Thema:
Erfahrungen aus meiner Familie flat
Autor: FS
Datum:12.02.19 14:58
Antwort auf:Mit Vater über den Krieg geredet von Doc Ower

Bei Kriegsende als die Amerikaner in Bamberg einmarschierten wo die Familie zur Zeit des Krieges war, hat mein Vater der damals 8 Jahre alt war und an die Propaganda geglaubt hat (in dem Alter auch logisch) den ersten "Verrat" seines Lebens erlebt. Als man am Himmel einen Teppich von glitzenden Bombern sah und die Luftsirene heulte musste er wie alle im Haus in den Keller rennen. Dort unten kauerten die Leute und hofften, dass die Bomben nicht alles vernichten würden. Während man die Einschläge hörte und der Boden wackelte brüllte der Blockwart, ein von Hitler vereidigter Nazi der für die politische Gleichschaltung eines Viertels zuständig war, den verängstigten Frauen, Kindern und alten Leuten etwas von Durchhaltewillen, Verteidigung des Vaterlandes und Aufopferung in die Ohren.

Als die Sirenen Entwarnung gaben gingen alle wieder hoch und man hörte Leute rufen "die Amis kommen!" und in der Tat da waren sie. Amerikanische Soldaten auf schleichend leisen Gummisohlen (nicht die krachenden Nagelsohlen welche mein Vater kannte) mit Kaugummi im Mund welche so "unordentlich" aussahen wie mein Vater erinnert sah man die Hauptstraße runterkommen. Was machte der Blockwart? Er riss sein Parteiabzeichen von der Brust, warf es in den Schutt, zog ein riesiges weißes Taschentuch aus der Hosentasche und lief jubeln auf die Amis zu. Mein Vater war am Boden zerstört. So ein Verrat!

Kurz vor Ende des Krieges verwendete mein Urgroßvater, den ich nie kennengelernt habe, auch meinen Vater als Mittel um seine Systemkritik anzubringen ohne dafür in den Knast zu müssen. Er zeigte meinem Vater die Europakarte und dann zeigte er auf alle Ländern mit denen Deutschland im Krieg war und wo die letzt gemeldeten Frontverläufe waren. Nachdem er damit fertig war sagte er "Und was meinst Du?" und mein Vater meinte kreidebleich "Du Opa, das gewinne wir niemals!". Mit dem Spruch ging mein Großvater dann in die Kneipe und sagte "Hört auf die Kinder!". Ihm wurde dann aber trotzdem klar gemacht wenn er damit nicht aufhört man ihn wegen Wehrkraftzersetzung anklagen könnte.

Väterlicherseits habe ich von meinem Opa erfahren, dass er Polizist in der berittenen Einheit in München ware und dafür musste man Parteimitglied sein. Er kam auch kurz an die Ostfront, wurde aber am Hintern verletzt und wehruntauglich (was ihm wohl das Leben rettete, seine ganze ehemalige Einheit wurde später vernichtet). So wurde ihm nach dem Krieg durch die die Denazifizierung das Ausüben eines Berufs in der Regierung oder für die Regierung verboten.

Arbeitslos in einer Stadt voller Amerikaner entschloss er sich die damals für Deutsche sehr seltsam anmutenden Snacks der Amis nachzubasteln nämlich das krustenlose Sandwich. Also ließ er bei Bäcker Toastbrot backen und bestellte beim Metzger Kochschinken und irgendwoher hat er noch Salat aufgetrieben. Die verkaufte dann die Mutter in einem kleinen selbstgebastelten Bauchladen vor der Kaserne. Die Familie war damals sehr hungrig und hatte nur Kürbis gegessen. Durch die Investition in die Sandwiches (da ging Familienschmuck für drauf) konnten die Kinder die Krusten und das Fett von den Schinken essen und mein Vater hat daran noch glückliche Erinnerungen - endlich pappsatt essen. Bis heute hasst mein Vater Kürbisgeschmack.

Mein Vater hat die Nachkriegszeit wie einen wilder Spielplatz für ihn und seine Freunde in Erinnerung bei dem man aber auch schockierende Sachen entdecken konnte (z.B. Skelette). Die Eltern waren beide schwer beschäftigt damit Geld und Lebensmittel zu besorgen. Also konnten die Kinder draußen machen was sie wollten.

Mein Vater angelte in mit Wasser vollgelaufenen Bombentrichtern, spielt mit Blindgängern und Munition (sie holten aus den Patronen die Treibladung raus und bastelten damit sehr starke Kracher). Er beobachtete wie junge Amerikanische Soldaten mit einer Lafette auf einem Jeep auf Rehe am Waldrand ballerten und junge Frauen belästigten oder sich im Suff auf allerbrutalste Weise gegenseitig verprügelten (Mit Stiefeln auf den Bauch eines am Boden liegenden gesprungen etc.).

Als ein Geschäft im Chaos der Nachkriegstage geplündert wurde schlüpfte mein Vater als kleines Kind auch in den Laden und nahm eine Kiste mit lauter blauen Tütchen mit. Draussen machten sie die Tüten auf und fanden komische weisse Luftballons. Die hatten eine komische Form und waren schwer zuzuknoten. Bis der Opa kam und wütend den Kids die Blausiegelkondome wegnahm welche sie da geklaut hatten. Game Over :)

Die einzigen Stories die nie sehr ausführlich waren sind die Fronterlebnisse meines Großvaters (den ich auch nur wenige Jahre kannte bevor er starb). Es war aber wohl sehr schlimm wie viele tote und verstümmelte Kameraden er schon in den ersten Tagen gesehen hat.

Mütterlicherseits habe ich auch viele Stories erfahren. Dort floh die Familie aus Danzig vor den Russen nach Westdeutschland und waren Flüchtlinge im eigenen Land. Damals hat man Deutsche in Deutschland ebenso angefeindet wie das AfDler heute mit Syrischen Flüchtlingen machen. Wenn man nix Argumentatives hatte wurden sie beschimpft nicht katholisch sondern evangelisch zu sein. Das zeigt mir, dass Missgunst und Egoismus keine plausiblen Gründe braucht. Wenn das Urteil gefällt ist, brauchen solche Leute keine Argumente mehr. Es ist ein Bauchgefühl. Ups ich glaube ich bin jetzt wieder politisch geworden.


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