Thema:
Allein und verwundbar flat
Autor: peppi
Datum:31.03.20 09:25
Antwort auf:Corona und soziale Ungleichheit von peppi

Immer schon waren Krankheit und Tod auch eine soziale Frage. Dauerhaft in Armut lebende Menschen sterben zehn Jahre früher, das haben Studien immer wieder gezeigt, zuletzt eine EU-Sozialstudie im vergangenen Jahr. Als Gründe sehen die Forscherinnen Existenzängste, gesundheitliche Belastungen am Arbeitsplatz, Ernährung und mangelnde gesundheitliche Aufklärung. Was für den Normalfall gilt, verschärft sich in der Krise – das ist schon jetzt an den unterschiedlichen Situationen der Erkrankten erkennbar, ebenso wie an den Personen, die sich in Quarantäne befinden.

Da wäre als Erstes die Frage, wer sich jetzt in Selbstquarantäne aufhalten kann und wer nicht. Da ist zum Beispiel das Krankenhauspersonal, das sich täglich in Gefahr begibt, am Arbeitsplatz angesteckt zu werden, und das unterbezahlt wie eh und je ist (und übrigens zu mehr als 80 Prozent aus Frauen besteht). Dazu die Angestellten in den Supermärkten, die die Regale auffüllen und Kontakt zu Hunderten Menschen täglich haben – auch zu 70 Prozent Frauen. Ohne Homeoffice weiterarbeiten müssen aber auch Polizistinnen, Feuerwehrleute, Amazon-Beschäftigte, Lieferando-Fahrer, Handwerkerinnen, Arbeiter im Baugewerbe. Eine Studie in den USA zeigt, dass unter normalen Bedingungen in den oberen Einkommen mehr als 60 Prozent die Möglichkeit haben, im Homeoffice zu arbeiten. In den unteren Einkommen verfügen über diese Möglichkeit nur rund neun Prozent.

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In einigen Flüchtlingsunterkünften ist die Quarantäne mit Zuständen verbunden, die an ein Gefängnis erinnern. Manche stehen bereits unter einer sogenannten Vollquarantäne. Das bedeutet, das gesamte Haus wurde wegen eines Corona-Falls abgeriegelt; niemand darf rein, niemand darf raus, niemand darf einkaufen, spazieren gehen. Das führt nicht selten zu Panik unter den Bewohnern. „Diese Maßnahmen wurden nicht immer gut kommuniziert“, erklärt Nora Brezger vom Berliner Flüchtlingsrat und verweist auf einen Vorfall im thüringischen Suhl. Dort kam es vergangene Woche zu Auseinandersetzungen, als die Quarantäne durchgesetzt wurde. Die Polizei rückte an, ohne dass sämtliche Bewohner in ihrer Sprache darüber informiert worden seien, was eigentlich gerade passierte und warum.

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Das Bild einer halbwegs glücklichen, zu Hause arbeitenden und lernenden Familie in Quarantäne trifft aber auch auf viele andere Haushalte nicht zu. Frauenhäuser warnen vor einem Anstieg häuslicher Gewalt: „Frauen können ihrem gewalttätigen Partner nicht mehr aus dem Weg gehen, die Anspannung steigt durch die Situation zu Hause“, sagt Sylvia Haller von der Zentralen Informationsstelle Autonomer Frauenhäuser (ZIF), die in Deutschland 100 der 350 Häuser vertritt. Es gäbe keinerlei Kapazitäten, die erwartete Zunahme der Schutzsuchenden aufzufangen. Frauenhäuser arbeiteten seit Jahren schon an der Kapazitätsgrenze. Laut Istanbul-Konvention müssten in Deutschland 21.000 Betten für schutzsuchende Frauen angeboten werden; es gibt jedoch nur 7.000 Betten. Ablehnungen seien an der Tagesordnung. In der Corona-Krise sei die Konsequenz, dass noch mehr Frauen ihrer gefährlichen häuslichen Situation nicht entkommen könnten. Obwohl Gewalt an Frauen ohne Unterschied in sämtlichen Milieus vorkommt, trifft die ökonomische Krise sie unterschiedlich hart. Finanzielle Ängste erschweren Frauen den Schritt zur Trennung, von Gewalt Betroffene ohne finanzstarkes (Familien-)Netzwerk haben keine Chance, der Situation zu entkommen.

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Die Journalisten Heike Buchter beschrieb neulich in einem Artikel in der Zeit, wie die Selbstquarantäne bei den Wohlhabenden und Reichen in New York, das in den USA besonders stark von dem Virus betroffen ist, aussieht: Man zieht sich in die Villen in den idyllischen Hamptons am Atlantik zurück und macht sich vor allem Sorgen darüber, wie man seine (mehrheitlich migrantische) Kinderbetreuung möglichst virusfrei dort hinbekommt.

Wer es sich leisten kann, verzieht sich auch in Deutschland aus der Stadt in sein Landhaus und richtet sich dort zwischen Wiesen und Wäldern in seinem Homeoffice ein. Oder: auf der Dachterrasse eines Fünf-Zimmer-Appartements in Hamburg-Eppendorf, im schicken Frankfurter Westend oder in Berlin-Mitte. In der FAZ kamen kürzlich Menschen zu Wort, die sich dadurch verunsichert fühlen, dass sie nicht mehr 10.000 Euro auf einmal abheben können. Und das sind nur die Ungleichheiten innerhalb Deutschlands. Hilfsorganisationen warnen vor einer humanitären Katastrophe durch Corona im Globalen Süden. Die Ungleichheit grassiert mit dem Virus.


[https://www.freitag.de/autoren/elsa-koester/allein-und-verwundbar]


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