Thema:
Re:Jede Studie ist kritisierbar flat
Autor: Pjotr (deaktiviert)
Datum:26.05.20 20:33
Antwort auf:Re:Jede Studie ist kritisierbar von SidVicious

>Solche Fragen müssen nicht von Journalisten kommen, das ist nicht deren Job, das können die gar nicht leisten. Da fehlt schlicht das Fachwissen, und das ist ja kein Beinbruch, kein Mensch kann jedes Paper jedes Fachthemas selbst durchdringen, dafür ist Wissen teils einfach zu spezialisiert.

Es ist meiner Meinung nach durchaus Aufgabe von Journalisten solche Fragen zu stellen - oder eifach generell den Mund zu halten. Das gilt insbesondere für Manuskripte, die eben noch nicht durch das peer review gegangen sind. Wann immer ein Journalist über ein Paper schreibt, müssen immer auch die Limitationen der Erkenntnisse diskutiert werden. Seien wir mal ehrlich - das Hauptproblem des Wissenschaftsjournalismus ist ja nicht unbedingt ein zu kritischer Blick auf wissenschaftliche Daten. Der Journalist sollte sich die kritischen Fragen jedoch nicht selber aus dem Fingern saugen, sondern - wie du auch selber sagst - den wissenschaftlichen Diskurs abbilden.

Das gesamte Problem hier hat leider sehr viel mit preprints zu tun. Preprint server sind super, wenn sie exklusiv von Wissenschaftlern genutzt werden, die die nötige kritische Distanz haben. Aber der Grossteil der SARS-CoV2 Studien, die in den Medien besprochen werden, liegen oder lagen auf preprint servern. Das heißt diese Manuskripte haben nichtmal ein Mindestmaß an wissenschaftlicher Kritik erfahren bevor sie den Medien zum Frass vorgeworfen werden. Es gibt hier drei Lösungen: (1) entweder bekommen medRxiv, bioRxiv usw. eine Zugangsbeschränkung für Nichtwissenschaftler, (2) die Medien setzen sich selber Grenzen und diskutieren solche Manuskripte einfach nicht oder (3) die Medien versuchen zumindest ein bisschen peer review zu leisten.

>Solche Fragen müssen im Peer Review kommen, und damit meine ich nicht nur den Peer Review Prozess des jeweiligen Journals, sondern die Auseinandersetzung mit dem jeweiligen Paper in der Wissenschaftsgemeinschaft (ja, ich versuche krampfhaft, nicht „Community“ zu schreiben). Der Job eines Journalisten ist, diesen Prozess und die dort enthaltenen Meinungen zu recherchieren und in den Bericht einzuarbeiten und Experten dazu zu befragen.

Wie ich geschrieben habe, hat Piatov seine Zitate zumindest teilweise vom SMC extrahiert. Und das SMC tut genau was du forderst - es akkumuliert Stimmen aus der Wissenschaftsgemeinschaft. Und deswegen ist es generell ein guter Anlaufpunkt für Journalisten. Natürlich wäre es besser wenn Piatov selbst eine Stichprobe von Expertenmeinungen generiert hätte. Aber grundsätzlich war das Vorgehen im Kern richtig: (1) sich ein Spektrum von Expertenmeinungen anschauen, (2) die Studienautoren zu den Hauptkritikpunkten zu befragen. Wie gesagt, die Kritikpunkte sind durchaus angebracht. Das waren eben nicht die unqualifizierten Meinungen irgendwelcher Aussenseiter, wie damals der eine Pulmologe zur Feinstaubdebatte. Piatov hat eben nur - teilweise aus Absicht, teilweise aus Dummheit - die komplett falschen Schlüsse gezogen.

>Da Piatov versucht, den Anschein zu erwecken, er hätte das getan, kann man zu dem falschen Schluss kommen, er hätte etwas richtig gemacht.
>
>Das ist aber nicht der Fall. Er hat nix recherchiert in dem Sinne, dass er eine Auseinandersetzung mit der Studie verfolgt hat und den Inhalt der Auseinandersetzung erfasst und verarbeitet hat. Er hat einfach gesehen, dass die vorherige Strategie der BILD, Drosten wie die üblichen Ziele der BILD (Politiker, Promis, etc.) abzuschießen nicht gefruchtet haben. Deshalb versucht er es mit einem einfachen Autoritätsargument (5 Professoren finden einen Professoren scheiße, wir auch!) nach 20 min nach den sich am vernichtendsten anhörenden Zitaten googeln. Das zeigt sich allein schon daran, dass die Zitate nicht in Kontext gesetzt sind und auf Basis der Zitate keine tiefergehenden Fragen formuliert wurden.


Du hast absolut Recht, dass Piatov nach Gründen gesucht hat um Drosten abzuschiessen. Piatov hat in bad faith gehandelt. Piatov hatte einen Vorwand, Piatov hatte eine Agenda. Piatov wusste wahrscheinlich nichtmal was er tat als er ziemlich punktgenau den Schwachpunkt der Studie herauskristallisiert hat (das liegt eben daran, dass er kritische Expernmeinungen akkumuliert hat und diese alle in die selbe Richtung schossen). Das Problem ist eben, dass er basierend auf diesem Schwachpunkten komplett über Bord gegangen ist, und irgendwelche Verschwörungstheorien konstruiert hat. Das hat viel damit zu tun, dass die meisten Leute eben nicht mit dem sausage making of science vertraut sind - dass sie Wissenschaftler als objektive Lichtgestalten sehen und deshalb die inhärenten Limitationen des wissenschaftlichen Systems als Anschein von Manipulation oder Verschwörung interpretieren.


Antworten nicht möglich, siehe Info neben Nickname