Thema:
Re:Bzgl Tönnies und "Billigfleisch" flat
Autor: token
Datum:24.06.20 19:16
Antwort auf:Re:Bzgl Tönnies und "Billigfleisch" von Optimus Prime

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>>>>Und auch der Konsument ist kein willenloses Preisgesteuertes Tier das einfach nichts für sein Verhalten kann. Der Konsument weiß nämlich Bescheid, allein die hier angeführte Argumentation "ich hab ja keine Wahl im Supermarkt" lässt da schon tief blicken im Hinblick auf das Selbstverständnis der eigenen Mündigkeit und der Relevanz der eigenen Einzahlung in diese Mechanismen.
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>>>Meine Aussage war: wenn es im Supermarkt angeboten wird dann wird es meiner Meinung nach (und eben auch von mir) gekauft. Das bedeutet nicht, dass hier jemand nicht mündig ist oder deshalb keinen Verzicht übt oder sich nicht nach Alternativen umschaut oder sehnt (zumindest wenn du das speziell auf mich beziehst). Wie soll man denn wissen ob es niemand kauft wenn es nicht angeboten wird?
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>>>Und ich denke eben auch, dass nicht alle "bescheid wissen" oder "bescheid wissen wollen". Du traust deinen Mitmenschen in der Hinsicht zu viel zu.
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>>>Außerdem können eventuell nicht alle so willensstark wie du sein und sagen: wenn es kein gutes Fleisch gibt kauf ich halt garkeins.
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>>War nicht explizit auf dich gemünzt sondern auf den Angang Eigenverantwortung zu delegieren (man hat mir ein Angebot zu schaffen das überall verfügbar ist) und Handlungsoptionen zu negieren (was soll ich denn machen, ich hab doch keine Wahl).
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>>Ich geh mit diesem Verhalten solche Optionen nicht zu ziehen, oder Optionen die mit Aufwand verbunden sind nicht wahrzunehmen gar nicht schwer ins Gericht, weil das ist menschlich und ich selbst hab das lange so praktiziert und in manchen Konsumsegmenten mach ich es noch heute. Aber dann sollte man sich auch nicht in die Tasche lügen dass man irgendwie nicht Teil solcher Kreisläufe wäre und somit auch eine Mitverantwortung für solche Kreisläufe trägt.
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>Wie kommst du vom einen zum anderen? Wenn sich jemand der Lage bewusst ist bedeutet das doch nicht automatisch, dass man sich in die Tasche lügt? Man kann auch ganz offiziell ein schlechtes Gewissen haben ^^
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>Es ist wie mit Veggie. Da gab es auch nicht von heute auf morgen tausende Produkte im Supermarkt. Das wurde nach und nach aufgestockt und nimmt immer mehr Platz ein weil es immer mehr Leute kaufen. Vielleicht hängt da nicht so ein krasses ethisches Problem dran, aber das war bei meiner Kernaussage auch nicht im Vordergrund gestanden.
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>Würde es Veggie nicht im Supermarkt geben würden es auch weniger Leute kaufen.
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>Wie gesagt ich bin immernoch der Meinung, dass besseres Fleisch gekauft werden würde wenn es Angeboten wird. Und diese Aussage besteht imo unabhängig von irgendwelchen Rattenschwänzen an Gedanken die da dran hängen können.
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Das eine ist die Vogelperspektive. Wie würde sich eine ethisch vertretbarere und nachhaltigere Lebensmittelversorgung in höherer Verfügbarkeit auf die Marktanteile selbiger auswirken.

Das andere ist die Verantwortungsfrage für jedes einzelne Individuum. Wenn ich sage, in einem fiktiven Szenario mit breiterem Angebot würde ich anders einkaufen, ist das halt Konjunktiv. In der Realität tut man das nicht, und diese zählt. Und in dieser Realität hat man halt dennoch Optionen, sprich, Bequemlichkeiten, Gewohnheiten wie auch der Unwille auf etwas zu verzichten ist eher schlagend als der ethische Selbstanspruch. Und dann ist das schlicht und ergreifend so. Ob man da ein schlechtes Gewissen hat, ein gutes Gewissen hat oder überhaupt nicht reflektiert was man da tut führt alles zum gleichen Ergebnis. Man zahlt aktiv auf so ein System ein.
Es macht im Ergebnis keinen Unterschied.
Man ist Supporter, nicht Opfer, nicht Kollateralschaden, man ist Supporter.

Also statt mit Konjunktiven zu jonglieren wie man sich angeblich verhalten würde in einer Welt die es nicht gibt, ist im Grunde genauso ergiebig wie sich vorzustellen was man sich von einer Million kaufen würde, die man nicht hat.
Maßgeblicher Unterschied, diese Million wirst du halt auch in der Regel nicht haben, der reine Wille eine zu verdienen, egal wie viel Aufwand man da rein steckt, macht dich nicht zum reichen Mann.
Das andere Konjunktiv aufzulösen ist denkbar einfach.
Einfach machen. Nicht die Industrie legt einem die Ware in den Einkaufswagen, das macht jeder selbst. Eines kann man als kleiner Hanswurst unter Millionen von Hanswürsten kaum beeinflussen. Einem Konzern vorgeben was er ins Regal stellt. Eines kann man jedoch immer, nämlich sein eigenes Verhalten steuern.
Und weil man das kann trägt man eben auch im vollen Umfang die Verantwortung dafür.

Aber nochmal, das ist menschlich, das ist normal, und auch ich bin da nicht perfekt. Es ist halt sooooooo einfach, wenn man einen schwindend geringen Anteil an einer Problematik hat zum Schluss zu kommen das alles hätte irgendwie NICHT WIRKLICH mit einem selbst zu tun, und auch die Hürde sich nicht unethisch zu verhalten, selbst wenn man da einen hohen Anspruch an sich selbst hat, geht massiv in den Keller wenn Direktzusammenhänge durch eine Masse von Menschen die das gleiche tun, verschleiert werden. Ein etwas schlechtes Gewissen? Nuja, klar. Aber fühlt man sich wirklich verantwortlich? Nein, denn wenn man morgen tot wäre, würde sich die Welt ja nicht ändern, also ist man wohl nicht verantwortlich.

Und diese Denkmuster sind halt ein großes Problem und meines Erachtens der maßgebliche Grund dafür warum das ganze System sukzessive derart pervertiert ist, und zwar an allen Flanken.

Diejenigen die das System supporten haben einen ethischen Selbstanspruch, aber sie fühlen sich nicht explizit dafür verantwortlich was dieses System macht, wenn, dann nur in äußerst geringem Maße. Das Schuldgefühl wird quasi unter Millionen aufgeteilt, so dass jeder einzelne meint, seine eigene Schuld sei eher in so einer homöopathischen Dosis am Start.

Das System wiederum ist ein abstraktes Werkzeug. Es tut genau das wozu es programmiert wurde, und in diesem Code findet sowas wie Ethik keinen Ankerpunkt. Es instrumentalisiert Gier als mächtige Antriebsfeder. That's it.

Und zwischen diesen Fronten befindet sich sowas wie Moral im freien Fall.
Die einzige Variable in diesem Teufelskreis auf die du oder ich irgendeinen Einfluss haben ist dieser Tüppes im Spiegel. Das ist das worauf wir Zugriff haben. Und wenn das quasi ALLES ist, was wir maßgeblich beeinflussen können, und wir dennoch beschließen die einzige Sache die wir tun können nicht zu tun, dann macht man sich imo eben nicht ein klitzekleines bisschen schuldig, sondern in vollem Umfang. Wenn jemand vor mir ertrinkt, und alles was da liegt womit ich ihn rausziehen kann eine rostige Kette ist, und ich tue das nicht, dann brauch ich diese Entscheidung nicht damit zu begründen dass es keinen Rettungsring gab, kein Seil gab, keinen Hubschrauber der das für mich übernehmen hätte sollen, und auch nicht dass da doch auch hundert andere Leute am Ufer standen die ja auch die stinkende und dreckige Kette hätten auswerfen können. Ist bullshit. Alles was zählt ist das was man selbst gestalten kann, und wenn man das nicht nutzt dann ist dieses Gerede über das große Ganze und Zusammenhänge und ein hypothetisches Ich das in einer hypothetisch anderen Welt hypothetisch moralischer entscheidet nichts wert.
Da ist mir der gewissenlose "Nach mir die Sintflut"-Krakeler schon fast lieber, weil der immerhin nicht in Konjunktiven rumpimmelt sondern ehrlich ist. Und auch er wird es im Alleingang nicht schaffen den Planeten zu zerstören, dafür braucht er viele viele Helfer, und der Großteil seiner Helfer halten sich allesamt für anständige Menschen.


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