Thema:
Dann halt nicht, oder: Gier frisst Hirn. flat
Autor: king_erni
Datum:06.12.17 10:14
Antwort auf:Der Job Thread: befördert oder gekündigt? von HaPe

Ich habe seit drei Jahren für einen ziemlichen großen Ausstatter von Post-Buden auf freiberuflicher Basis diverse Postproduktionen und auch Werbe- sowie Spielfilmproduktion mit Postequipment (Monitore, Panels, Rechner, Software, aber auch Möbel, Beleuchtung usw. usf.) ausgerüstet und deren Equipment optimiert/gewartet sowie deren Personal in DaVinci Resolve geschult. Das alles habe ich immer direkt mit dem jeweiligen Auftraggeber abgerechnet und zwar aus zwei sehr praktischen Gründen:

1.) Durch den Wechsel zwischen den Auftraggebern entstand nicht dein Eindruck einer Scheinselbstständigkeit, er entstanden wäre, wenn ich nur für den Post-Ausrüster gearbeitet hätte.

2.) Der Auftraggeber konnte flexibel entscheiden ob er mich auf Rechnung oder lieber LSK anstellen wollte (ich kann auf beide Wege abrechnen) und die Buchhaltung vom Post-Ausrüster musste sich garnicht mit mir beschäftigen und wurde dadurch entlastet.

Das alles lief jetzt drei Jahre mehr oder weniger flauschig, mein einziger Chef war gleichzeitig Inhaber der Firma. Ich habe grundsätzlich alles an Equipment immer von denen bezogen, so wie es halt eben auch der Deal war. Es gab hier und da mal kleinere Ausnahmen, wenn z.B. Arbeitsspeicher zum Aufrüsten gebraucht wurde oder eben schnell  eine Kleinigkeit her musste, die mein Firma nicht auf Lager hatte, selten kam dabei ein Warenwert über 150 Euro brutto raus, es ging meist um Kleinscheiß der nichtmal 20 Euro auf ner Rechnung bedeutet hätte. Mit meinem Chef war das abgesprochen und er war damit fein, weil es schließlich auch darum geht, den Kunden so schnell wie möglich zufrieden zu stellen.
Grundsätzlich konnte ich mir die Job und damit die Einsatztage selbst aussuchen, was mir immer gut gefiel, da ich ja eigentlich noch nen anderen Job habe, der auch einen lukrativeren Stundensatz hat, aber gerade für die mauen Wintermonate war das eine nette Ergänzung. Verkauft habe ich immer das an Equipment, was wirklich gebraucht wurde, was im Umkehrschluss natürlich bedeutet, dass ich Ladenhüter oder Aktionsware manchmal links liegen gelassen habe, wenn sie nicht gepasst hat. Meine Kunden fanden das super, ebenso wie die Tatsache, dass ich meisten schnell vor Ort war oder halt einen Ersatz kannte, der das mal eben schnell regeln kann, wenn ich nicht konnte. Gerade kleinere Werbefilmproduktion, wo ein Avid-Schnittplatz und vlt. noch ne kleine Color-Suite vorhanden ist, waren halt auch darauf angewiesen, mal eben schnell ne Kleinigkeit via Remote oder Telefon klären zu können. Kurzum: ich hab den Job gerne gemacht, meine Kunden waren meist sehr zufrieden und der stetige Kontakt hat auch enorm Spaß gemacht.

Tja, Anfang 2017 wurde alle anders bzw. langsam schlechter:
1.) Mein Firmenwagen, eine Mercedes V-Klasse, wurde nun zum Pampers-Bomber für den Abteilungsleiter Einkauf umfunktioniert. Ergo musste ich bei größeren Bestellungen immer (!) einen Transporter über Herz mieten, was natürlich meine Flexibilität eingeschränkt hat, weil ich teilweise fünf Autovermietungen abtelefonieren musste, wenn Transporter mal wieder rares Gut waren. Meine Anmerkung, ein zweites Fahrzeug zu besorgen (die Firma ist dazu durchaus in der Lage das finanziell zu stemmen), wurde abgelehnt, stattdessen fuhr mein Chef auf einmal Firmen-911er.
2.) Selbst den kleinsten Ramschartikel (PC-Mäuse und dergl.) sollte ich auf einmal über die Firma beziehen. Das dass teilweise Lieferzeiten von drei Werktagen bedeutete, geschenkt! Gewinnoptimierung nannte das mein Chef. Ich durfte wiederum jetzt Kunden erklären, dass sie die Maus entweder selbst kaufen gehen oder ich die mit Wartezeit bestellen müsse, absurd!
3.) Ich hatte Mitte April einen ziemlich großen Auftrag zu versorgen (4 neue AVID-Schnittplätze, alles vernetzt über 10Gbit-LAN, 2x fette NAS-Systeme als Projektspeicher sowie redundande Backups davon plus eine Resolve-Color-Suite mit allem Schnick- und Schnack, Auftragswert sicherlich irgendwas bei 160k Euro rum). Für den Kunden war klar, dass ich erst komme, wenn wirklich alles an Equipment komplett vorhanden war, mein Chef jedoch wollte schnell verdienen und schickte mich schon los als nur die das Zeug für die AVID-Schnittplätze angekommen waren. Es kam sogar noch besser, die insg. 4 NAS-Systeme plus Server sollte ich bitte vor Ort zusammen bauen, damit der Kunde die Arbeit nachvollziehen kann, achja und der Kollege, der mir eigentlich auf dem Job helfen sollte, ist leider woanders verplant, ich kann das jetzt alleine machen. Ich hab meine Bedenken geäußert (unprofessionell, Kunde möchte es anders), die wurden aber allesamt ignoriert. Ich rief also den Kunden an, äußerte die Änderung in Plan und machte einen Termin aus. Am Vortag, wo ich den gemieteten Sprinter packen wollte, ging ich ins Lager und traute meinen Augen kaum: nicht nur, dass die Hälfte vom eh schon reduzierten Auftrag fehlte, nein, es stand auch noch signifikant teureres Zeug da. In der Zwischenzeit war mein Chef dreist genug um meine Planung beim Kunden als zu "schwach" und kaum "zukunftsorientiert" zu verunglimpfen, nur um teureres Zeug zu verkaufen, was die aber niemals brauchen würden (10-core Schnittplätze mit 128 GB RAM und 1080er Tis für maximal 4k-Workflow in DNxHR, jaja), aber Hauptsache der Rubel rollt. Nebenbei wurde mir noch gesteckt, dass ich jetzt hier den ersten Auftrag mache (2 Tage a 8 Stunden) und der Rest dann inhouse besetzt mit zwei weiteren Aufträgen bedient würde, die ich aber nicht mehr zu verantworten hätte, da ich den Kunden ja scheinbar schlecht beraten habe und ich froh sein könne, überhaupt noch dort auftauchen zu dürfen. Ich fuhr mit richtig guter Laune vom Hof, nicht! Der Kunde wusste übrigens nichts davon, dass ich nur den Initalisierungsauftrag machen würde und war darüber auch nicht sehr erfreut, weil jetzt nicht mehr alles aus einer Hand kommen würde. Noch weniger erfreut war er darüber, dass ich dann Anfang die NAS mit Festplatten zu bestücken und dergleichen. Er war sogar irritiert, dass das nicht alles vorkonfektioniert von uns geliefert wurde, er hätte dafür immerhin bezahlt. Ich war baff, denn wie sich rausstellte, stand auf seinem Auftrag wirklich eine "Vorkonfigurationspauschale" pro Rechner und NAS von gut und gerne 300 Euro brutto, insg. also mal eben Leistungen in Höhe von 3000 Euro, die offensichtlich nicht erbracht wurden. Und es ging noch weiter: dadurch, dass der Auftrag jetzt auf drei Teile aufgeteilt wurde, würden ihm ja eh schon Mehrkosten in Höhe von 1000 Euro entstehen (Anfahrt, Lieferpauschalen etc. pp.), was ihm eh schon kaum passen würde. Ich versprach da mal freundlich bei meinem Chef nachzuhaken, etwas, was ich später noch hart bereuen sollte.
4.) Mein Chef kam zwei Tage später auf mich zu und wollte mit mir über einen neuen Deal reden. Tja, das Ende von Lied war so: er kauft meine Arbeitsleistung exklusiv sein, dafür erhalte ich über ihn weiterhin die gewohnten Aufträge, müsse jetzt der mit ihm abrechnen. Prinzipiell wäre mir das erstmal egal gewesen, der Hinkefuß an der Geschichte jedoch: dadurch das er meine Arbeit ja jetzt weiterverkaufen müsse und er daran auch was verdienen wolle, müsse ich meinen Stundensatz "etwas" anpassen. Dieses "Etwas" sollten satte 15 Prozent sein. Weiterhin solle ich doch bitte nachdem schweren Desaster bei oben genannten Kunden, jedweder Equipment-Empfehlung mit ihm vorher absprechen, damit man auch immer das Optimale für den Kunden rausholen könne. Ich erbat mir Bedenkzeit und ging auf einen Kaffee ins Lager. Dort angekommen erfuhr ich dann vom Chefeinkäufer, dass er in drei Monaten hier weg sei, und auch langsam keine Lust mehr habe, definitiv für den Kunden gedachte Rabatte, die sogar vom Hersteller an den Endkunden geworben werden, als nicht mehr gültig zu bestätigen, damit man nochmal zwei Prozent mehr Umsatz mache. Inzwischen kam die Frau vom Chef in der neuen AMG-G-Klasse auf den Hof gefahren...
5.) Nachdem vermehrt Kunden bei mir anriefen und mit den Worten "Sry, das ich dich im Urlaub kurz stören muss" das Gespräch anfingen (ich war weder im Urlaub, noch Krank noch aus sonstwelchen Gründen nur telefonisch zu erreichen), wurde mir klar, dass ich entweder dem Deal zustimme oder keine Jobvermittlung mehr über die Butze zu erwarten war. Ich versuchte meinen Chef nochmal in einem Gespräch von der Idee abzubringen, da das aber relativ erfolglos war, wollte ich dem Ganzen eine Art Testlauf geben. Ab hier fingen die Dinge an, richtig hart schief zu laufen. Immer wieder wurden Kunden vertröstet, dass Artikel X nicht lieferbar wäre, nur damit nochmal ein Kundendienstler mit Anfahrtspauschale und Co. zum Kunden musste. Meine Jobs wurden mir teilweise 24 Stunden vorher zugeteilt, wenn ich dann mal nicht konnte, wurde ich gleich beim Kunden schlecht gemacht (unzuverlässig, wusste das schon seit Wochen) oder durfte mich zumindest als "unflexibel" beschimpfen lassen. Ende September war die ganze Schoße, also meine Testphase vorbei, und das war auch mehr als gut so. Ich hatte wieder einen wahnsinnig kurzfristigen Kundentermin und dieses Mal fragte mich der GF der Postbude, warum ich dann auf einmal so teuer geworden sei seitdem ich über die Firma abrechnen würde. Beim Blick auf die Abrechnung des letztes Jobs bin ich dann aus allen Wolken gefallen: mein Stundensatz haitisch auf dem Papier um 20 Prozent verteuert, ich selbst bekam davon aber nix, noch besser: ich musste ihm ja sogar was abgeben. Ich beendete den Auftrag, ging zum Chef, knallte ihm die Rechnung auf den Tisch und verließ den Laden mit den Worten "verarschen kann ich mich alleine, entweder wir machen das so wie vorher oder garnicht mehr". Tja, seitdem bin ich da raus und betreute inzwischen sehr viele alte unzufriedene Kunden von ihm mit fairen Vorschlägen und zu guten Konditionen. Selbst Schuld!


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