Thema:
Re:Mal deine Gedanken sortieren? flat
Autor: JPS
Datum:07.01.19 18:34
Antwort auf:Re:Mal deine Gedanken sortieren? von Dr. Robotnik

>Dann zu dem Punkt mit der Sklaverei (und jetzt bitte wirklich auch den Gedanken zulassen):
>Jeder hat das Recht zu sagen "ich will keine Transferleistungen erhalten". Dann bekommt er nichts. Kein Geld und eben auch keine Pflicht zu arbeiten. Somit liegt hier schonmal definitiv keine Sklaverei vor.


Erlaubt es der Staat diesen Menschen ein unabhängiges Leben zu führen? Darf man sich irgendwo ein Stück Land nehmen und dieses bewirtschaften oder darauf eine Hütte als Wohnmöglichkeit errichten?

Wenn nicht zwingt der Staat den Bürger dazu mindestens für Wohnung und Nahrung Geld zu verdienen, da er sonst obdachlos wäre und um Essen betteln oder freiwillige Spenden nutzen müsste.

Nun hat man also auf der einen Seite diesen Zwang und auf der anderen Seite vom Staat geschaffene Rahmenbedingungen, wie und unter welchen Bedingungen man mit seiner Arbeitskraft das zwangsweise benötigte Geld verdienen kann.

Der genauen Definition von Sklaverei entspricht das zwar vielleicht nicht, aber das grundsätzliche Prinzip ist nicht so viel anders, als wenn man eine Frau aus einem ärmeren Land nach Deutschland holt um ihr dann zu eröffnen, dass sie jetzt erst Mal ihre Reise und Unterbringung zu erwirtschaften hat. Und zwar zu den vom Zuhälter festgelegten Bedingungen.

Klar zwingt der Staat nicht dazu das Geld mit Sex zu verdienen und die Bedingungen dürften auch noch etwas fairer als beim durchschnittlichen Menschenhändler sein, aber vom Prinzip geht es schon ein wenig in diese Richtung, wenn man dem Menschen zunächst ein unabhängiges Leben verwehrt um ihm dann die Spielregeln aufzudrücken wie er sein Überleben sichern kann.

>Nun drehen wir den Spieß aber gedanklich mal um:
>Wir beide arbeiten und zahlen unsere Steuern. Jemand anders arbeitet aber nicht, weil er keinen Bock hat und auch keine Sanktionen zu fürchten hat. Denn das (und sogar noch mehr!) wird ja immer gefordert.
>Wer ist nun wessen Sklave?


Du - das bist Du aber gerade deshalb, weil Du nicht die Alternative hast, Dein Leben anders als vom Staat vorgesehen zu gestalten.

Du hast aktuell (abgesehen von Geld/Unterstützung durch Dritte) nur die Wahl zwischen dem recht umfassenden Akzeptieren des vom Staat vorgegebenen Lebens- und Erwerbsmodells oder ständigem Druck des Jobcenters inkl. zeitweiser Zwangsarbeit oder Sanktionen.

Ich schreibe übrigens Staat statt Gesellschaft, da viele dieser Rahmenbedingungen nicht von der Gesellschaft, sondern von wenigen Personen und durch Lobby-Arbeit geprägt werden.

Hättest Du hingegen Unterkunft und Nahrung bedingungslos währst Du frei und könntest Dich entfalten, was durchaus auch weiterhin die Entscheidung für Luxus und Arbeiten sein kann - dann aber zu deutlich besseren Bedingungen, da Du nicht mehr erpressbar bist.

Und auch wenn Du persönlich Dich nicht in diesem Grenzbereich bewegst, weil Du z.B. durch Erbe, hohen Verdienst und entsprechende Rücklagen bereits jetzt diese Freiheit hast, wäre Dein Leben besser, da unsere Ellenbogengesellschaft generell kein wünschenswerter Rahmen sein kann.

Ist natürlich alles deutlich komplexer, aber wenn man über ein sinnvolles Modell nachdenkt, würde ich dabei in einer wünschenswerten Gesellschaft mit dem Denken ganz unten beginnen und dann schauen wie man die Rädchen nach oben hin stellen muss um ein funktionierendes System zu bekommen. Stattdessen wird aber durch den hohen Stellenwert von Geld und die damit verbundene Käuflichkeit von Menschen genau auf der anderen Seite mit der Betrachtung und bei der Gestaltung der Rahmenbedingungen begonnen.

>Und ich hab das gerade mal durchgerechnet: Mindestlohn auf Vollzeit, da komme ich auf Netto 1.070€ (Steuerklasse I, ohne Kinder). Das ist sicher wenig, reicht aber zum Leben. Und zwar auch hier in der Stadt.
>Interessant und die absolute Wahrheit: Gestern Abend noch bei Freunden gewesen und ne Freundin war auch da. Die ist Sozialpädagogin an einer Schule. Zugegeben ziemlich alternativ (also nicht sehr materiell orientiert) und arbeitet freiwillig 50%. Sie hat mir mal gesagt, dass sie TVöD E9 ist. Das dürfte deshalb etwa 1.150€ entsprechen (abhängig von ihrer Stufe). Freiwillig!
>Also, so viel zu "das reicht nicht zum Leben".


Die Möglichkeit hat nicht jeder sich mit 20 Stunden in einem Job an einer Schule von einem Leben zwischen Hartz4, 1 Euro Job, Zeitarbeit und ständigem Druck freizukaufen. Dafür muss man erst mal sein Studium finanziert bekommen bzw. die Rahmenbedingungen, die dafür sorgen, dass man als Kind und Jugendlicher überhaupt eine solche Schullaufbahn in Erwägung zieht und gegebenenfalls auch in einem Tief oder einer jugendlichen Trotzphase entsprechend gefördert wird.

Der typische Empfänger wird wohl eher 40-45 Stunden wesentlich unangenehmere (und deshalb eigentlich höher zu vergütende) Tätigkeiten aufgedrückt bekommen - sein Leben lang wird er Ächtung ausgesetzt sein - entweder für seinen "Deppenjob" oder in der restlichen Zeit als Sozialschmarotzer.

Und das obwohl er ein Produkt unserer Gesellschaft ist, die es nicht geschafft hat ihn in gleichem Maße zu fördern wie es die Eltern der Sozialpädagogin getan haben. Oder weil er schlicht von der Natur benachteiligt wurde.

Ein Modell, bei dem unliebsame Tätigkeiten nicht entsprechend hoch vergütetet werden, sondern stattdessen Menschen über Druck dazu gebracht werden diese für die reine Abdeckung der Grundbedürfnisse auszuüben ist IMO stark fragwürdig und nicht akzeptabel.

Komischerweise empfindest Du das Einkommen Deiner Bekannten mit ihrem 20 Stunden Job als "trotzdem wenig" - warum soll es dann in Ordnung sein, dass man anderen Menschen zumutet für diese Summe die doppelte Zeit in einer deutlich unangenehmeren Tätigkeit arbeiten zu müssen?


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