Thema:
Re:Ja mann! flat
Autor: Sven Mittag
Datum:20.11.22 18:33
Antwort auf:Re:Ja mann! von Mampf

>Ich denke auch, dass mehr Ärztehäuser mit Ärzten als Angestellten, aber humanen Arbeitszeiten und fairen  Überstunden und spätschicht Ausgleich insgesamt ein Gewinn für alle wäre. Wenn man dem nachgeht, woher eigentlich diese Fixierung auf privat Praxen herkommt und dass da ordentlich lobby Arbeit aus dem 3. Reich hintersteckt.. Da wird einem schon leicht anders. Nicht dass ich denke dass Ärzte nicht wichtig wären oder ordentlich für ihre Leistungen honoriert werden sollten, aber die Zuständen in Deutschland und die Verhältnisse (vom Status eines Angestellten Arzt im Krankenhaus im Gegensatz zu einer eigenen Praxis oder Chefarzt) sind halt schon fragwürdig.

Naja, die Krux ist doch wie folgt: Es ist es eben nicht so. Mal ganz davon abgesehen, dass eine Umstellung von einem Pseudo-staatlichen System über die GKV zu einem rein staatlich geführten Gesundheitswesen pure Utopie ist.

Hier müssten ja über 100.000 Kleinunternehmen verstaatlich werden. Mit komplett verschiedener Gehaltsstruktur, betrieblichen Aufbau, jeder mit seiner eigenen Ausstattung, usw. usf.. Von den initialen Kosten für das Gesundheitssystems mal abgesehen, die Praxen überhaupt wirtschaftlich verträglich zu übernehmen mal ganz abgesehen.

Das Problem dabei ist aber, dass die Arbeitsmotivation eines selbstständigen Arztes mit hohen sechsstelligen Krediten und einer anderen Honorierungsstruktur halt ne vollkommen andere ist als die Motivation eines angestellten Arztes (gerade im staatlichen Gesundheitswesen).

Kleines Beispiel aus eigener Erfahrung. Mein erstes Arbeitsjahr war ich als wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Uni angestellt. Durchschnittlich behandelte ein Uni-Zahnarzt pro 4 Arbeitsstunden zwischen 3-4 Patienten. Ganz zu Beginn wollte ich schneller takten, wurde aber sehr schnell und ziemlich eindeutig von meiner Helferin informiert, dass eine solche Arbeitsgeschwindigkeit vom Team nicht gewünscht sei und ich dies zu unterlassen hätte.

Der dadurch entstandene "Erholungszeitraum" wurde dann halt dazu genutzt, Serien während der Arbeitszeit durchzubingen oder halt solche Dinge wie die Steuererklärung überpünktlich schon in der ersten Januarwochen fertig zu machen.

In meiner eigenen Praxis behandele ich je nach Umfang der Behandlungen in der gleichen Zeit zwischen 10-30 Patienten. Während ich (und alle meine Kollegen !) an der Uni mit Fixgehalt keine Motivation hatte, auch nur einen Fingerstreich mehr zu machen, ist meine gesamte Arbeit in der Selbstständigkeit auf maximale Geschwindigkeit getrimmt. Das GKV-System honoriert nicht nach Qualität, sondern einzig nach Geschwindigkeit. Je mehr Patienten ich behandele, desto mehr verdiene ich. Dies geht bei den GKV-Patienten natürlich prinzipiell auf die Qualität, ist aber halt sehr bewusst gewollt, da der Durchschnittspatient ja Qualität eh nicht beurteilen kann und glücklich und zufrieden ist, wenn er schnell dran kommt und "ihm geholfen wird".

Durch das Mischsystem, was wir in Deutschland haben, haben wir den Vorteil, dass wir eine passable Grundversorgung für die Gesamtbevölkerung haben mit in Relation zu anderen Nationen noch akzeptablen Wartezeiten und Eigenkosten für den Patienten. Und jeder der es sich leisten kann, über die PKV die qualitativ besseren Privatleistungen bekommt. Diese aber durch das PKV-System prinzipiell dem gewillten GKVler auch zur Verfügung stehen. Würde ich nicht die Auslastung durchs PKV-System haben, würde ich bestimmte Leistungen nicht anbieten, weil das Equipment nicht mehr wirtschaftlich in der Anschaffung ist oder mir schlicht die operative Erfahrung für den Eingriff fehlt. Macht halt einen Unterschied, ob ich PKVler regelmäßig die "Premium-Behandlung" angedeihen lassen kann. Oder halt so 1-2 mal im Jahr einen GKVler habe, der theoretisch bereit wäre, sich die Mehrleistung privat auch zu leisten.

Durch eine Bürgerversicherung würde halt niemals die besseren Leistung in den "Gesamt-GKV-Katalog" aufgenommen werden können, da die jetzt schon benötigte Mehrleistung für die bestehenden Leistungen die Mehreinnahmen durch die PKVler auffressen würde. Bzw. die Mehreinnahmen verpuffen, da durch "kreative" Arbeitsweise die Ärzte die Fehleinnahmen durch die wegfallende PKV dem GKV-System entziehen würden. Bisher hat immerhin noch keine Änderung in der Abrechnung des Gesundheitssystem jemals eine negative Auswirkung auf die Einnahmen der Ärzteschaft gehabt. Vielmehr kam es immer zu abrechnungstechnischen Anpassungen an das neue System.

Das leider typische deutsche Problem ist halt, dass wir es als so furchtbar schlimm ansehen, eine Zwei-Klassen-Medizin zu haben. Während dies für unsere ausländischen Mitbürger komplett normal und selbstverständlich ist, geht hier bei vielen der Hutkragen hoch und es ist für die Politik ein perfektes Thema um sich zu profilieren. Dabei dürfte - mit Ausnahme der Linken - realistisch keine Partei wirklich Interesse daran haben, an dem System zu rütteln. Da 1.) jeder Gesundheitspolitiker weiß, dass eine Änderung nicht umsetzbar wäre und 2.) sie ja über die Beihilfe-Reglung sonst ihre eigene Besserversorgung im dümmsten Falle ruinieren könnten.

Es wäre daher in meinen Augen viel besser, wenn wir einfach mal eine Politik hätten, die dieses Thema ehrlich an die Bürger bringt anstatt mit Pseudo-Versprechungen und schlichtweg Lügen ein falsches Bild von den Möglichkeiten eines Gesundheitswesens zu zeichnen. Gesundheit kostet einfach Geld. Je mehr du hast, desto mehr Gesundheit kannst du dir leisten. Ist so und sollte einfach mal geschluckt werden.

Und klar ist es heftig, einem 65jährigen Tumorpatienten ehrlich zu sagen: "Tut mir schrecklich leid, aber deine Behandlung würde uns jetzt 100.000 Euro kosten und die Erfolgsquote liegt bei 50 %. Dies ist es uns leider als Gesellschaft nicht mehr wert. Regel bitte deine Angelegenheiten oder schau, dass du das Geld selbst auftreibst!" - Unsere deutsche Lösung finde ich aber nicht besser, dem GKV-Patienten einfach zu sagen: "Es tut mir leid, es ist leider nicht mehr behandelbar!", nur um einen Raum weiter dem PKV-Patienten mit dem gleichen Befund zu sagen: "Okay, sie haben zwar nur einen 50:50-Chance, aber wir würden gerne eine AK-Therapie bei Ihnen versuchen." Zumal es durchaus ein paar Patienten geben wird, die gerne die 100.000 Euro aus der eigenen Tasche bezahlen würden, für die geringe Chance zu überleben. Im Regelfall aber als GKVler diesbezüglich gar nicht erst aufgeklärt werden, da "nicht Richtlinienkonform".


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