Thema:
Re:Woran scheitern eigentlich die Zahlungen für Unternehmer flat
Autor: Zinkhal
Datum:11.02.21 12:54
Antwort auf:Woran scheitern eigentlich die Zahlungen für Unternehmer von Boabdil

>Ich verstehe es noch nicht so wirklich. Und irgendwie ist das ein absoluter Dunstkreis. In den Medien wird zwar berichtet, dass gerade mal 12% der Hilfen gezahlt wurden, aber woran liegt es da jetzt konkret? Unterbesetzt? Überforderung? Wahltaktisches Geschacher zwischen Scholz und Altmaier? Fehlende Digitalisierung? Bürokratische Hürden?
>
>Ein Land wie Deutschland schafft es nicht (trotz verprochener Bazooka) selbst die Novemberhilfen an die selbständigen auszubezahlen? Eine absolute Bankrotterklärung im sprichwörtlichen Sinne. Wir sind mittlerweile im Februar!


Die November- bzw. Dezemberhilfe wird vom BMWi bearbeitet. Das BMWi erteilt nach einer sachlichen Prüfung die Freigabe. Diese geht aber erst an die zuständige Auszahlungsstellen (bei uns in NRW sind das oftmals die Bezirksregierungen). Diese geben dann im Anschluss die Zahlung frei.

Die Abschlagszahlung wird im Regelfall EDV-gestützt "vorgeprüft" und dann automatisch durch das BMWi für die Auszahlungsstelle freigeben. Das geht auch noch halbwegs zügig, jedoch sind die Abschläge als solche viel zu gering.

Die Überbrückungshilfe hingegen wurde direkt und vollumfänglich von der zuständigen Bezirksregierung bearbeitet, was auch insgesamt deutlich flotter ablief.

Ich hatte am 25.01.2021 eine Mail an einen Bundestagsabgeordneten geschrieben und mich mal etwas ausgekotzt. Ja, die Mail ist nicht immer sachlich; habe es mir mal einfach von der Seele geschrieben. Die Videokonferenz im Vorfeld war sehr informativ, hat jedoch die offensichtlichen Schwächen (Bürokratie und Föderalismus) deutlich aufgezeigt.


Sehr geehrter Herr XXX,

wir bedanken uns für das Feedbackgespräch vom 21.01.2021 bezüglich der „Tücken“ der staatlichen Beihilfeprogramme. Wie besprochen, möchten wir Ihnen die aus unserer Sicht wesentlichen Punkte zusammenfassen:


Fehlende Rechts- und Planungssicherheit (am Beispiel der Überbrückungshilfe der Phase II)

Die Überbrückungshilfe der Phase II führt im Wesentlichen das Konzept der Phase I fort. Lt. Bund hatten viele Unternehmen die (kumulierte) Höchstgrenze von 1 Mio. Euro im Rahmen der „Kleinbeihilfen 2020“ sowie der „De-minimis-Verordnung“ bereits überschritten. Aus diesem Grund wurde die Bundesregelung „Fixkostenhilfe 2020“ verabschiedet. Unter diese Beihilferegelung fällt auch die Überbrückungshilfe der Phase II. Die Europäische Kommission hat in ihrer Pressemitteilung vom 20.11.2020 entsprechend Stellung bezogen ([https://ec.europa.eu/commission/presscorner/detail/de/IP_20_2180]). Der rechtliche Rahmen bezüglich ungedeckter Fixkosten war sogar spätestens am 13.10.2020 bekannt ([https://ec.europa.eu/commission/presscorner/detail/de/ip_20_1872]). Bis zur Neufassung der offiziellen FAQs vom BMWi und BMF am 07.01.2021 war diesem Umstand lediglich sehr vage im Rahmen einer Fußnote(!) Rechnung getragen worden. Auch die oftmals angesprochene und aktualisierte Fußnote vom 05.12.2020 brachte keine abschießende Klarheit. Die daraus zu ziehenden Rechtsfolgen waren nicht offensichtlich. Erst als die entsprechenden Berufsstände Mitte Dezember auf diesen Umstand hinwiesen, kam Bewegung in die Sache.

Es ist für uns absolut unverständlich, warum die entsprechenden Ministerien nicht unmittelbar eine entsprechende Stellungnahme veröffentlicht haben. Die Schlagwörter „ungedeckte Fixkosten“ und „Verlustberechnung“ hätten zwingend und zeitnah fallen müssen. Wir müssen gegenwärtig leider davon ausgehen, dass ein Großteil unserer Mandaten ganz oder teilweise bereits sicher geglaubte Überbrückungshilfen der Phase II zurückzahlen müssen. Im Worst-Case-Fall bleiben diese Mandanten sogar auf unseren Kosten hängen. Die Überbrückungshilfe der Phase II hätte in dieser Konstellation sogar eine zusätzliche wirtschaftliche Belastung herbeigeführt, die bei klarer und frühzeitiger Kommunikation seitens der Ministerien absolut vermeidbar gewesen wäre.

Abschließend stellt sich auch die Frage, warum die Überbrückungshilfe der Phase II nicht in zwei Programme gesplittet wurde (für Klein- und Großunternehmen) und beihilferechtlich unter den „Kleinbeihilfen 2020“ und „De-minimis-Verordnung“ erfasst wurde. Hier scheint es keine Beschränkung auf ungedeckte Fixkosten zu geben. Gleiches hat der Bund übrigens bei der „November- und Dezemberhilfe“ respektive „November- und Dezemberhilfe Plus“ getan.

Anbei ein Auszug aus dem FAQ zu Beihilferegelungen der BStBK vom 14.01.2021:


Fehlende Akzeptanz (am Beispiel der November- und Dezemberhilfe)

Die zahlreichen Förderprogramme unterscheiden sich in ihrer Berechnung zum Teil gravierend. Es besteht kein Zweifel daran, dass insbesondere die Gastronomie- und Hotellerie-Branche besonders stark unter der Pandemie gelitten hat und weiterhin leidet. Es gibt bis heute keine plausible Erklärung dafür, warum im Rahmen der November- und Dezemberhilfe Förderungen von bis zu 75 % auf Grundlage des November- respektive Dezember-Umsatzes des Vorjahres getätigt werden. Insbesondere unter dem Aspekt, dass das BMF in diesem Prozess eingebunden war. Das BMF veröffentlicht regelmäßig Richtsätze aufgeteilt nach Branchen. An dieser Stelle möchten wir auf die der Gast-, Speise- und Schankwirtschaft verweisen: [https://www.bundesfinanzministerium.de/Content/DE/Standardartikel/Themen/Steuern/Weitere_Steuerthemen/Betriebspruefung/Richtsatzsammlung_Pauschbetraege/richtsatzsammlung-pauschbetraege-fuer-unentgeltliche-wertabgaben-anlage055.html]. Was war also die Grundlage für die Entscheidung, dass es 75 % sein müssten?! Auf der einen Seite erhalten viele Unternehmen keine oder nur geringfügige Förderungen, jedoch wird im Rahmen der November- und Dezemberhilfe „die Kohle nur so rausgehauen“. Ferner stellt sich die Frage, wie dies abschließend unter dem Aspekt der Überkompensation zu beurteilen sein wird. Wir ahnen Böses…

Der Bund scheint sich der Problematik hinsichtlich des Volumens dieser Maßnahmen bewusst zu sein. Nicht umsonst hat man in den offiziellen FAQs zur Novemberhilfe nur die Unternehmen als antragsberechtigt  eingestuft, die auf Grundlage des Beschlusses von Bund und Länder vom 28.10.2020 unter die Schließungsverordnung fallen. Für die Dezemberhilfen gelten darüber hinaus die Verordnungen vom 25.11.2020 sowie 02.12.2020 (lediglich Verlängerung der Schließungsverordnung der bereits betroffenen Branchen). Alle andere Branchen (Einzelhandel, Friseure, etc.), die von der Verordnung des 13.12.2020 betroffen sind, sind folglich nicht antragsberechtigt. Hierfür ist kein sachlicher Grund ersichtlich. Es darf vermutet werden, dass eine Ausweitung der Antragsberechtigten zu einem haushaltstechnischen Debakel geführt hätte.

Die schleppenden Auszahlung und die Frage der Sinnhaftigkeit, dass die zentralen Bearbeitung durch das BMWi erfolgt, kommt erschwerend hinzu.


Fehlende Unterstützung für Soloselbständige (am Beispiel der Neustarthilfe)

Wir als mittelständische Kanzlei betreuen viele Soloselbstständige und Kleinstunternehmen. Diesen Mandantenkreis eint, dass sie über keine nennenswerten Fixkosten verfügen. Gehören sie zusätzlich nicht zu einer der antragsberechtigten Branchen für die November- und Dezemberhilfen, gehen diese Mandanten nahezu leer aus. Der Staat versucht nunmehr über die sog. „Neustarthilfe“ Abhilfe zu schaffen. Die Neustarthilfe ist auf maximal 7.500 Euro für einen Förderzeitraum von sechs Monaten (Januar bis Juni 2021) gedeckelt. Es ist ein Anfang, keine Frage. Letztendlich wird diese Förderung jedoch nicht ausreichen, um die wirtschaftlichen Folgen der Pandemie entscheidend abzumildern. Viele nicht geförderte variable Kosten sowie Fixkosten fallen unverändert an. Diese Unternehmen sind fortlaufend in der Verlustzone und ein Ende ist nicht in Sicht. 7.500 Euro sind daher nur ein Tropfen auf dem heißen Stein. Von privaten Zahlungsverpflichtungen mal ganz abgesehen. Hierzu noch der Hinweis, dass der vermeintlich vereinfachte Zugang zu Grundsicherungsleistungen in der Praxis oftmals nicht umgesetzt wurde. Aus unserer Erfahrungen heraus werden diese Leistungen nach dem bekannten Schema geprüft und oftmals (aufgrund der hohen bürokratischen Hürden) verwehrt. Zieht man nun den Querverweis zur November- und Dezemberhilfe, gehen einem die Argumente aus, diese Unterschiede dem Mandanten plausibel erklären zu können. Der Unmut nimmt zu und die Akzeptanz leidet merklich unter dieser Ungleichbehandlung. Zumal verschiedenste Stellen seit langer Zeit auf die unzureichende Hilfe für Soloselbstständige und Kleinstunternehmen hingewiesen haben. Hier drängt sich der Verdacht auf, dass der Bund einzelne Branchen bevorzugt behandelt.

In Verbindung mit den zahlreichen Lockerungen im Insolvenzrecht (Aussetzung Insolvenzantragspflicht, Verkürzung Wohlverhaltensphase Privatinsolvenz etc.) ist zu erwarten, dass gerade Soloselbstständige und Kleinstunternehmen die geordnete Insolvenz allein aus wirtschaftlichen Überlegungen in Erwägung ziehen werden. Die Folgen für die gesamtwirtschaftliche Situation in Deutschland dürften nicht geringfügig sein (Stichwort Kettenreaktion). Ein „bisschen“ Förderung im Rahmen der „Neustarthilfe“ wird dieses Szenario vermutlich leider nicht ausschließen können.


Bürokratiemonster und unbestimmte Rechtsbegriffe

Wir haben uns über Jahre ein regelrechtes Bürokratiemonster in Deutschland erschaffen. Wir haben sogar das Kunststück vollbracht, dies in einem Gesetz (zum Bürokratieabbau) zu regeln! Dieses Bürokratiemonster fällt uns in Zeiten der Pandemie nunmehr endgültig auf den Kopf. Schnelle und unbürokratische Hilfen waren und sind nicht umsetzbar in diesem Land. Punkt. Sämtliche Detailfragen der staatlichen Förderprogramme sind nicht in Gesetzen, sondern in Verordnungen und Erlassen geregelt. Rechtsbegriffe sind nicht abschließend definiert. Jedes Förderprogramm führt neue Begrifflichkeiten und/oder abweichende Definitionen von z.B. bereits vermeintlichen final definierten Bemessungsgrundlagen und Eingangsvoraussetzungen ein. Der Überblick geht zunehmend verloren. Dies hätte bei einer einheitlichen Vorgehensweise verhindert werden können. Allein die Definition der verbunden Unternehmen ist in vielen Fällen eine Sache der Unmöglichkeit. Für die Antragsstellung ist dieser Punkt jedoch essentiell. Es hapert in der Praxis oftmals schon beim ersten Schritt. Neben zahlreichen Haftungsfragen für unseren Berufsstand, wiegt jedoch der Umstand deutlich schwerer, dass betroffene Unternehmen massiv unter dieser Unsicherheit leiden.

Die Anträge als solche sind extrem zeitaufwendig und dennoch mit vielen Unsicherheiten verbunden. Das Bestreben des Staates, jeder Eventualität Rechnung zu tragen und Betrug auf ein Minimum zu reduzieren, ist schichtweg nicht möglich. Ein gesunder Mittelweg – aus notwendiger Bürokratie und Risikoabwägung - wäre wünschenswert gewesen.


Soforthilfe NRW (Nachbetrachtung)

Aufgrund der dynamischen und neuartigen Situation mit einer Pandemie haben wir durchaus Verständnis für die Tücken im Rahmen der Umsetzung des ersten staatlichen Beihilfeprogramms. Die Soforthilfe war als unbürokratische und schnell abrufbare Liquiditätshilfe konzipiert. Insbesondere das Wirtschaftsministerium NRW hat hier schwerwiegende Fehler begangen. So löblich der (anfängliche) unbürokratische Ansatz dem Grunde nach war, umso unverständlicher erschien es, dass zu Beginn des Antragsverfahrens keinerlei Authentifizierungsschranken eingebaut wurden. Es wäre ein Leichtes gewesen, grundlegende Daten mit der zuständigen Finanzverwaltung abzugleichen (Steuernummer, Bankverbindung, handelt es sich um ein aktives Unternehmen? etc.). Zu Beginn des Verfahrens war es einem jeden möglich, die Daten eines beliebigen Unternehmens (auch ruhende!) zu verwenden und auf dieser Grundlage die Soforthilfe zu beantragen und letztendlich auch ausgezahlt zu bekommen. Dem Betrug war somit Tür und Tor geöffnet. Nach der gegenwärtigen Schätzung (lt. Presse) beträgt das aktuelle Betrugsvolumen allein in NRW um die 30 Mio. Euro. Andere Bundesländer (u.a. Bremen, Hamburg, Mecklenburg-Vorpommern) hatten von Anfang an den Liquiditätsengpass wesentlich deutlicher definiert und verlangten entsprechende Nachweise vor(!) Auszahlung. Im Nachgang muss vermutet werden, dass sich das Wirtschaftsministerium NRW über die eigentliche Intention der Regierung im Unklaren war.

Infolgedessen wurde die Soforthilfe im weiteren Verlauf in ein wahres Bürokratiemonster verwandelt. Die ursprüngliche Intention wurde ad absurdum geführt. Die FAQs wurden fortlaufend aktualisiert. Anträge stellten sich im Nachgang(!) auf einmal als unrichtig heraus. Auch das grundlegende Prinzip der Förderung wurde fortlaufend (zum Teil grundlegend) verändert. Nach unserer Schätzung müssen mind. 90 % unserer Mandanten die Soforthilfe vollständig zurückzahlen. Ähnlich wie bei der Überbrückungshilfe der Phase II war dieses Förderprogramm sogar ein Minusgeschäft für unsere Mandanten.


Für Rückfragen und einen weitergehenden Austausch stehen wir Ihnen selbstverständlich gerne zur Verfügung.

Bleiben Sie gesund!


< antworten >