Thema:
Re:Konsequenzen von Social Distancing flat
Autor: Pezking
Datum:15.04.21 14:31
Antwort auf:Re:Konsequenzen von Social Distancing von Phil Gates

>>>Wie die meisten hier im Forum (vermutlich), kann ich sehr gut Zeit allein verbringen. Zocken, Glotzen, Lesen usw. Mir fällt und fiel Social Distancing nie schwer.
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>>>Ich konnte aufgrund des Jobs nie von Zuhause arbeiten, sehe täglich relativ viele Leute, mache dementsprechend Smalltalk usw.
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>>>Online habe ich mich nie verabredet, ich hasse es, macht mich regelrecht fertig. Wenn ich Leute getroffen habe, und so mach ich es immer noch, gehe ich auf einen Spaziergang raus.
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>>>So langsam bekomme ich ein wenig Schiss, weil ich merke, wie mich Treffen mit mir eigentlich nahe stehenden Leuten anstrengen. Ich bin fertig wie nach zwei Stunden Fußball, wenn ich mal 30 Minuten mit meiner Mutter telefoniere. Wenn ich Leute zum Spazieren treffe, bin ich nach zwei Stunden heilfroh, dass es vorbei ist. Zuhören, erzählen, alles sau anstrengend.
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>>>Jetzt bin ich seit knapp zwei Wochen zwei Mal geimpft und wecke Begehrlichkeiten. Insb. die Familie lässt anklingen, dass das ja ganz neue Freiheiten bedeutet. Gestern fragte ein Freund, ob er vorbei kommen könne, er ist ein Mal geimpft, das gehe doch klar. Ich hab erst zu- und dann wieder abgesagt, weil ich mich einfach nicht wohl damit fühle.
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>>>Hab ich das Distancing jetzt soo drin, dass ich erst wieder lernen muss, "Nähe" zuzulassen?
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>>>Auch wenn ich es vollkommen richtig finde, dass ich Indoor-Treffen nicht will, frage ich mich tatsächlich, wie es wieder werden soll.
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>>Ich glaube zu wissen, was Du meinst - habe es bei mir aber anders hergeleitet.
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>>Ja, auch ich genieße eigentlich Gesellschaft (wenn ich sie mag), kann aber nichts daran ändern, dass menschliche Interaktion auf mich wie ein Energievampir wirkt. Das ist einfach so. Richtig regenerieren kann ich mich nur alleine.
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>>Ich finde jede Geburtstagsfeier 1.000x anstrengender als einen Konzert- oder Stadionbesuch. Weil ich bei letzteren zwar sehr viele Leute um mich herum habe - ich aber nicht permanent mit diesen interagieren muss, sondern meine Aufmerksamkeit auf die Bühne oder den Rasen richte.
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>>Während der Pandemie ist es nun so, dass ich dank Homeoffice für mich und meine Frau so gut wie nie mal alleine bin. Und das laugt mich zusehends aus; diese Schlussfolgerung habe ich schon im letzten Spätsommer gezogen.
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>>Wir kommen gut miteinander klar, wir streiten uns nicht, sind uns grün - alles gut. Aber in den 19 Jahren des Zusammenlebens vor der Pandemie gab es jede Woche eigentlich immer mindestens 16 Stunden, an denen sich ihre Arbeitszeit (extern) mit meiner Freizeit (daheim) überschnitten hat. Dazu hat sie im Schnitt noch an ein, zwei Abenden etwas alleine mit ihrer Schwester oder Freundinnen unternommen, und so konnte ich jede Woche mindestens 20 Stunden in den eigenen vier Wänden alleine locker durch die Hose atmen.
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>>Jetzt trifft sie sich jede Woche maximal 2x2 Stunden mit Schwester oder einer Freundin zu einem Spaziergang mit Hund; mehr als vier Stunden pro Woche bin ich nie mehr allein.
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>>Und wie gesagt: Wir gehen uns nie auf die Nerven. Aber das Alleinsein kommt mir einfach zu kurz. Ich habe die Pandemie gebraucht, um zu erkennen, wie gesund und wichtig diese Balance in meinem Leben davor eigentlich war.
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>>Ich konnte auch schon während der Pandemie wiederholt die Probe aufs Exempel machen, denn meine Frau hat bislang 3x für längere Zeit ihre Eltern in Sachsen-Anhalt besucht, mit vorheriger Selbstquarantäne und allem Pipapo - und dann eben gleich immer für eine bis drei Wochen. Ich habe sie zwar vermisst, ich habe unsere Telefonate während dieser Zeit genossen - aber trotzdem war das für mich jeweils wahnsinnig erholsam. Selbst wenn ich in dieser Zeit gar keinen Urlaub hatte und normal arbeiten musste.
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>>Kurz: Die Pandemie hat dafür gesorgt, dass ich Alone-Time plötzlich als Quality-Time #1 für mich erachte.
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>>Mittlerweile ist die Rückkehr zur vorherigen Lebensbalance in dieser Hinsicht eindeutig das, worauf ich mich für die Zeit nach der Pandemie am meisten freue. Gefolgt von Stadion und Konzerten. Und kein Stück freue ich mich auf Geburtstagsfeiern. ;-)
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>Total spannend, wie ähnlich und doch unterschiedlich Eure und meine Erfahrungen sind. Ich bin da nahe bei Dir, Pezking: Ich mag Gesellschaft, wenn ich sie mag. Das sind meine 3-4 besten Freunde, einige Kollegen (bei denen es nicht so ins Private geht, aber einfach Schwätzchen beim Kaffee auf dem Kanzleibalkon o.ä.). Anonyität in einer Kneipe oder einem Club hat mir auch nie was ausgemacht. Aber Hochzeiten (gerade meine eigene; Katastrophe!), Geburtstage usw. schlauchen mich unfassbar, ich bin nach 2h spätestens im Panic Mode, während meine Frau es genießt, unter Leuten zu sein. Fußballtraining mit dem Großen: Stress pur! Für ihn ist Fußball ein Spiel, er kickt halt rum, tobt sich aus, aber ein großer Ballkünstler wird er vermutlich ebensowenig wie ich. Dumm nur, dass im Verein auch Eiskunstlaufeltern sind, die ihren Sohn als künftigen Messi sehen und das alles furchtbar ernst nehmen. Wenn mein Sohn mal den Ball vertändelt, drehen die am Rad und fangen an meinen Sohn zu erziehen oder mir Vorwürfe zu machen, ich solle meinem Sohn mal beibringen richtig zu passen (wir reden von damals 4-5-jährigen). Finde ich anmaßend, übergriffig und unverschämt, stresst mich und wird dazu führen, dass mein Sohn vermutlich nie wieder einen Fußballplatz betritt. Solche Menschen hasse ich und ich bin froh, diese Art von Gesellschaft derzeit nicht ertragen zu müssen. Spielt er halt Golf oder Tennis (kann ich auch noch nicht richtig, aber das wäre ja etwas, was ich mit ihm allein spielen kann). Mannschaftssportarten fand ich schon als Kind scheiße, jedenfalls die aktive Teilnahme daran.
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>Aber auch in puncto Familie kann ich absolut nachvollziehen was Du meinst, Pezking. Wir hatten sonst recht klare Strukturen, Kind 1 (2 gab es vor Corona noch nicht) im Kindergarten, Mama und Papa arbeiten, abends waren alle froh um die 2-3 Stunden gemeinsam, am Wochenende hat man Ausflüge usw. gemacht. Jetzt: Man sitzt sich den ganzen Tag auf der Pelle, abends ist man genauso geschlaucht wie wenn man im Office war, aber man freut sich (leider) nicht auf den Abend, sondern will mal seine Ruhe. Bei uns (im Unterschied zu Dir haben wir halt 2 Kinder, die auch noch relativ spät schlafen gehen) führt das schon teilweise zu Konflikten. Wir sind halt hier eiskalt von einem Extrem ins andere geworfen worden. Ich denke, nach der Pandemie werde ich schlicht nicht mehr zu jeder Hochzeit o.ä. mitkommen, Fuppes-Training wird es nicht mehr geben, tut mir für den Bub leid, aber dem Spießrutenlauf setze ich mich nicht mehr aus, andererseits werde ich versuchen, 1-2 Tage Home Office pro Woche zu machen. Also irgendwo ein Mittelweg zwischen vorher und jetzt.


Ja, kann ich alles gut nachvollziehen. Bzw. kann ich mir gut ausmalen, dass man mit eigenem Nachwuchs noch viel mehr Zwängen und Gelegenheiten unterliegt, die einem mit unserem Naturell den letzten Nerv rauben können.

Und ich denke auch: Es ist gesund, bei sozialen Anlässen so wählerisch zu sein, wie man das für sich jeweils als nötig erachtet. Man ist ja nun auch in einem Alter, in dem man sich in seiner Freizeit auch wirklich und wahrhaftig mal regenerieren muss. Da ist ein Familienfeiernwochenende, das einen mehr stresst als ein Monat Arbeit, natürlich pures Gift.


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