Thema:
Corona und soziale Ungleichheit flat
Autor: peppi
Datum:24.03.20 10:18

[https://www.zeit.de/wirtschaft/2020-03/soziale-ungleichheit-coronavirus-pandemie-versorgung-covid-19]

Mit jeder Verschärfung der Ausgangsregeln, die die Politik in diesen Tagen beschließt, wird eine Zahl immer wichtiger, die mit darüber entscheidet, wie schwer es für jeden Einzelnen wird: Die Quadratmeterzahl. Je größer die eigene Wohnung, desto eher lässt es sich dort auf Dauer aushalten. Auf 50 Quadratmetern kann man zwei (oder mehr) Kinder schwieriger bespaßen als im Häuschen mit Garten.

Man kann das für eine Nebensächlichkeit der Pandemie halten. Man kann darin aber auch ein Muster dieser Krise erkennen: Der Ausnahmezustand legt soziale Ungleichheiten gnadenlos offen und verschärft sie. Er ist Kontrastmittel und Gift zugleich. Die Schwächeren tragen die größere Last und das größere Risiko.
 

Find ich wichtig und wird IMO kaum diskutiert. Eine Lehrerin erzählte mir bspw., dass jetzt erst klar wird, wie viele Kinder aus ihrer Klasse keine Internetanschlüsse, geschweige denn Drucker und Computer zuhause haben. Wie viele öffentliches Wifi und Bibliotheken brauchen, um etwa Aufsätze oder Praktikumsbewerbungen zu schreiben.

Der Sozialwissenschaftler Stefan Sell spricht von einer "Hierarchie der Not". Bei den nicht "Systemrelevanten" sieht diese Hierarchie so aus: Am oberen Ende richten sich die Denkarbeiter im Homeoffice ein und hadern mit der Qualität der Videokonferenzen. Und am unteren Ende wissen viele nicht, wie sie ihre Miete bezahlen sollen.

Tafeln können die Leute nicht mehr versorgen:

Oft hört man beim Thema Corona von Homeoffice und davon, dass Lieferdienste nicht wie sonst funktionieren. Für viele Menschen in Deutschland sind das aber Luxusprobleme. Jedes fünfte Kind in Deutschland ist von Armut betroffen - ein warmes Mittagessen ist da schon in normalen Zeiten nicht selbstverständlich. Umso wichtiger sind die kostenfreien Mahlzeiten, die Schulen, Horte, Kindergärten und Jugendzentren anbieten. Doch mit ihrer Schließung im Zuge der Coronakrise fallen sie als wichtige Glieder in der Versorgungskette weg.

Vor allem gering verdienende Eltern ohne finanzielle Rücklagen geraten unter Druck. Und der wächst derzeit täglich. Über 300 Tafeln haben infolge der Ausbreitung des Coronavirus ihren Betrieb vorübergehend eingestellt - das ist der neueste Stand, vom Donnerstagnachmittag, täglich kommen welche hinzu. Für eine halbe Million Kinder und Jugendliche, die als Kunden bei den Tafeln gemeldet sind, hat das schwerwiegende Folgen.


[https://www.spiegel.de/wirtschaft/soziales/coronavirus-kinder-aus-einkommensschwachen-familien-in-der-krise-a-8ba68f6d-8a12-4271-93e2-7f46127120a5]


In der Unterkunft für Geflüchtete in  der ich arbeite, leben hunderte Leute dicht an dicht und bilden das, was von politischer Seite gerne mal "Schicksalsgemeinschaft" genannt wird. Na Happy Birthday! Mich hat heute erst ein Schreiben des hiesigen Sozialamts erreicht, in dem gefordert wird, dass ein Bewohner ausziehen soll, weil er sich ja eine Wohung leisten könne. Geil. Theoretisch, klar, aber auch nur auf dem Papier (FFM). Der soll jetzt raus, dann halt in eine Wohungslosenunterkunft, lol, als ob die Platz hätte. Und das alles während Corona. Er könnte nicht mal ins Hostel/Hotel wenn er wollte. Der Typ buckelt für uns alle hier - bei der Müllabfuhr. Kein Schlafplatz mehr führt in der Regel zu kein Job mehr usw.

Und mich bzw. das Kollegium betreffend: Die Geschäftsführung will jetzt richtig top down durchknüppeln. Wir müssen jetzt alle anpacken! Gesetze doof, flexibel sollen alle sein. Scheiß auf Ruhezeiten und Arbeitszeitgesetz. Leute ins Minus planen, unbezahlter Urlaub, in Urlaub schicken, you name it. Klar, jetzt müssen Lösungen gefunden werden, die Art und Weise ist aber sehr "schräg".

Passend dazu die IMO gute Analyse (nochmal):

Die globale Pandemie, die Weltwirtschaftskrise und die politischen Umwälzungen treffen besonders die Armen und Entrechteten brutal, in jenen Ländern, in denen das Gesundheitssystem nicht ansatzweise funktioniert – die vielen Orte, an denen der Ausnahmezustand für die Unterdrückten bereits zuvor schon die „Regel“ war, mit Walter Benjamin gesprochen. In anderen Staaten hingegen, in den europäischen etwa, ist der Ausnahmezustand in dieser Intensität eine neue Erfahrung. In diesem Moment sind Demokratie und Rechtsstaatlichkeit auf einem Nullpunkt. Es ist kein Widerspruch, viele der staatlichen Maßnahmen aus gesundheitspolitischer Perspektive zu begrüßen, den politischen Ausnahmezustand absolut ernst zu nehmen und sich gleichzeitig seiner Logik nicht zu unterwerfen.

[https://www.freitag.de/autoren/der-freitag/die-welt-nach-corona-wird-jetzt-ausgehandelt]


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