Thema:
Re:Ist halt eine Frage der Relationen flat
Autor: Vetinari
Datum:29.09.20 06:39
Antwort auf:Ist halt eine Frage der Relationen von K!M

>Straßenverkehr und Diabetes forden jedes für sich mehr Tote jedes Jahr als Covid19.

Und wir haben gegen ersteres so verdammt viel Vorschriften und Sicherheitseinrichtungen - die machen inzwischen fast die Hälfte eines Fahrzeugs aus. Keiner regt sich auf, dass er gezwungen ist auf der rechten Fahrspur zu fahren und bei einer Ampel bei Rot zu halten. All das zusammen hat die Zahl der Toten trotz extremer Zunahme an Verkehr weltweit relativ konstant gehalten oder sogar (zumindest im reichen Westen) stark sinken lassen.

Diabetes ist (bei Diabetes 2) zum Großteil selbstverschuldet und nicht einfach übertragbar. Und es wird verdammt viel Aufwand, Zeit und Geld verwendet um Leben zu retten und Leben angenehm zu gestalten. Gleiches gilt für Fettleibigkeit, was noch viel, viel mehr Todesopfer fordert. Aber eben verhinderbar ist, nur die Person, die es verursacht direkt betrifft und langsam, langsam tötet.

Daher ist es weniger unmittelbar, als wenn jemand in eine Bar geht und 200 Leute ansteckt, wovon wiederum 40 jeweils weitere 70 anstecken etc. Das Problem mit Covid, im Gegensatz zu Verkehrsunfälle und Diabetes und Herzinfarkte etc. ist, dass es eben so schnell unmöglich noch zu stoppen wird (ein wenig wie die Klimaerwärmung). Bis Tag X ist alles ok, auch hohe Fallzahlen sind kein Problem für die Krankenhäuser und dann plötzlich ist eine Schwelle überschritten und es läuft völlig aus dem Ruder und dann sterben statt 0,5-1 % plötzlich 5-10 % und auch Leute an anderen Sachen, die eben dann nicht mehr heilbar sind, weil keine Ressourcen mehr da sind, den Herzinfarkt oder die gebrochene Hüfte zu behandeln. Das Problem ist, dass, wenn der Punkt erreicht ist, man bereits 2-6 Wochen zu spät dran ist, was dran zu ändern. Das ist die Gefährlichkeit. Die Situation, in der wir jetzt "glücklicherweise" sind, ist die vergleichsweise harmlose "Flatten the Curve"-Version, nicht die "wir haben 60.000 Krankenhausplätze für 700.000 kritische Fälle". Und das ist, was wir versuchen zu halten. Weil die Alternative sind eben nicht mehr nur +2, +5, + 10 Tote am Tag, sondern dann +500 oder +4000 in Deutschland alleine. Der Anstieg der Todesfallzahlen ist ab einer Überlastung des Gesundheitssystems nicht mehr linear mit den Fallzahlen, sondern steigt dann steil an, wenn (vor allem langfristig) nicht genug Ressourcen (Betten, Tests, Material, Medikamente, Personal) vorhanden sind.

Den Vorgeschmack hatten wir in Italien, Spanien und NYC, und daher sind zumindest der Großteil der Entscheidungsträger entsprechend sensibilisiert (außer halt komplette Deppen wie Trump, die alle paar Wochen wieder ein paar lichte "Scheiße, das ist heftig"-Momente haben). Weltweit sind absolute Wirtschatsparteien und Marktgläubige an der Macht. Keiner davon haut sich die Wirtschaft - oft in einem Wahljahr - komplett ohne Not zusammen und macht Maßnahmen, die all ihrern wirtschaftsliberalen Überzeugungen widersprechen. Das machen sie eben weil ihnen der Arsch auf Grundeis geht, und sie gesehen haben was die Alternative ist. Ein Johnson oder Marcon drehen die Wirtschaft nicht aus Nächstenliebe oder Menschenfreundlichkeit zu, oder weil sie den Konsum nicht mehr sehen können, sondern weil sie die Szenarien kennen, die die Alternative dazu sind. Und keiner will seinen Namen neben "und unter seiner Regierung sind 10 % der Einwohner an einer verhinderbaren Pandemie gestorben. Die wirtschaftlichen Auswirkungen waren noch 30 Jahre zu spüren" sehen.


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