Thema:
Re:Begriff "Empathie" flat
Autor: Droog
Datum:31.12.20 18:51
Antwort auf:Re:Begriff "Empathie" von Atlan

>Da hast du Recht. Empathie bedeutet nicht, mit Leuten mitzufühlen, die einem ähnlich sind oder die ein Schicksal ereilt, das einen auch ereilen könnte. Beziehungsweise ist das die primitivste Form von Empathie, die praktisch jeder Mensch besitzt (bis auf extrem wenige pathologische Psychopathen, die aber gesellschaftlich keine Relevanz haben).


Korrekt. Soziopathen besitzen allerdings hingegen durchaus diese Fähigkeit und die sind deutlich weiter verbreitet als Psychopathen. In jeder Schulklasse gibt es mindestens 1-2 echte "Bullys" (und ich rede hier nicht zwingend von Raufbolden).

Diese Leute schaffen es sich in andere hineinzuversetzen und deren Schwächen zu erkennen und verwenden diese gegen eben diese bzw terrorisieren sie emotional.

Empathie zu empfinden bedeutet halt nicht nur, dass man diese zum Guten nutzt.



>Wirkliche Empathie bedeutet hingegen, sich auch in jemanden hineinversetzen zu können, der einem maximal fremd ist und dessen Meinung man absolut nicht teilt, ja vielleicht sogar abgrundtief verachtet (einschließlich Nazis und Kinderschändern, so krass dies für manche klingen mag). Dessen Beweggründe angesichts seines Lebensweges und seiner Umstände dann aber trotzdem nachFÜHLEN zu können (das bedeutet nicht rechtfertigen!) anstatt ihm einfach die Empathie abzusprechen (oder sie schlicht mit Unmenschlichkeit, Boshaftigkeit, Dummheit oder Egoismus zu erklären; Stichwort "Dehumanisierung" des Gegners) erfordert einen hohen Grad an Empathie.
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>Für sich und sein Handeln Empathie in Anspruch zu nehmen und sie Andersdenkenen abzusprechen (oder sie nur mit negativen Charaktereigenschaften zu erklären) ist hingegen ein Zeichen für einen Mangel an Empathie. Diejenigen, die dies tun, halten sich dann aber nicht selten für besonders mitfühlend und empathisch (z.B. der Stammtisch, der nach Todesstrafe schreit und nicht fassen kann, wie jemand so "unempathisch" sein kann, den Täter nicht gleich kastrieren zu wollen, stattdessen auf dessen eigenen oftmals leidvollen Lebensweg hinweist, dessentwegen er der professionellen Hilfe bedürfe, statt des Galgens).
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>On Topic: Der Corona-Maßnahmen-Skeptiker nimmt für sich genau so viel Empathie und Mitgefühl in Anspruch wie der Maßnahmen-Befürworter, weil seine Meinung ja selbstverständlich (zumindest empfindet er so) nicht auf Dummheit, Falschinformationen oder Egoismus beruht, sondern beispielsweise auf der Überzeugung, dass die Maßnahmen und ihre Folgen (Weltwirtschaftskrise) am Ende mehr Menschenleben verkürzen und kosten als das Virus an sich. Oder der erschütternde Pleiten und konkrete Existenznöte in seinem Umfeld sieht aber bisher noch kein Corona-Opfer kennt oder nur solche, die nach ein paar Tagen wieder fit waren. In seinen Augen erscheinen also die Maßnahmen-Befürworter, die irgendwelchen Fallzahlen scheinbar (!) alles andere unterordnen, als kurzsichtig, wenig mitfühlend und empathielos. Er handelt aus gutem Willen und wähnt die anderen im Bösen.
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>Und so beschmeißen sich alle gegenseitig mit moralistischem Dreck und drehen sich im Kreis, können nicht fassen, dass die jeweils anderen so "blind" sind. Und können es sich dann immer nur mit einem vermeintlichen Arschlochtum des Gegenübers erklären. Sonst kämen sie ja zu denselben Schlüssen wie man selbst, und man selbst ist ja gut. Wer also zu anderen Schlüssen kommt, kann somit logischerweise auch kein wirklich guter (gleich empathievoller und mitfühlender) Mensch sein.
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>Und wenn der Gegenüber nicht aus nachvollziehbaren Gründen zu seinen Schlüssen kommt, sondern bloß aufgrund von Empathielosigkeit und Boshaftigkeit, ist natürlich auch Diskutieren sinnlos. Man kann ihn nur noch besiegen ("XY destroyed YZ!!!1") und Diskussionen gilt es nur noch zu "gewinnen", den anderen am besten mundtot machen, dann wäre das Problem aus der Welt. Und schon sind wir in der Schützengraben-Mentalität der heutigen Diskurse, die in alle Richtungen alles nur noch schlimmer macht.
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>EDIT. Passend zum Thema der "primitiven" Empathie von jedermann, wie ich sie eingangs skizziert habe:
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>"Es gibt ein weitverbreitetes Missverständnis im Hinblick auf Empathie. Psychologen sagen, sie wirke wie ein Schlaglicht. Wenn man von Empathie ergriffen wird, fühlt man sehr mit denen, die einem nahestehen, was bedeutet, dass der Rest der Welt zugleich aus dem Fokus gerät. Hinzu kommt oft eine Nebenwirkung: Je mehr Empathie wir für die Opfer empfinden, desto mehr hassen wir die Täter. Nehmen wir den israelisch-palästinensischen Konflikt als Beispiel. Er bildet einen Kreislauf von Empathie und Vergeltung. Ein Terroranschlag wird verübt. Die Israelis empfinden große Empathie für die Opfer. Sie wollen Rache und holen ihrerseits zu einem Vergeltungsschlag aus, dem Palästinenser zum Opfer fallen. Die Palästinenser empfinden große Empathie für ihre Toten – und so geht es immer weiter. Ich würde sagen, das Problem im Nahen Osten ist nicht, dass die involvierten Parteien blutrünstig oder böse wären, ganz im Gegenteil, sie sind zu empathisch."
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>[https://www.philomag.de/artikel/rutger-bregman-es-liegt-im-interesse-der-herrschenden-die-menschliche-natur-fuer-schlecht]
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>(Disclaimer: Damit will ich natürlich nicht Empatie schlechtreden, wie es manche Apologeten von rechts tun, um Egoismus und rücksichtslosen Wettbewerb zu propagieren etc. Ich hoffe, das ist klar. Sondern ich möchte darauf hinweisen, dass wirkliche Empathie schwieriger ist, als man denkt und sie vielen von uns im Eifer des Gefechts mal abhanden kommt, ohne dass wir es durchschauen; ich schließe mich da nicht aus. Aber 100% der Menschen denken wahrscheinlich, dass 50% der Menschen weniger empathisch sind als sie. Wie bei allem halt.)


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