Thema:
Re:videokonf. mit Wieler und anderen über Sachsen flat
Autor: token
Datum:18.11.21 12:57
Antwort auf:Re:videokonf. mit Wieler und anderen über Sachsen von Matze

>Den Vergleich finde ich auf so vielen Ebenen schrecklich. Der Bürger ist kein Kind, das vom vermeintlich wohlwollenden Staat beschützt werden muss und für die Freiheiten dann irgendeine Gegenleistung schuldet. Bei diesem Staatsverständnis dreht sich mir der Magen rum.

So meine ich das nicht.
Ich sehe keine klare Trennschärfe zwischen Staat und Gesellschaft. In einer Demokratie ist das ein Team. Es gibt somit Freiheiten aber eben auch Aufgaben.
Und letzteres ist der springende Punkt. Ich will in meiner Familie auch keine Diktatur sondern ein Team auf Augenhöhe. Aber ich kann auch nicht die Augen davor verschließen dass das Team nicht funktioniert wenn ich meiner Tochter Priviligien und damit auch Verantwortung gebe, sie aber nur ihre Privilegien ausnutzt ohne dabei der für die Privilegien notwendigen Verantwortung gerecht zu werden.

Natürlich ist so ein Missverhältnis im Mikrokosmos Familie einfacher zu erkennen als im Makrokosmos eines Staates, aber das Grundsatzproblem warum da was schief geht sehe ich dabei gleich gelagert.
Und auch die Politik hat eines nicht versäumt, nämlich vom Start der Pandemie weg immer wieder zu betonen dass es nicht ohne uns geht, dass es das Verhalten jedes einzelnen Bürgers braucht um diese Krise zu bewältigen. Da kann man gerne paar alte  Merkelansprachen herausholen, ein Versprechen "wir machen das für euch weg" hat es nie gegeben und es wäre auch Blödsinn gewesen ein solches zu geben. Es war vom Start weg klar, wenn das hier funktionieren soll, dann müssen alle mitspielen.
Und wie wir nun seit geraumer Zeit sehen, spielt die deutsche Gesellschaft beim Thema Impfung nicht in "auch nur annähernd" ausreichendem Maße mit.
Auch wir alle tragen eine Mitverantwortung für die aktuelle Situation.

Wie man dann mit sowas umgeht ist streitbar. Was nicht streitbar ist, ist, dass so ein Entwurf wo zu große Teile des Teams nicht mitspielen nicht funktioniert und scheitert. Das ist einfach nur eine nüchterne Feststellung beim Blick auf die Sachlage der sich aktuell auch bestätigt.

>Zumal die meisten Leute sehr wohl mitziehen. Mehr als 2/3 sind geimpft und laut Mobilfunkdaten schränken viele schon von sich aus seit ca. Mitte September ihre Kontakte wieder ein.
>

Das ist aber wurscht. Weil es hier nicht um Beschlüsse geht für die es einfache Mehrheiten bräuchte, sondern um Naturgewalten und mathematische Fakten bei denen gewisse Rahmenbedingungen geschaffen werden müssen, damit ein Konzept aufgeht. Wir sind hier nicht auf dem Basar und handeln mit einem Virus eine Quote aus, bei welcher es dann aufhört uns auf den Sack zu gehen. Es gibt letzte Preis, und wie dieser ist, das bestimmt einzig und allein die Naturgewalt vor der man steht. Diesen Preis muss man zahlen, in der einen (Impfung) oder in der anderen (Infektion) Währung, aber der Preis steht fest.

Wenn ich beruflich für Projekte verantwortlich bin die Probleme lösen sollen und eine Deadline haben, dann gibt es initial natürlich Sondierungsphasen in denen alle aufgefordert sind miteinander zu streiten und zu kritteln und zu meckern und jeder einmal ausführlich erklären darf, warum etwas nicht geht.
Und dann gibt es aber immer auch einen Tag X wo ich dann sage, genug gelabert, Karten liegen auf dem Tisch, wir verlassen diesen Raum nicht ohne Entscheidungen zu treffen, und zwar Entscheidungen die zwei Dinge sicher stellen.
1. Wir lösen das Problem.
2. Wir halten die Deadline.

Und es interessiert mich nicht wie schlecht und angreifbar eine Lösung ist, weil die schlechteste funktionierende Lösung immer noch besser ist als gar keine Lösung oder eine Lösung die zwar nicht hässlich wäre, aber auch kein ausreichendes Lösungsangebot mitbringt. Und wenn wir dann entschieden haben, dann hat auch jeder mitentschieden und hält seinen Kopf für diese Lösung hin. Wer sagt, da spiele ich nicht mit, muss eine bessere Alternative anbieten. Wenn er diese nicht hat, sind mir problematische Implikationen schnuppe. Weil die hat hier niemand übersehen, aber es bringt nichts über Probleme zu jammern wenn man keine besseren und mehrheitsfähigen Ideen anbieten kann.

Und genau das ist im Sommer nicht passiert. Man hat ein Vorgehensmodell für den Winter in Angriff genommen bei dem schon im Sommer ersichtlich war dass das keine funktionierende Lösung sein wird. Statt die Realität zu akzeptieren und sich seriös mit dieser auseinander zu setzen, hat man sich in Wunschdenken geflüchtet und selbst in die Tasche gelogen.
Nicht. Zum. Ersten. Mal.
Und auch hier im Forum war es dann nicht gern gesehen, wenn man zum damaligen Zeitpunkt gesagt hat, das geht sich nicht aus.

Und was wir sehen ist die Konsequenz.
Mit dieser Konsequenz können wir leben. Aber es ist anstrengend, es kostet Menschenleben, es kostet Milliarden, und wir alle kriegen zunehmend Koller und werden wahnsinnig. Und da muss man sich fragen, wollen wir das weiter aushalten oder wollen wir das ändern?

Weil, wenn wir das ändern möchten müssen wir Entscheidungen treffen die funktionieren. Und die Lösung die wir hätten, die ist halt ziemlich hässlich weil sie so wie wir uns als Gesellschaft verhalten einen Freiheitseingriff nötig machen würde, bei dem sich ja auch mir der Magen umdrehen würde.

Aber es wäre eine Lösung die mathematisch funktioniert. Wer was ändern möchte, solch eine Lösung aber nicht für tragbar hält, soll einen Vorschlag machen der besser ist UND funktioniert. Funktioniert! Und sich nicht in die Tasche lügen dass er vielleicht funktionieren könnte wenn drölfzig Unwahrscheinlichkeiten eintreten und zusätzlich ein nicht erwartbares Wunder geschieht. Oder eben den Irrsinn ertragen und aufhören zu schimpfen und ständig mit dem Finger auf andere zu zeigen. Diese Selbstzerfleischung hilft doch nicht und macht alles nur noch schlimmer und anstrengender.
Das ist meine Meinung.

>Für mich ist die Politik hauptverantwortlich. Wenn man im Wahlkampf eine Impfpflicht und erneute Lockdowns ausschließt und sich nicht so viele impfen lassen wie erhofft, dann muss man sich was einfallen lassen. Und sich nicht auch noch, wenn sich schon abzeichnet dass in Kürze die Kacke am dampfen ist, mit der Aufhebung der epidemischen Lage weiterer Handlungsmöglichkeiten berauben.
>

Ich will dich nicht provozieren, ehrlich nicht, aber ich muss mal eine Sache fragen. Ich verstehe deinen Standpunkt so, dass du nicht bereit wärest eine Impfpflicht mitzutragen. Der Staat hat keine solche ausgesprochen. Ist mit dir in diesem Sachverhalt also zumindest auf Linie. Ist mein Verständnis diesbezüglich richtig?
Weil wenn ja, was ist die Alternative?
Die auch funktioniert hätte und auch die Deadline gehalten hätte?

Wenn man sagt die Politik ist verantwortlich, aber nicht bereit ist eine mögliche Lösung zu akzeptieren, aber auch keine Alternative hat, dann sage ich, da ist nicht mehr die Politik allein verantwortlich. Denn die Politik muss die Interessen des Bürgers wahren. Und wenn dieser sagt, das darfst du nicht tun lieber Staat, damit bin ich nicht einverstanden, dann ist auch jeder Einzelne der so denkt mitverantwortlich für die aktuelle Lage. Denn es sind ja seine Interessen die da von der Politik gewahrt werden. Und das ist ja auch das Motiv der Politik, diese Interessen zu wahren.

Und damit sind wir wieder am Ausgangspunkt. Freiheit heißt nicht, ich kann denken und machen was ich will und verantwortlich sind dann immer andere wenn etwas schief geht. Freiheit heißt, alles was ich tue und denke hat Konsequenzen im Kleinen und in Summe aller Bürger auch Konsequenzen im Großen. Was "Die da oben" tun einschließlich der daraus folgenden Konsequenzen ist auch immer ein kleines Spiegelbild davon was "Wir hier unten" abziehen. Oder würdest du sagen, wir verhalten uns gesamtgesellschaftlich vernünftig, nur die Politik ist unvernünftig?
Ich finde im Hinblick auf gesellschaftliches Versagen und politisches Versagen gibt man sich nicht viel.

>Von einer generellen Impfpflicht (also nicht nur für bestimmte Berufe) halte ich nach wie vor nicht viel. Ich bin selbst manchmal etwas hypochondrisch veranlagt und kann mir ausmalen, wie sich jemand fühlen wird, der eine Scheißangst vor so einer Impfung hat und sie dann gegen seinen Willen verpasst bekommt. Von mir aus gerne eine Pflichtberatung für jeden oder sowas aber weiter würde ich nicht gehen wollen, wenn jemand um's Verrecken nicht will.

Eine proaktive Konfrontation mit der Impfverweigerung auf einem komplett anderen Niveau als bislang halte ich für das Mindeste. Aber ich bin auch überzeugt davon, wir werden das was an Quote fehlt allein mit dieser nicht mehr heben können. Es wäre too little und too late. Und Infektionsparty funktioniert aus logistischen Gründen bis auf weiteres auch nicht, das wird noch viel Zeit und Leid in Anspruch nehmen bis man auf diesem Weg in einer gewohnten Normalität ankommt. Entsprechend würde ich auch da sagen, da lügt man sich in die Tasche wenn man meint, solche Kompromisse wie Briefe an die Bevölkerung oder niederschwellige Angebote könnten zu einer zeitigen Problemlösung führen.  

Könnte ich aber auch mit leben, dann wüsste man auch woran man ist und dann könnte man auch damit aufhören rumzustöhnen und die Tage zählen bis die Naturimpfung in ausreichendem Maße aufgebaut wurde. Zum Preis eines Scherbenhaufens den man dann im Anschluss aufkehrt. Und damit dann auch Werten treu bleiben die genau von denjenigen die sie für sich in Anspruch nehmen mit Füßen getreten werden.
Ist dann so.


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