörten in der Nacht wie die Flugzeuge immer der Bahnlinie entlang flogen. Später hörten wir ein Donnern und poltern im Gebirge.
Am Morgen kam dann die Nachricht vom Bombenangriff auf Dresden. Wir hatten große Angst um Papa. Einige Tage später kam Post aus dem Westen, war es Ulm?
Papa war am Abend, vor dem Angriff, mit einem Lazarettzug nach Ulm gebracht worden.


Lynne


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