Thema:
Beängstigende Wesensänderung flat
Autor: BOBELE
Datum:02.11.20 09:39
Antwort auf:Psychische Gesundheit in Zeiten der Krise von publicmaw

Mir gehts gut, vermutlich besser als den meisten. Die Menschen, die mir wichtig sind, und ich sind gesund. Ich bin ein halbes Jahr vor Beginn der Pandemie in den öffentlichen Dienst gewechselt und muss mir um meinen Job keine Sorgen machen. Meine Frau und ich verdienen gut und haben genug finanzielle Polster auch für ein paar Jahre so richtig üblen Scheiß. Wir haben keine Kinder und einen kleinen, aber sehr engen Freundeskreis. Der Lockdown mit Schulschließungen etc. ist also eher entspannt an uns vorbeigegangen und unsere Sozialkontakte ließen sich auch unter bestehenden Kontaktbeschränkungen pflegen.

Aber: Im Frühjahr habe ich ein Familienmitglied verloren, sehr wahrscheinlich durch das Virus. Das und die immer wieder erwähnten Spätfolgen auch eines milden Krankheitsverlaufs machen mir Angst. Angst um meine eigene Gesundheit, auch wenn ich noch nicht zu den Hochrisikogruppen zählen dürfte, und Angst um die Menschen, die mir am Herzen liegen und eben doch zu diesen Gruppen gehören.

Was ich mit Erschrecken bei mir festgestellt habe, sind Änderungen in meinem Wesen, die ich nicht für möglich gehalten hätte. Ich habe mich immer politisch deutlich links gesehen, habe freiheitlichem Denken Vorschub geleistet, habe mich selber in diversen Ehrenämtern sozial engagiert, habe bei Fragen des staatlichen Eingriffs immer "wehret des Anfängen" gerufen. Seitdem ich aber die "Querdenker" und Coronaleugner sehe, so Gestalten wie den Hildmann, und wie wenig Möglichkeiten der Staat hat, diesen Menschen Einhalt zu gebieten, denke ich immer öfter anders. Ich betrachte diese Menschen als Gefahr für mich und meine Familie. Wenn da Menschen sich der Maskenpflicht verweigern und mit völlig hahnebüchenden Begründungen ihre Mitmenschen gefährden, keimt Haß in mir auf. Ich bin innerhalb eines dreiviertel Jahres zu einem Misantropen geworden und erkenne immer mehr faschistoide Gedanken in mir, die mir manchmal selber Angst machen. Vermutlich, weil ich mich im Angesicht solcher Gestalten komplett hilflos fühle und den Eindruck gewinne, dass die uns alle in den Abgrund ziehen, wenn man nicht gegen sie vorgeht. Darum würde ich die am liebsten gerne wegsperren, mit drakonischen Strafen disziplinieren, einfach weg damit. Schlimm. Unterste faschistoide Schublade, und wenn ich einen Schritt zurücktrete und darüber nachdenke, schäme ich mich. Aber bei der nächsten Nachricht über Idioten, die irgendwo Spreaderparties gefeiert haben, ist das Gefühl wieder da.

Ich versuche alles mögliche... den Telegram Kanal vom Hildmann zu lesen zum Beispiel und den als Satire zu verstehen, mich darüber lustig zu machen. Es für komplett gaga zu halten und darüber zu lachen. Aber ich hasse. Oder mich mit anderen Meinungen auseinanderzusetzen wie die vom Streeck, die ja einfach nur anders ist als meine, vielleicht aber überdenkenswert. Und dann kriege ich den Eindruck, dass der dem Schutz von Gesundheit und Leben nicht die Relevanz zuordnet wie ich und hasse schon wieder. Also leidet meine psychische Gesundheit offenbar auch, wenn es auch nicht mit Leid verbunden ist wie bei Menschen mit einer richtigen psychischen Störung. Ich frage mich aber, ob ich mit meinem Gefühlsleben alleine bin. Wenn nicht, wird mir schon alleine deswegen Angst und Bange. Dann haben wir am Ende die Irren auf der einen Seite und die vermeintlich Vernünftigen, die aber tatsächlich irgendwo an der Grenze zum Soziopathen schrammen und am Ende nur extremem Gedankengut Vorschub leisten und damit der Gesellschaft auch schaden.

Für die seelische Gesundheit ist diese Pandemie jedenfalls ganz sicher eine Prüfung.


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