Thema:
Re:Begriff "Empathie" flat
Autor: Atlan
Datum:31.12.20 18:25
Antwort auf:Re:Begriff "Empathie" von Matt

Danke, genau das meinte ich. :/ Strohmann aufbauen und immer feste druff. Immer das negativstmögliche in die Aussagen des Gegenüber interpretieren und dann nur darauf antworten. Paradebeispiel für den Verlauf anonymer Internetdiskussionen, bei der man gegen ein überspitztes Zerrbild argumentiert und sich mit dem Furor der Rechtschaffenheit mal richtig schön so knallhart verhalten kann, wie man es im echten Leben nie würde. Im Grunde ist die Diskussion an diesem Punkt jetzt bereits entgleist.

Und geht am eigentlichen Thema vorbei: Empathie. Auch die verpeilte und naive alleinerziehende Mutti, die dank zig verschwörungstheotischer WhatsApp-Nachrichten von Freundinnen über die vermeintlichen Lebensgefahren des Impfens bei einer Querdenker-Demo mitrennt (und natürlich von rechts/links null Ahnung hat) und ihrem Kind ein Maskenfrei-Attest besorgt, weil sie inzwischen tausendmal (und in ihren naiven Augen glaubhaft) gelesen hat, dass Kinder dadurch Schaden nehmen, während Corona für sie kaum eine Gefahr sei, handelt aus EMPATHIE und BESORGNIS und nicht aus Judenhass oder Menschenverachtung. Und für ihre Dummheit kann sie nichts. Klar ist das alles doof. Aber so sind Menschen nun mal. Das ist leider die Ausgangslage, mit der man arbeiten muss. Ihr stattdessen einfach zu sagen, dass sie ein dummes, menschenverachtendes Nazischwein ist, wird aber mit Sicherheit am allerwenigsten dazu beitragen, dass sie ihre Meinung ändert. Man überzeugt niemanden, indem man ihm sagt, dass er dumm ist. Das tut man immer nur für sich selbst.

Dies zu durchschauen und jeden Fall individuell zu behandeln, mit tausend individuellen Gründen tausend individuelle Abstufungen mit all ihren Facetten von Maßnahmen-Relations-Skeptis bis zu Echsenmenschen, erfordert Diffenenzierungsvermögen und Empathie. Auch für den dümmsten Spacko mit der haarstreubendsten Meinung. Und ja, ich habe auch schon mit Nazis diskutiert (aber bitte NIEMALS im Internet!) und am Ende des Gesprächs unter vier Augen den Zweifel in ihren Augen gesehen. Wird am Ende in den meisten Hardcore-Fällen natürlich trotzdem nicht viel bringen, ist m.E. aber trotzdem besser als gar nichts.
Stattdessen kann man natürlich auch einfach nen Sack aufmachen, alle rein, draufhauen und schreien "Die beten alle den Teufel an, wie kannst du die nur VERTEIDIGEN!!1". Vielleicht fühlt man sich dann besser. Aber mehr bringt es auch nicht. Und ich glaube, dass es unterm Strich der guten Sache sogar schadet.

Denn ich persönlich habe schon etliche Male die Erfahrung gemacht habe, dass man mit der Mehrheit der "verpeilten" Leute, die keine ideologischen Überzeugunstäter sind, sehr wohl reden und sie auch überzeugen kann. Meine Mutter ist z.B. so ein Fall:

70 Jahre, ein herzensguter Mensch, aber leider eher naiv, um es mal freundlich auszudrücken. Und dummerweise mit Smartphone und WhatsApp. Wenn ihr eine liebe Freundin eine WhatApp weiterleitet, in der es heißt, dass man Corona feststellen kann, indem man 30 Sekunden die Luft anhält, dann glaubt sie das sofort (wie halt auch ihre liebe Freundin). Oder dass eine Impfung sie töten wird. Ähnliches in den vergangenen Jahren auch schon mit angeblich marodierenden Flüchtlingen und so weiter. Wäre sie mobiler, würde sie wahrscheinlich auch bei Querdenken oder so mitrennen. Aus echter Sorge, nicht aus Boshaftigkeit. Wenn ich ihr dann aber sachlich und wissenschaftlich erläutere, warum das nicht stimmt, ohne ihr dabei das Gefühl zu geben, dumm zu sein, dann glaubt sie am Ende mir und sie sagt "Huuuch, da war ich aber wieder leichtgläubig, danke mein Großer!".

Das erfordert aber immer wieder alle paar Wochen mein Engagement. Inzwischen leitet sie mir aber auch viele WhatsApp erstmal weiter zum Fact-Checken, anstatt sie zu glauben und ihrerseits sofort an andere Freundinnen weiterzuleiten. Sowas erfordert aber kontinulierliches und freundliches (!) Engagement.

Nach Meinung des Forums hätte ich meiner Mutter natürlich hingegen schon vor Jahren bei der ersten kritischen Äußerung "ungefragt auf's Maul" hauen und anschließend jeglichen Kontakt abbrechen sollen, weil reden mit "Rechten und Verschwörungstheoretikern" ja eh sinnlos. Dann wäre sie heute bestimmt ein besserer Mensch... :/


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