Thema:
Eberkastration und Polemisierung flat
Autor: Dr. Robotnik
Datum:12.11.18 10:08
Antwort auf:Politik in Bund, Land und Europa Teil 3 von Gaius B.

Ich habe am Wochenende länger mit einem Kumpel darüber gesprochen wie er zu der Eberkastration steht. Dazu sollte man vielleicht wissen, dass er eine kleine Landwirtschaft führt und ich ihn dadurch erstmal für einen kompetenten Ansprechpartner halte.
Geschickt hat er mir dann noch diesen Beitrag, den ich hier sicherlich komplett posten kann (und muss, weil ich keinen Link habe):

Folgendes Schreiben habe ich gerade an die Vorsitzenden der im Bundestag vertretenen demokratischen Parteien, Frau Ministerin Julia Klöckner und Frau Ministerin Ursula Heinen-Esser gesandt:
Sehr geehrte Damen und Herren,
ich richte dieses Schreiben an Sie in Sorge um die Zukunft einer ganzen Berufsgruppe in Deutschland, nämlich der Zuchtsauen haltenden Landwirte.
Ich selbst bewirtschafte einen landwirtschaftlichen Betrieb im westlichen Münsterland und halte ca. 120 Sauen. Etwa drei Viertel der aufgezogenen Ferkel werden in meinem Betrieb bis zur Schlachtreife gemästet, ein Viertel wird an einen Schweinemäster in der Region vermarktet. Die Schlachtschweine werden an einen örtlichen mittelständischen Schlachthof verkauft. Neben der Führung des eigenen Betriebes bin ich in der Beratung schweinehaltender Betriebe tätig und komme beinahe täglich mit den Sorgen der Sauenhalter in Kontakt.
Ich bin kein Funktionsträger in einer berufsständischen Organisation, sondern schreibe Ihnen als Landwirt und Bürger dieses Landes.
Um meine Sorgen deutlich zu machen, möchte ich Sie bitten, sich in ein Szenario hinein zu versetzen, das zunächst nichts mit Schweinen zu tun hat:
Am 01.01.2019 tritt in Deutschland eine neue Abgasrichtlinie für PKW in Kraft, die weit über internationale Standards hinausgeht und für alle in Deutschland gebauten Autos gilt. Bei Verabschiedung dieser Richtlinie hatten sich die beteiligen Politiker als Vorreiter für den Klimaschutz gefeiert.
Die Erfüllung der neuen Vorschriften verlangt von den Automobilherstellern einen hohen technischen Aufwand, so dass die Produktionskosten je Wagen um ca. 10 Prozent steigen.
Internationale Handelsvereinbarungen verbieten es allerdings, diese hohen Standards auch von im Ausland gefertigten Fahrzeugen zu verlangen. So wird es für die inländischen Hersteller unmöglich, die höheren Kosten über den Produktpreis wieder herein zu wirtschaften. Der Preisabstand zur ausländischen Konkurrenz würde zu groß und die Kunden trotz gutem Image zu Importfahrzeugen wechseln. Notgedrungen schließt ein Hersteller nach dem anderen seine Produktionsstandorte in Deutschland und verlagert die Fertigung ins Ausland.
Ergebnis des deutschen Voranpreschens ist letztlich der Verlust tausender Arbeitsplätze. Autos, die die strengen deutschen Richtlinien erfüllen, findet man dagegen auf deutschen Straßen nur sehr wenige.
Sie denken, es handelt sich hier um eine Utopie, die nie so eintreten wird? Sicherlich, wenn es um des Deutschen goldenes Kalb, das Auto, geht. In anderen Bereichen haben wir jedoch ähnliches bereits erlebt: Eine deutsche Textilindustrie ist quasi nicht mehr existent, in Deutschland produzierte Kommunikations- oder Unterhaltungselektronik hat Seltenheitswert, und das obwohl jeder diese Produkte täglich verwendet. Im landwirtschaftlichen Bereich sei an das Desaster des Verbots der Käfighaltung von Legehennen erinnert, als die Stalleinrichtungen in Deutschland demontiert, im Ausland wiederaufgebaut und die Eier zumindest für verarbeitete Produkte seither aus denselben Käfigen wie zuvor stammen, nur halt nicht mehr aus Deutschland.
Aktuell droht die Abschaffung der Sauenhaltung in Deutschland. Bei den Landwirten macht sich Unsicherheit breit zum Beispiel aufgrund des "Magdeburger Urteils" aus dem Jahre 2015, das die auf einem unklar formulierten Verordnungstext beruhenden Durchführungsbestimmungen zur Tierschutz-Nutztierhaltungsverordnung für ungültig erklärt hat. Seitdem hat es der Gesetzgeber versäumt, klare Leitlinien zu erlassen, wie denn nun ein Schweinestall aussehen soll. Dabei ist die Landwirtschaft und speziell die Tierhaltung aufgrund hoher Investitionsvolumina, geringer Margen und Amortisationszeiten von 15 bis 20 Jahren wie kaum ein zweiter Wirtschaftsbereich auf langfristige Planungssicherheit angewiesen.
Für blankes Entsetzen sorgte die Entscheidung des Deutschen Bundesrates vom 21.09.2018 gegen eine Verlängerung der Frist des Verbotes der betäubungslosen Kastration männlicher Ferkel. Zur Erinnerung: männliche Ferkel werden kastriert, um die Entstehung penetranten Geruchs beim Garen des Fleisches unkastrierter männlicher Schweine zu verhindern, also zur Sicherung der Produktqualität und damit zum Schutz der Verbraucher.
Die drei derzeit vorgesehenen Alternativen zur betäubungslosen Kastration sind die Vollnarkose per Injektion oder Narkosegas, die Immunokastration und die Mast unkastrierter Eber. Alle Alternativen sind mit Problemen behaftet, die trotz großer Anstrengungen der Branche eine flächendeckende Umsetzung für alle 20 – 25 Millionen jährlich in Deutschland geborenen männlichen Ferkel unmöglich machen. Selbst wenn dies gelänge, blieben letztendlich die deutschen Sauenhalter auf den hohen Kosten, die durch Mindererlöse von Schlachtebern, durch den Aufwand für die Narkose oder den Impfstoff gegen Ebergeruch und die zumindest bei der Immunokastration erforderliche Verbraucheraufklärung entstehen, sitzen. Der einfachste Weg für Schweinemäster und Schlachtbetriebe ist nämlich der Import (unbetäubt!) kastrierter Ferkel aus dem EU-Ausland. Diesen Weg kann keine deutsche Behörde und kein Gericht versperren, weil hier EU-Handelsrecht über dem deutschen Tierschutzrecht steht. Aus diesem Grunde wurde als "Vierter Weg" die durch den sachkundigen Tierhalter durchgeführte lokale Betäubung vorgeschlagen. Diese Methode soll auf kostengünstige Weise viele Probleme der drei genannten Methoden vermeiden. Die Methode ist beispielsweise in Schweden seit Jahren etabliert und wurde in Dänemark zu Beginn des Jahres 2018 eingeführt. Hierzulande streiten sich die Interessensvertreter jedoch haarspalterisch darüber, ob mit dieser Methode wirklich eine "vollständige Schmerzausschaltung" erzielt wird, eine Forderung, die nicht einmal in der Humanmedizin gestellt wird.
Ich habe vor etwa dreißig Jahren in der Schule gelernt, dass sich freie Rechtsstaaten durch Regeln und Normen auszeichnen, die für alle Menschen gleichermaßen gelten. Übertragen auf einen Markt als den Ort des Austauschs von Waren und Dienstleistungen in einer arbeitsteiligen Gesellschaft bedeutet das, dass für alle Beteiligten die gleichen Regeln gelten müssen. Niemand darf dadurch benachteiligt werden, dass ihm bei der Produktion seiner Waren durch höhere Anforderungen höhere Kosten aufgebürdet werden als seinen Mitbewerbern. Nur so kann ein Markt seine Aufgabe, durch Bildung eines Preises für einen fairen Interessensausgleich zwischen Anbietern und Nachfragern zu sorgen, erfüllen.
Wenn aufgrund einer Verordnung Wettbewerbsverzerrungen zulasten inländischer Erzeuger entstehen, kann diese Verordnung ihren in ihrer Begründung beschriebenen Zweck nicht erfüllen, weil dann die Produktion ins Ausland abwandert. Es bleiben daher zwei Möglichkeiten: entweder die Wettbewerbsverzerrung durch die Verordnung zu beseitigen oder die Gültigkeit der Verordnung auf importierte Waren auszuweiten. Alles andere wäre Betrug sowohl am Erzeuger als auch am Bürger.
So bleibt mir nur noch ein Appell: Beschließen Sie gemäß dem Bundesratsantrag der Länder Niedersachsen, Bayern, Mecklenburg-Vorpommern und Nordrhein-Westfalen vom 19.09.2018 ein Aussetzen des Verbots der betäubungslosen Kastration bis zur Zulassung eines Präparates zur Lokalanästhesie, längstens jedoch für zwei Jahre! Emanzipieren Sie sich von Organisationen, deren Geschäftsmodell auf dem Polemisieren basiert, jedoch nicht auf dem Lösen von Problemen! Sorgen Sie dafür, dass deutsche Sauenhalter auch zukünftig gleichberechtigt am deutschen Ferkelmarkt teilnehmen können! Kommen Sie Ihrer Verantwortung für alle Bürger dieses Landes nach!
Über Ihre Antwort auf mein Schreiben würde ich mich sehr freuen. Ich werde dieses Schreiben auch unter meinem Facebook-Profil veröffentlichen. Ihr Einverständnis vorausgesetzt, werde ich auch Ihre Reaktion im Sinne einer transparenten demokratischen Diskussion dort einstellen.

Mit sorgenvollen Grüßen



Jetzt geht es mir in erster Linie hier gar nicht um die Eberkastration (das kann ich nicht beurteilen), sondern insbesondere um den von mir unterstrichenen Satz.
Das ist nämlich der Eindruck, der sich bei mir sehr häufig breit macht und der mich ehrlich aufregt!
Beim Hambacher Forst, bei Diesel PKW, bei der SPD hinsichtlich der Bürgerversicherung und vielem mehr. Das ist unehrlich und entgegen bessern Wissens.

Weltmeister hierbei sind für mich hierbei im Übrigen die Grünen. Gefühlt würde ich sagen, besteht deren Wählergruppe nicht aus Bauern sondern aus Gutverdienenden Großstadt-Hipstern und SUV-Hausfrauen.

Edit:. Schlimmer als Grüne sind natürlich noch die AfD'ler, aber die hüllen sich zumindest nicht in ein Kleid der Moral.


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